Anzeige

"Es kommen immer neue Mosaiksteine dazu"

Familienfotos
© LiliGraphie / Shutterstock
Die leibliche Mutter von Joachim Held war eine Prinzessin von Anhalt, aufgewachsen ist er bei einer Hamburger Lehrerin. Ein Interview mit dem Musiker über seine Suche nach den eigenen Wurzeln.

BRIGITTE-woman.de: Wann haben Sie von Ihrer Herkunft erfahren?

Joachim Held: Mit 16. Dass ich adoptiert bin, wusste ich schon vorher, ich war ja die ersten fünf Jahre meines Lebens im Kinderheim. Doch als Kind hat es mich nie interessiert, woher ich komme, von wem ich vielleicht bestimmte Eigenschaften geerbt habe. Erst in der Pubertät wollte ich mehr darüber wissen und habe meine Mutter gefragt ...

BRIGITTE-woman.de: ... die Ihnen eröffnete, dass Ihre leibliche Mutter eine Prinzessin von Anhalt war. Wie haben Sie das aufgenommen?

Joachim Held: Es war ein Schock für mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Frau, die aus so hohem Hause stammt, ihr Kind weggibt.

BRIGITTE-woman.de: Waren Sie nicht neugierig auf Ihre adlige Familie?

Joachim Held: Ich wollte erst einmal nichts von ihr wissen. Meine Mutter hat alles versucht, um mein Verständnis zu werben und mir erklärt, dass meine leibliche Mutter damals wahrscheinlich keine andere Wahl hatte. Sie war zwar verheiratet, aber ich war das Kind eines anderen Mannes, und in ihren Kreisen war das ein Skandal. Mich interessierten diese Informationen nicht, ich blieb bei meiner Meinung.

BRIGITTE-woman.de: Inzwischen sind Sie ein bekannter Musiker. Sie haben sich als Lautenist einen Namen gemacht, geben Konzerte, haben Solo-CDs herausgebracht und den "Echo Klassik"-Preis gewonnen. Hat sich in den ganzen Jahren nie ein Verwandter bei Ihnen gemeldet?

Dass es herausgekommen ist, war Zufall.

Joachim Held: Es wusste ja niemand, wo ich bin und wie ich jetzt heiße. Dass es dann sozusagen herausgekommen ist, war ein gerade unglaublicher Zufall. Vor einigen Jahren hat der Bayerische Rundfunk einen Film über meine Mutter Ruth Held gedreht. Sie hat als Schülerin in der NS-Zeit unter Lebensgefahr Zwangsarbeitern und verfolgten Juden geholfen. Vor allem darum sollte es ursprünglich in dem Film gehen. Die Redaktion war dann aber fasziniert davon, dass Ruth Held später gegen alle Widerstände als allein stehende Frau ein Kind adoptiert hat. So wurde dies zum zentralen Thema des Films. Er heißt: "...viel mehr als eine Mutter". Kurze Zeit nach der Sendung hat sich mein Halbbruder, der älteste Sohn meines Vaters, bei der Regisseurin gemeldet. Seine Tochter hatte den Film gesehen und die Familienähnlichkeit erkannt.

BRIGITTE-woman.de: Seitdem haben Sie einen Bruder.

Joachim Held: Das ist vielleicht das größte Wunder an der Geschichte. Ich bin sofort zu ihm gefahren. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich einem Menschen begegnet, der mit mir blutsverwandt ist – und er ist mir heute sehr wichtig.

BRIGITTE-woman.de: Damit hatten Sie Ihre Familie wieder gefunden, aber Ihre Eltern waren beide bereits tot. Und Sie haben erst im Nachhinein erfahren, dass Ihre leibliche Mutter sich gelegentlich nach Ihnen erkundigt hat. Nehmen Sie es Ihrer Adoptivmutter manchmal übel, dass Sie Ihnen diese Kontakte verschwiegen hat? Vielleicht hätten Sie Ihre leibliche Mutter nicht so entschieden abgelehnt, wenn Sie davon gewusst hätten.

Joachim Held: Übelnehmen wäre zu viel gesagt. Ich hätte es schön gefunden, wenn ich mich unvoreingenommen hätte entscheiden können. Andererseits kann ich verstehen, dass meine Adoptivmutter so eine Begegnung lieber vermeiden wollte.

BRIGITTE-woman.de: Warum? Hatte sie Angst, Sie wieder zu verlieren?

Joachim Held: Sicher nicht in dem Sinn, dass ich zu meiner leiblichen Mutter zurückgegangen wäre. Das wäre für mich undenkbar gewesen, ich war ihr Kind. Aber der Kontakt mit dieser fremden Welt aus der ich kam, wäre mir damals wahrscheinlich nicht gut bekommen. Mein Wesen war so wenig gefestigt, ich war mitten in der Pubertät. Sicherheit war in dieser Zeit das Wichtigste für mich.

BRIGITTE-woman.de: Was glauben Sie, wie Ihr Lebensweg verlaufen wäre, wenn Sie bei Ihrer leiblichen Mutter aufgewachsen wären?

Joachim Held: Sicherlich deutlich anders, auch wenn ich darüber nicht spekulieren mag. Dass ich die Musik für mich entdeckt habe, dass sie mein Beruf geworden ist, habe ich meiner Adoptivmutter Ruth Held zu verdanken ...

Meine Mutter war schon in den sechziger Jahren emanzipiert.

BRIGITTE-woman.de: die Sie bis heute Ihre seelische Mutter nennen.

Joachim Held: Sie war die beste Mutter, die ein Kind haben kann und eine außergewöhnliche Frau. Sie war schon in den sechziger Jahren emanzipiert, hat ihr eigenes Geld verdient, mich allein großgezogen. Und sie hat meine Begabung gefördert, ohne mich in eine bestimmte Richtung zu drängen. Wir hatten bis zum Schluss ein inniges Verhältnis – auch wenn ich mich als Erwachsener manchmal abgrenzen musste gegen ihre übergroße Mutterliebe.

BRIGITTE-woman.de: Die Geburt ihres Enkelkindes hat sie nicht mehr erlebt.

Joachim Held: Leider nicht. Aber sie war bei meiner Hochzeit noch dabei, wenn auch schon sehr krank. Und für unseren älteren Sohn aus der ersten Ehe meiner Frau war sie die Oma.

BRIGITTE-woman.de: Auf der Suche nach Ihren Wurzeln haben Sie auch viel Schmerzhaftes erlebt. Würden Sie sich heute noch einmal auf den Weg machen, wenn Sie die Wahl hätten?

Joachim Held: Auf jeden Fall. Die Begegnung mit meinen genetischen Wurzeln hat mir so viel Kraft gegeben. Und die Spurensuche geht ja weiter, es kommen immer wieder neue Mosaiksteine dazu. Zum Beispiel hat sich die Fürsorgerin gemeldet, die damals meine Adoption begleitet hat. Sie hatte mein Buch gelesen, und wir haben uns gleich getroffen. So habe ich noch vieles über meine ersten Jahre im Kinderheim erfahren. Ich habe die Gräber meiner Eltern besucht, reise an Orte, an denen sie gelebt haben und spreche mit Menschen, die sie gekannt haben. So hole ich mir nach und nach den Anfang meiner Lebensgeschichte zurück.

Joachim Held

Joachim Held, 1963 in Hamburg geboren, hat sich schon früh als Lautenist einen Namen gemacht. Er arbeitet mit renommierten Orchestern wie dem Mailänder Giardino Harmonico und namhaften Dirigenten wie Nikolaus Harnoncourt zusammen und gibt Solokonzerte auf Festivals im In- und Ausland. 2006 wurde er als erster Lautenist überhaupt mit dem "Echo Klassik"-Preis ausgezeichnet. Seit 2007 hat er eine Professur für Laute am Königlichen Konservatorium in Den Haag. Mit seiner Frau Bettina, einer Sopranistin (bekannt unter ihrem Geburtsnamen Bettina Pahn) tritt Joachim Held im Duo auf. Das Paar lebt mit seinen beiden Söhnen in Hamburg.

Weitere Info und Hörproben auf den Websites von Bettina Pahn bettinapahn.com und Joachim Held joachim-held.de.

Adressen zum Thema Adoption

Bundesarbeitsgemeinschaft Adoptierter

PFAD, Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V.

Autor: Christine Tsolodimos

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel