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Dankbar sein: Wie schön, dass du mich liebst!

Dankbar sein: Wie schön, dass du mich liebst!
© Delicate / photocase.com
Eine Zauberformel für dauerhaftes Glück in der Partnerschaft hätten wir alle gern. Überraschenderweise scheint es sie zu geben: dankbar sein.

Gegenüber am Tisch im Großraumwagen sitzt ein Paar, Ende 40, Anfang 50, und teilt sich die Zeitung. Irgendwann sagt der Mann: "Gibst du mir mal den Sportteil?" Darauf die Frau: "Wie heißt das Zauberwort?" Und der Mann, mit erwartungsvoll ausgestreckter Hand: "Scheiße, gibst du mir mal den Sportteil?" Hin und wieder muss ich an diese Szene denken. Immer dann, wenn mir bewusst wird, wie wir unsere Beziehung nicht leben, sondern abwohnen, achtlos, ohne Bitte und Danke.

"Bitte" wird bereits kleinen Kindern als Zauberwort verkauft, aber das wahre Zauberwort ist "Danke": "Bitte" zu sagen verschafft einem was, und sei's den Sportteil, "Danke" zu sagen hingegen erschafft etwas, es drückt ein Gefühl aus, auf dem eigentlich alles beruht, was an einem Leben und einer Beziehung gut ist. "Danke" drückt Anerkennung aus und führt dazu, dass man selbst welche bekommt - trotzdem sagen wir das Wort viel zu selten, weil wir verlernt haben, Dankbarkeit zu empfinden.

Die Dankbarkeit schleift sich ab im Alltag.

Am Anfang ist die Liebe nichts als Dankbarkeit: Verliebtheit fühlt sich an, als hätte einem das Universum den größten Wunsch erfüllt, von dem man nie wusste, dass man ihn hatte, und die Leidenschaft ist verwoben mit der Dankbarkeit dafür, dass einem dieser Wunsch erfüllt worden ist, Dankbarkeit für jeden einzelnen Quadratmillimeter seiner Haut, für jedes feine Härchen auf ihrer Oberlippe, für ihr Lachen, die Art, wie er die Tasse hält, dafür, dass die Liebe des anderen die eigene spiegelt und verstärkt.

Das schleift sich ab im Alltag. Hast du das Auto aus der Werkstatt geholt? Nein? Oh, Mann, muss ich mich darum auch noch kümmern. Ja? Na, wurde ja langsam auch Zeit. Und nachts im Bett, wenn du hörst, wie neben dir jemand atmet, mit dem du schon viele Jahre verbracht hast? Dann denkst du nicht: "Danke, dass du da bist", sondern: Wenn sie weiter so laut atmet, kann ich garantiert nicht einschlafen.

Und sind wir nicht sowieso irgendwie quitt? Klar, schön, dass du da bist, aber ich bin ja auch da. Und du regelst zwar eine ganze Menge Dinge, aber das tue ich ja auch, und den Teil des Lebens, den du mir gewidmet hast, den widme ich dir umgekehrt ja auch, es läuft also alles am Ende aufs Gleiche raus, mehr oder weniger, warum also dankbar sein, wenn das, sobald man sich zusammengetan hat, doch alles irgendwie selbstverständlich ist?

Seit den siebziger Jahren gibt es Studien, die belegen, dass Dankbarkeit Menschen anregt, Verbindungen zu anderen zu knüpfen: Wenn jemand einem geholfen hat, ist man dankbar und motiviert, Kontakt zu dieser Person zu suchen. Erst seit drei oder vier Jahren aber untersuchen Forscherinnen und Forscher, wie wichtig Dankbarkeit dafür ist, bereits bestehende Beziehungen zu erhalten, vor allem Liebesbeziehungen. Die Psychologin Amie M. Gordon von der University of California in Berkeley ist eine Pionierin der Dankbarkeitsforschung. Zusammen mit ihren Kollegen entdeckte sie den so genannten "Kreislauf der Wertschätzung", was so ziemlich das Gegenteil eines Teufelskreises ist.

Dieser Kreislauf beschreibt den engen Zusammenhang zwischen Anerkennung und Dankbarkeit. Wenn der eine Partner dem anderen seine Dankbarkeit ausdrückt für etwas, was dieser getan oder gesagt hat, oder einfach dafür, dass er da ist - dann fühlt der andere sich anerkannt, und dadurch steigt messbar seine Bereitschaft, selbst Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken.

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Im nächsten Schritt drückt also der Partner, der Dankbarkeit erfahren und Anerkennung bekommen hat, seinerseits aus, dass er dankbar ist, woraufhin sich wiederum der erste Partner anerkannt und angeregt fühlt, Dankbarkeit und Anerkennung auszudrücken ... und so weiter und so fort. Den Effekt nennen Amie Gordon und ihre Kollegen "Relationship Maintenance", Erhalt der Beziehung also. Klingt etwas unterkühlt, aber um nichts anderes geht es uns ja: Wenn wir die Beziehung nicht erhalten wollten, wären wir ja weg. Und das Faszinierende am "Kreislauf der Wertschätzung": Er zeigt, dass, wer sich nach Anerkennung in der Partnerschaft sehnt, diese bekommen wird, sobald er selbst Anerkennung verteilt.

Die meisten Konflikte in der Partnerschaft sind aber bekanntlich vor allem deshalb quälend, weil sie ausweglos erscheinen, und Anerkennung verteilen oder bekommen ist das Letzte, woran man denkt, wenn der andere die Steuerunterlagen nicht rausgelegt hat, sich beim Familienfest unmöglich aufgeführt hat oder vergessen hat, dass es diesen lockeren Plan gab, heute Abend endlich mal wieder was zu unternehmen. "Es ist immer das Gleiche mit dir, ich halte das nicht mehr aus, warum musst du immer ...?": In solchen Momenten ist Dankbarkeit das Letzte, woran man denkt, sie rutscht einem höchstens raus als grausame Parodie, mit einem bitter-ironischen "Danke, dass du mich sitzengelassen hast, wirklich toll von dir".

Aber vielleicht ist der Gedanke an den "Kreislauf der Wertschätzung" selbst in solchen Situationen ein Trost, weil er zeigt, dass es einfacher ist, etwas zu verändern, als es den Anschein hat. Partner, die einander ihre Dankbarkeit ausdrücken, sind zufriedener und fühlen sich einander näher, außerdem lässt sich über den Zeitraum von Gordons Studien feststellen, dass ihre Beziehungen länger halten.

Natürlich geht es aber nicht darum, in Augenblicken von Wut und Verzweiflung ein mantraartiges "Ich bin dir dankbar, ich bin dir dankbar" vor sich hin zu murmeln, um irgendwie wieder runterzukommen. Es geht darum, die Dankbarkeit in Momenten, in denen wir im Herzen Platz dafür hätten, aber einfach nicht dran denken, in unser Leben zu lassen. "Wenn wir die Rolle von Dankbarkeit in Beziehungen untersuchen, geht es uns nicht einfach darum, wie oft Leute Danke sagen, wenn ihr Partner den Müll runtergebracht hat", sagt die Psychologin Amie Gordon.

"Meine Definition von Dankbarkeit bedeutet, dass man nicht nur würdigt, was der Partner tut, sondern, wer er oder sie ist, als Mensch. Man ist nicht einfach nur dankbar, weil der Partner den Müll rausgebracht hat - man ist dankbar, einen Partner zu haben, der so aufmerksam ist zu wissen, dass man es hasst, den Müll rauszubringen. Dankbarkeit bedeutet, sich all der guten Seiten des Partners bewusst zu sein und sich darauf zu besinnen, warum man mit ihm oder ihr überhaupt eine Beziehung eingegangen ist."

Wenn einem das gelingt, werden die Situationen weniger werden, in denen einem alles ausweglos erscheint und in denen man sich ärgert über immer dasselbe. Weil man selbst mehr Anerkennung bekommt und weil man eine andere Rangfolge der Empfindungen herstellt. Okay, es ist immer noch ärgerlich, dass du den Steuerkram nicht rausgelegt hast, aber es ist nicht beziehungsbedrohend, existenzvernichtend, explosionswürdig: Wenn ich in Ruhe darüber nachdenke, dann bin ich dankbar dafür, dass wir uns vor 14 Jahren über den Weg gelaufen sind und dass wir klug und leidenschaftlich genug waren, um uns gemeinsam eine Welt und ein Leben aufzubauen, in dem wir steuerlich zusammen veranlagt werden. Das mag in letzter Konsequenz zu nervigem Papierkram und zum Wühlen in Schubladen führen, aber selbst das sind die Anzeichen von etwas Großem, für das ich, wenn ich ehrlich bin, Dankbarkeit empfinde.

"Dankbarkeit hilft Menschen, wieder das wahrzunehmen, was sie haben, statt das, was ihnen fehlt."

Dankbar sein, das klingt so unangenehm demütig, passiv und heilig, aber tatsächlich ist Dankbarkeit paradoxerweise weniger ein Gefühl und mehr Beschlusssache, eine ziemlich entschiedene Handlung, die erst mal demjenigen guttut, der dankbar ist. In einem Bericht der Fachzeitschrift "Mental Health Letter" der Universität Harvard ist dies einfach zusammengefasst: "Dankbarkeit hilft Menschen, wieder das wahrzunehmen, was sie haben, statt das, was ihnen fehlt. Und obwohl es seltsam erscheinen mag, wird diese Geisteshaltung stärker, je mehr man sie einsetzt und übt." Studien zeigen, dass Menschen, die Dankbarkeit empfinden und ausdrücken, gesünder und zufriedener sind.

Doch wenn wir Dankbarkeit in der Partnerschaft üben wollen, müssen wir in einem ersten Schritt das Gute überhaupt mal erkennen. Das erklärt der Eheberater und Autor Hans Jellouschek in seinem Buch "Achtsamkeit in der Partnerschaft". Viele Paare müssten erst wieder lernen, "ihre Wahrnehmung bewusst auf das Positive zu lenken" und dies dann auch mitzuteilen. Ihm geht es darum, dass wir die "ganze" Realität unserer Beziehung wahrnehmen; also nicht nur die Verschleißerscheinungen und die Krisensymptome auf der dunklen Seite des Spektrums, sondern auch das Positive auf der hellen Seite.

Dankbar sein: Wie schön, dass du mich liebst!
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Der Therapeut empfiehlt dafür ganz kleine Schritte: "Eine erste Übung in der Wahrnehmung der ‚ganzen' Realität unserer Beziehung besteht darin, dass wir uns für einige Zeit vornehmen, bewusst darauf zu achten, was uns heute den Tag über am Partner positiv aufgefallen ist." Und weil wir das sonst leicht vergessen oder übersehen, sollen wir es eintragen in ein kleines Heft. Die Beispiele, die er anführt, sind auf seltsame Weise rührend, weil sich hinter ihrer scheinbaren Banalität der verschwunden geglaubte Zauber einer Beziehung verbirgt, den man erst wieder sehen muss, um dankbar dafür zu sein: "Das kluge oder liebevolle Verhalten des Partners gegenüber anderen, zum Beispiel den Kindern, Verwandten, Bekannten; das Aussehen des Partners, Kleidung, Frisur, Auftreten; seine Pünktlichkeit, wenn wir verabredet sind; seinen Eifer beim Reparieren des Wasserhahnes oder sein Geschick und seinen guten Geschmack beim Herausfinden des richtigen Mobiliars für das neu einzurichtende Zimmer..."

Und wenn dann der Andere zu einem sagt: "Ich hab mich gefreut, als du eine halbe Stunde früher gekommen bist und plötzlich schon da warst; danke, dass du für uns gekocht hast, ich sterbe vor Hunger; wie gut, dass du mitgekommen bist", und wenn all das bedeutet: "Schön, dass du mich liebst" - dann muss es uns nur noch gelingen, den Dank auch anzunehmen. Wahrnehmen ist das Erste, Mitteilen das Zweite, Annehmen aber das Dritte und am Ende vielleicht Entscheidende: Denn ein Dank, der überhört und damit verschmäht wird, bleibt wertlos, und wer selbst keinen Dank annehmen kann, wird auch große Schwierigkeiten haben, einen auszusprechen.

Die wichtigste Übung der Dankbarkeit ist darum vielleicht nicht einmal, sie zu empfinden und auszudrücken, sondern Dank, Lob und Anerkennung erst mal überhaupt annehmen zu können. Das Selbstbewusstsein und die Stärke zu haben, um zu sich selbst sagen zu können: Ich habe diesen Dank verdient. Klingt vielleicht ein bisschen arrogant, aber das sagt ja die innere Stimme, in sympathisch bescheidenem Tonfall. Und gleich danach fügt sie hinzu, die innere Stimme: Danke für den Dank. Und voilà, der Kreislauf der Anerkennung.

Der Soziologe Georg Simmel hat Dankbarkeit "das moralische Gedächtnis der Menschheit" genannt - weil ohne Dankbarkeit für das, was andere vor uns erreicht und geleistet haben, weiterer menschlicher Fortschritt gar nicht möglich wäre, wir würden nur alles verschwenden und zerstören (was vielleicht darauf hindeutet, dass wir in dieser Hinsicht nicht dankbar genug sind, aber das ist ein anderes Thema). Vielleicht müssen wir so auch die Dankbarkeit sehen, wenn es um den Menschen geht, mit dem wir das Leben teilen: als moralisches Gedächtnis unserer Beziehung, als Würdigung der gemeinsamen Geschichte und der miteinander verbrachten Lebenszeit, ohne die eine gemeinsame Zukunft unmöglich oder sinnlos wäre. Weil wir ohne Dankbarkeit alles nur verschwenden und zerstören.

Text: Till Raether

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