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Spätes Babyglück: Mutter mit 40

Sie sind 40 und älter, rundum zufrieden, lieben ihren Beruf und genießen das Leben. Mutter werden ist kein Thema mehr, denken sie. Und dann passiert es doch.
Spätes Babyglück: Mutter mit 40
© Getty Images

Mit 41 Jahren wollte Anette Schnell beruflich noch mal richtig durchstarten. Anfang vergangenen Jahres ließ sich die studierte Romanistin für ein halbes Jahr von ihrem Sekretärinnen-Job freistellen, um an der Hamburger Uni einen Bretonisch-Lehrauftrag zu übernehmen. Außerdem wollte sie in dieser Zeit ihre ersehnte Auswanderung in die Bretagne vorbereiten.

Doch dann hat die langjährige Single-Frau sich Hals über Kopf verliebt - beim Tanzen in der Disco. Otfried, ein Gärtnermeister mit eigenem Betrieb, hat bereits zwei Kinder, lebt aber von seiner Familie getrennt. Drei Monate nach der ersten Begegnung ist Tochter Fryda unterwegs. "Wir haben es einfach darauf ankommen lassen", sagt Anette Schnell. Obwohl sie sich noch wenig kennen und 100 Kilometer voneinander entfernt wohnen, ist beiden sofort klar, dass sie das Kind wollen. "Es kam uns so vor, als hätte Fryda gesagt: ,Ich will jetzt! Und zu euch!'"

Fryda, der Wonneproppen, ist inzwischen ein knappes Jahr alt. Noch vor ein, zwei Jahrzehnten hätte man Frauen wie Anette Schnell ungläubig angeschaut. Heute werden in Deutschland jährlich rund 20.000 Kinder geboren, deren Mütter 40 oder älter sind - etwa die Hälfte davon ungeplant.

Mit 40 plus zum ersten Mal Mutter werden

Vor allem unter den hoch qualifizierten Frauen gibt es viele, die das Thema Kinderwunsch lange vor sich herschieben. Weil sie, wie Forscherinnen der Universität Hannover herausgefunden haben, nach langen Ausbildungszeiten erst beruflich Fuß fassen wollen. Weil sie befürchten, keine geeignete Betreuung zu finden, wenn sie in den Beruf zurückkehren wollen. Aber vor allem auch, weil ihnen über lange Zeit einfach der richtige Partner fehlt. Anette Schnell konnte sich erst mit ihrem jetzigen Freund eine Familie überhaupt vorstellen - auch wenn sie mit Frydas Vater noch bis ins kommende Jahr eine Fernbeziehung führen wird. "Mir war es wichtig, dass ich die Entscheidung für ein Kind gemeinsam mit einem Mann treffe und wir uns die Verantwortung teilen können", betont sie. "Das ging in früheren Verbindungen nicht." Außerdem habe sie sich erst jetzt "reif für ein Kind" gefühlt.

Monika Häußermann, Diplom-Psychologin und langjährige Pro-Familia-Beraterin in Berlin, hört diesen Satz oft von älteren Müttern. Andere berichten, sie hätten immer nur Männer kennen gelernt, die keine Kinder wollten.

So war es bei Gabriele Pannermayr: "Die Beziehungen, die ich früher gehabt habe, sind alle so abgelaufen: Sobald der Mann mitkriegte, dass ich Trauring und Familie im Blick hatte, war er schneller weg, als ich gucken konnte", sagt die gelernte Bauzeichnerin. Dennoch erinnert sie sich heute noch gern an ihre "Münchner Schickimicki-Zeit". An den Job als Chefassistentin in einer amerikanischen Computerfirma, das gute Gehalt, den großen Freundeskreis. Aber das Leben, das sie sich immer gewünscht hat, führt sie erst jetzt.

Gabriele Pannermayr ist "Nur-Hausfrau" und Mutter - mit Leidenschaft. Ihre Söhne Peter und Johannes sind acht und sechs Jahre alt. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich muss mich dafür entschuldigen, dass es mir so gut geht damit", sagt die 47-Jährige. Zehn Jahre ist es her, dass sie ihren späteren Mann bei Freunden traf und gleich wusste: Der ist es! Sieben Monate später war sie von dem leitenden Bankangestellten schwanger und zog mit ihm in seinen niederbayerischen Heimatort.

Auf ihren Beruf kann die lebenslustige Westfalin gut verzichten - nicht aber auf ihre Freiräume. Schon als die Kinder noch ganz klein waren, hat sie regelmäßig mit ihrer Freundin Städtetouren unternommen oder übers Wochenende alte Freunde in München besucht.

Nicht gerade üblich auf dem Land. Auch bekommen die Frauen hier ihre Babys in der Regel früher als in den Städten. "Da bin ich schon aufgefallen", erzählt Gabriele Pannermayr. Zweimal habe man sie für die Oma ihrer Kinder gehalten. "Angenehm war das nicht", gibt sie zu. "Aber da steh ich drüber."

40 und schwanger? Medizinisch gibt es wenig Risiken

Auch wenn viele 40-Jährige heute körperlich so fit sind wie ihre Mütter mit 30 - selbstverständlich ist es nicht, in diesem Alter noch schwanger zu werden. Bereits mit 35 fällt die Fruchtbarkeitskurve bei Frauen deutlich ab, ab 40 sinken die Chancen noch mal rapide. 40-Jährige erleiden doppelt so oft eine Fehlgeburt wie 30-Jährige. "Viele unterschätzen und verdrängen das", sagt die Gynäkologin und Buchautorin Christine Biermann (siehe Buchtipps). "Und manche glauben, eine Familie wie ihre Karriere oder ein Haus planen zu können."

Wenn es aber klappt mit der Schwangerschaft, ist die Chance, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, sehr groß. Das liegt zum einen daran, dass sich die vorgeburtlichen diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten erheblich verbessert haben. Zum anderen an den Frauen selbst. "Diese älteren Frauen sind alle so jung und fit geblieben", sagt Gynäkologin Biermann. "Sie kommen regelmäßig zur Vorsorge, ernähren sich gesund und bringen ihr Kind bestens vorbereitet zur Welt." Zwar müssen Frauen ab 35 eher mit Schwangerschaftsdiabetes, hohem Blutdruck und einer Plazentaschwäche rechnen. Aber solche Komplikationen sind heute gut behandelbar. Nur bei der Chromosomen-Anomalie Trisomie 21 (Down-Syndrom) ist das Alter der Mutter ein Risikofaktor für das Kind: Ist die werdende Mutter 31, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 1:800, ist sie 40, bereits bei 1:100.

Die meisten älteren Schwangeren wissen über dieses Risiko Bescheid und haben deshalb am Anfang ambivalente Gefühle. Mit Ultraschall und Bluttest kann der Arzt bereits um die 12. Woche das tatsächliche individuelle Risiko für ein Down-Syndrom abschätzen und es zwischen der 15. und 20. Schwangerschaftswoche durch eine Fruchtwasseruntersuchung definitiv klären. Behandelbar ist es aber nicht. Was bedeutet es also für die werdenden Eltern, wenn das Kind die genetische Abweichung tatsächlich hat, welche Konsequenz ziehen sie aus dem Ergebnis? Anette Schnell hat die Untersuchung gar nicht erst machen lassen: "Selbst wenn ein Down-Syndrom festgestellt worden wäre - eine Abtreibung wäre für uns nicht in Frage gekommen."

Simone Sever ist heute heilfroh, dass ihr Arzt sie überzeugt hat, die Fruchtwasseruntersuchung machen zu lassen: "Als ich das gute Ergebnis hatte, war ich viel entspannter." Wenn die beiden blonden Vierjährigen auf dem Spielplatz angelaufen kommen, kann sich die Hamburgerin nicht mehr vorstellen, dass sie früher nie Kinder wollte. Am Partner lag's nicht: Nach einer gescheiterten Ehe lebte sie bereits mehrere Jahre mit dem Inhaber einer Softwarefirma in einer glücklichen Beziehung. Doch das Muttersein passte lange nicht zum Selbstbild der Online-Redakteurin. Stattdessen: reisen, Spaß haben, zum Weihnachtseinkauf mal eben nach New York - "mein Mann und ich waren das typische Double-Income-no-Kids-Paar".

Bis Simone Sever mit 39 Jahren "gewaltig die biologische Uhr ticken hörte" - und das unabhängige Leben jeden Reiz verlor. Dann der Schock: zwei Eileiterschwangerschaften kurz nacheinander. Danach sah das Ehepaar eine künstliche Befruchtung als letzte Chance. "Psychisch war ich schon ziemlich mitgenommen", erinnert sich Simone Sever. "In einer solchen Situation fragt man sich: Warum hast du nur so lange gewartet?"

Entschlossen kündigte Simone Sever ihren Redaktionsjob, um sich ganz aufs Schwangerwerden zu konzentrieren. "Den Stress hätte ich sonst nicht ausgehalten." Die täglichen Hormonspritzen. Die Enttäuschung nach dem ersten gescheiterten Versuch. Das angespannte Warten auf das zweite Behandlungsergebnis. "Als ich schließlich die Nachricht bekam, dass ich wahrscheinlich Zwillinge erwarte, bin ich vor Freude in Tränen ausgebrochen." Simone Sever wurde innerhalb eines Jahres schwanger. So viel Glück haben längst nicht alle Frauen. Zwar kann die moderne Fortpflanzungsmedizin inzwischen immerhin jedem zweiten ungewollt kinderlosen Paar helfen. Aber meist sind mehrere Anläufe nötig. Und auch hier gilt: je höher das Alter, desto geringer die Chancen einer Schwangerschaft.

Mit 40 plus Mutter zu werden, hat Vorteile

Wenn das Kind dann da ist, gerät das Leben erst einmal aus den Fugen. "Ich bin sehr glücklich mit Fryda, aber es ist doch alles anstrengender, als ich es mir vorgestellt habe", sagt Anette Schnell. Chronische Müdigkeit, die ungewohnte körperliche Belastung vom ständigen Herumtragen des Babys, das Gefühl von Hilflosigkeit in den ersten Wochen beim Stillen. Manchmal heulte sie vor Erschöpfung - auch, weil sie alles möglichst perfekt machen wollte. Das ist typisch für ältere Mütter, hat die Gynäkologin Biermann festgestellt: "Bisher verlief ihr Leben in definierten Strukturen und nach Plan. Das funktioniert mit dem Baby oft nicht, und dann sind sie verunsichert." So musste Anette Schnell erst einmal "das Bild der Supermutter über Bord werfen". Sie hat dann früh ein Betreuungsnetz organisiert, um wenigstens stundenweise in ihrem Job arbeiten zu können. Und auch zu Hause sorgt sie besser für sich: "Heute lege ich mich mal hin, wenn Fryda schläft, und lasse die Küche Küche sein."

Bei älteren Müttern sind die Kraftreserven vielleicht schneller aufgebraucht. Dafür haben sie vielen jüngeren an psychischer Stärke und Gelassenheit etwas voraus. Das "Angebunden-Sein" macht ihnen weniger aus, und sie sind mit sich und ihrem Leben insgesamt mehr im Reinen. Das ist sogar wissenschaftlich erwiesen: "Unsere Erhebungen zeigen, dass ältere Mütter sich der veränderten Situation besser gewachsen fühlen als jüngere. Sie haben ein gutes Selbstvertrauen und verlassen sich auf ihre Fähigkeit, Dinge anzupacken", sagt Christian Alt vom Deutschen Jugendinstitut. Das wirkt sich auch auf die Entwicklung der Kinder positiv aus. Hinzu kommt, dass die meisten in finanziell abgesicherten Verhältnissen aufwachsen.

Auch für Simone Sever war die erste Zeit mit den Zwillingen eine Kraftprobe. "Mit zwei Babys ist alles noch mal eine Ecke härter", erinnert sie sich. Nur gut, dass ihr Mann alles mitgemacht hat: wickeln, füttern, nachts aufstehen. "Das hat uns noch mehr zusammengeschweißt", sagt die 44-Jährige, die inzwischen halbtags in der Firma ihres Mannes arbeitet. Trotz aller Anstrengung hat sie das Leben mit ihren Söhnen von Anfang als Geschenk empfunden. "Diese unbedingte Liebe kannte ich vorher nicht", sagt sie. "Es macht mir einfach Freude, mit den Kindern zusammenzusein, ihnen zuzuhören, wenn sie irgendeinen Quatsch reden. Das finde ich inzwischen schöner, als abends auszugehen und ein Glas Sekt zu trinken."

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Text: Ingrid OstlenderFoto: Getty Images

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