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Wenn Ehemänner zu Rentnern werden: "Er macht mich wahnsinnig!"

Rentner
© Shutterstock / wavebreakmedia
Wer ist immer da und hat zu allem eine Meinung? Ehemänner im Ruhestand. Ein Erfahrungsbericht einer entnervten Ehefrau.

"Ich bring ihn um!", brüllt meine Freundin Gaby ins Telefon, und ich muss nicht fragen, wen, auch nicht, warum, denn ich weiß es.

"Was hat er jetzt schon wieder angestellt?", frage ich, und wäre die Lage nicht so ernst, dann wäre es zum Lachen.

"Er hat meine Handykarte vernichtet", sagt sie, "er wollte sie in mein neues Handy stopfen, dabei ist sie kaputt gegangen. Jetzt sind alle Telefonnummern weg."

"Lebt er noch?", frage ich.

"Er lebt und ist tief beleidigt, weil er mir doch nur helfen wollte", stöhnt sie, "ich hab ihn erst mal zum Einkaufen geschickt, hoffentlich bleibt er länger weg."

Der Zeitpunkt, von dem an meine Freundin Gaby, eigentlich eine ausgeglichene Frau Ende 40, immer mehr zur Furie wurde, lässt sich genau datieren.

Alles war gut - bis zu seiner Pensionierung

Es war der Tag, an dem ihr Ehemann Hans-Rainer, 61, in den vorzeitigen Ruhestand ging. Bis dahin hatten beide das, was man eine gut ausbalancierte Beziehung nennen könnte - sie arbeitet als freiberufliche Übersetzerin, er vor dem Tag X als Betriebsarzt in einer Behörde. Ihre 17-jährigen Zwillinge haben den schlimmsten Pubertätshorror hinter sich.

Es war ein gut geöltes Familienleben, dessen Logistik in Gabys kompetenten Händen lag. Dass sie mehr als 90 Prozent der Hausarbeiten erledigte, fand sie normal, schließlich war sie die meiste Zeit zu Hause, außerdem konnte sie unter dem Vorwand "Meine Familie braucht mich" den einen oder anderen ungeliebten Übersetzungsauftrag ablehnen und sich gelegentlich zu einer längeren Kaffeepause mit einer Freundin davonschleichen. 

Beide Ehepartner hatten ihren Freiraum, alles war gut. Bis Hans-Rainer nach einer rauschenden Abschiedsparty voller guter Absichten bei Gaby ante portas stand.

Ungefragt organisierte er ihren Tagesablauf neu 

"In Zukunft teilen wir die Arbeit fifty-fifty auf", verkündete er, was sie vor allem deshalb irritierte, weil sie sich mental überhaupt nicht auf die neue Situation vorbereitet hatte. Auf einen Mann nämlich, der auf einmal sehr viel Tagesfreizeit hatte. Aber leider keine Hobbys oder bislang vernachlässigte Interessen, mit denen er sie füllen konnte. Der ihr deshalb von morgens bis abends "vor den Füßen herumlief", so empfand sie es jedenfalls und litt unter dem neuen Bild, dass ihr der alte Weggefährte plötzlich bot. Sie sagt:

"Wir sind wie zwei Hunde, die gleichzeitig dasselbe Revier markieren. Allerdings eins, in dem ich die älteren Rechte habe. Ganz klar, er stört mich."

Hatte Gaby früher ihre Tage selbst bestimmt, war nun Hans-Rainer da, der mitbestimmte. Vor dem Frühstück mit ihr joggen wollte, obwohl sie lieber abends in ihren Fitnessclub ging. Auf Mittagessen zur gewohnten Kantinenzeit, pünktlich 13 Uhr, bestand, obwohl Gaby mittags nur einen Joghurt aß. Nachmittags mit einem Stück Kuchen im Wohnzimmer auf sie wartete. Als ordentlicher Beamter ungefragt ihren Tagesablauf neu organisierte, Sparvorschläge inbegriffen.

Aus dem erfolgreichen Mann ist ein "Pottkieker" geworden

Bei seiner Frage, ob nicht auch das zweilagige Toilettenpapier reiche, rastete sie zum ersten Mal aus.

"Wie krieg ich ihn nur wieder aus dem Haus?", fragte sie verzweifelt, "ich lebe wie im Hase-und-Igel-Märchen. Wo immer ich auftauche, mein Mann ist schon da!"

Ein klassisches Beispiel für das, was ich, etwas überspitzt, "Ehepaar-Stalking" nenne und bei vielen meiner Freundinnen beobachte, deren Männer morgens nicht oder nicht mehr aus dem Haus gehen.

Sie erlegen keine Bärenfelle mehr, die sie ihrer Liebsten vor die Höhle legen, dafür legen sie die Wolldecke auf dem Sofa neu zusammen, ihr Büro war schließlich auch immer tipptopp aufgeräumt. Sie nehmen den Staubsauger auseinander, weil sie die Tüte wechseln wollen, und beim Wiederzusammenbau bleibt immer ein Teil übrig. Sie wollen helfen und stören nur. Zu Berufszeiten noch selbständige Bürger dieses Landes, werden sie zu "Pottkiekern", wie man früher die Rentner nannte, die ihrer Frau beim Kochen in den Topf guckten und dabei nicht mit gut gemeinten Tipps à la "Ein bisschen mehr Pfeffer, Marianne!" sparten.

"Wie eine Krake über mein Leben gestülpt"

"Klaus hat sich im Ruhestand wie ein Krake über mein Leben gestülpt", seufzt Marga, 55, eine andere Freundin, "über alles will er informiert sein, alles will er mitentscheiden. Kürzlich hat er den Elternabend unseres 16-jährigen Sohnes aufgemischt, weil er vom Lehrer wissen wollte, ob er raucht und somit seinen Schülern ein schlechtes Vorbild ist. Mir war das so peinlich, ich bin vor Scham fast unter die Schulbank gerutscht."

"Tyrannei der Intimität" nennt der Hamburger Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg diese ehelichen Übergriffe. "Alles wird auf Nähe zusammengekocht, jeder Hauch von Distanz wird als schmerzhaft erlebt. Doch auch für diesen Lebensabschnitt gilt die These: je näher, desto ferner, weil erzwungene Innigkeit zu Fremdheit führt."

Es scheint seltsam, dass gerade Männer, die einmal Anzug- und Entscheidungsträger waren und einen großen Teil ihres Lebens im beruflichen Makrokosmos verbrachten, sich so hartnäckig auf den häuslichen Mikrokosmos stürzen. Sich ungebeten in Dinge einmischen, die sie bislang völlig ignoriert haben.

"Meiner schrotet unser Morgenmüsli selbst", stöhnt eine, "es schmeckt wie zerkrümelter Elefantenkot." - "Meiner beaufsichtigt neuerdings die Schulaufgaben unserer 13-jährigen Tochter", seufzt die andere, "in der letzten Mathearbeit hatte sie leider eine Vier minus, weil seine Schulkenntnisse völlig veraltet sind."

Und eine Dritte hat ihrem 60-jährigen Vorruheständler mit Scheidung gedroht, wenn er noch einmal mit der flachen Hand die Bettdecke glatt streicht, die sie fünf Minuten zuvor glatt gestrichen hat.

Den Männern fehlt das soziale Netz

Was geht in Männern vor, die sich plötzlich darüber ereifern, ob die Bestecke in der Geschirrspülmaschine mit der Spitze oder dem Griff nach oben hineingestellt werden? Ein Nachholbedarf an verpasster Häuslichkeit?

Ich glaube, es gibt Dinge, die wir Frauen bei Männern gern verdrängen. Sie sind nämlich im Gegensatz zu uns keine Wesen, die soziale Netze außerhalb der Familie knüpfen.

Beruf, Familie, ein, zwei Kumpels, das reicht ihnen völlig. Da die Kumpels oft Kollegen sind, bleiben nur noch wir, wenn auch der Beruf wegfällt. Männer wissen deshalb wirklich nicht, wohin mit sich, wenn das feste Korsett von Meetings, Dienstreisen und geliehener Bedeutung weg ist.

Sie erleben dann das, was eine Kollegin von mir "die neue Puscheligkeit" nennt und damit diese Anhänglichkeit meint, die Ehefrauen so auf die Nerven geht. Dieses "Wo gehst du hin, wann kommst du wieder?", diesen Ehemann, der bestenfalls auf dem Sofa liegt, wenn man wiederkommt, oder schlimmstenfalls die Küchengewürze nach Verfallsdatum geordnet hat.

Aus dem Versorger wird ein Bedürftiger

Da Männer selten Nabelschau betreiben geschweige denn sich in die Gefühlswelt ihrer Partnerin hineinversetzen, verstehen sie nicht, dass diese um sich schlägt, weil sie sich aus ihrem angestammten Reich vertrieben fühlt, so wie vor 60 Jahren die Trümmerfrauen, die, als ihre Männer aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrten, blitzschnell wieder an Heim und Herd zurückgeschickt wurden.

Nur diesmal, sagt Oskar Holzberg, sei es genau andersherum, ein Rollenwechsel finde statt: Der Mann "verweiblicht" und sucht Nähe, die Frau "vermännlicht" und fühlt sich bedrängt. "Die Frau muss aushalten, dass ihr Mann, der ehemalige Versorger, auf einmal in der bedürftigeren Position ist."

Stimmt, es macht unsere Männer nicht begehrenswerter, wenn sie auf einmal zu Quasi-Hausfrauen werden, die unsere Fenster streifenfrei putzen. Natürlich freuen wir uns, wenn sie uns als spätberufene Gourmets mit selbst gezupfter Pasta verwöhnen, aber nicht, wenn sie dafür den ganzen Tag die Küche blockieren. Deshalb wollen wir jetzt, wo so viel Nähe möglich ist, am liebsten die Flucht ergreifen.

Wie angepikste Ballons, aus denen langsam die Luft entweicht

Klar verstehen wir, dass die meisten Männer von Natur aus Bestimmer und Entscheider sind und diese noblen Eigenschaften jetzt ausschließlich aufs Private konzentrieren. Und da sie nicht mehr bestimmen können, ob ihre Firma den Milliardenkredit aus Kasachstan oder Usbekistan aufnimmt, wollen sie wenigstens mitentscheiden, ob die Kartoffeln zwei oder zwei Euro fünfzig das Kilo kosten dürfen.

Ohne Beruf sind viele Männer im Leerlauf, fühlen sich wie angepikste Ballons, aus denen langsam die Luft entweicht, greifen deshalb in ihrer Verunsicherung auf den Teil ihres Lebens zurück, der übrig ist und sie auffängt - die Familie. Sie kommen dabei, als Besitzer unerschütterlicher Egos, gar nicht auf die Idee, dass sie stören könnten, anstrengend, manchmal auch lästig sind.

Aber da sich Menschen, vor allem Männer, jenseits der 60 nicht mehr wesentlich ändern, schlägt Oskar Holzberg vor: "Nicht in der Vorwurfshaltung erstarren, Humor bewahren, tief Luft holen und nach konstruktiven Lösungen suchen."

Und die sind oft ganz einfach. Meine Freundin Nina hat ihrem Mann einen Spanischkurs für den nächsten Mallorca-Urlaub spendiert, meine Nachbarin dafür gesorgt, dass ihrer in den Vorstand ihres Schrebergartenvereins gewählt wurde, Gaby erkundigt sich gerade, ob Ärzte ohne Grenzen Bedarf an Rentnern haben.

Eine gute Idee wäre es auch, Ehemänner mit zu viel Tagesfreizeit gemeinsam auf Fahrrad-, Segel- oder Zelttouren zu schicken. Pensionierte Lehrer könnten Nachhilfe geben, Gärtner Unkraut zupfen, Journalisten Bücher schreiben. Ein weiterer Ansatz könnte sein, seinem Partner ungeliebte Haushaltsaufgaben zu übertragen. "Schatz, jetzt, da du Zeit hast: Wie wäre es, wenn du deine Hemden selbst bügelst?"

Text: Evelyn Holst

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