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Funkstille zwischen den Generationen?

Nein: Gerade Enkel und Großeltern gehen heute besonders entspannt miteinander um. Drei besondere Paare sagen, was sie aneinander schätzen.

Jana Franke: "Das Leben meiner Großmutter macht mir Mut."

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Jana Franke, 41, Malerin, lebt mit dem Galeristen Gerd Harry Lybke und der gemeinsamen kleinen Tochter in Berlin "Seit ich selbst eine Tochter habe, interessiere ich mich viel mehr für meine Familie. Das hat dazu geführt, dass wir seit einigen Jahren wieder als Großfamilie zusammengefunden haben, mit Urgroßmutter, Großeltern, Eltern und Enkelin. Zwar wohnen nicht alle in Berlin, aber wir telefonieren täglich und besuchen uns oft. Wir möchten unserer Tochter vermitteln, dass Familie ein Ort ist, wo man lieben, erzählen und streiten kann. Schließlich erleben wir doch mit unseren engsten Verwandten die Dinge, die uns das ganze Leben begleiten. Mir macht das Leben, das meine Großmutter geführt hat, Mut. Sie hat es kurz nach dem Krieg geschafft, an die Hochschule zu gehen, zu promovieren und später auch in ihrem Beruf zu arbeiten. Ich habe viel mit ihr und mit meinen Eltern über die Vergangenheit gesprochen und erfahren, dass ich bereits zur dritten Frauengeneration in unserer Familie gehöre, die studiert hat: Meine Mutter war Chefin der Jugendmode im Modeinstitut der DDR, meine Großmutter Dozentin an der Humboldt-Uni – trotz Mann und Kindern."

Svatava Frankova: "Jana will mehr über mich wissen, als meine Kinder."

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Svatava Frankova, 84, Ex-Dozentin für Slawistik in der DDR, lebt in Berlin "Für mich wurde die Familie im Alter erneut wichtig. Zum einen, weil ich im Ruhestand offener geworden bin. Zum anderen, weil sich meine Enkelin Jana viel mehr für meine Vergangenheit interessiert als meine eigenen Kinder. Ich bin sehr dankbar, dass wir inzwischen so einen engen Kontakt haben. Aber ich weiß auch, Lebenserfahrungen kann man nur jemandem vermitteln, der sich dafür interessiert. Das heißt, dass wir sensibel damit umgehen müssen und merken müssen, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist: zum Erzählen und zum Zuhören. Wenn mich Jana nach meinem Leben fragt, erzähle ich zum Beispiel, wie es für mich war, mit einem viel älteren Mann verheiratet gewesen zu sein, ihrem Großvater. Wie mir der Altersunterschied zuerst nicht aufgefallen ist. Wie ich ihn dann lange gepflegt habe und wie schwer es mir gefallen ist, ihn vorübergehend ins Heim zu geben, weil ich es nicht mehr schaffte. Man kann den Altersunterschied nicht wegwischen, das versuche ich weiterzugeben. Trotzdem haben zwei meiner Enkel den gleichen Fehler gemacht."

Lara Joy Körner: "Mein Großvater ist immer seinen eigenen Weg gegangen."

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Lara Joy Körner, 29, Schauspielerin, drei Kinder, lebt in München "Meine Eltern trennten sich, als ich noch keine zwei Jahre alt war. Deshalb habe ich sie ganz selten zusammen erlebt. Aber das ist mir nicht negativ aufgefallen, ich kannte es ja nicht anders. Wenn sich die beiden dann trafen, sind sie nett miteinander umgegangen. Das ist eine wertvolle Erinnerung für mich. Wie man in einer Partnerschaft mit Konflikten umgehen kann, habe ich von meiner Mutter und meinem Stiefvater gelernt. Sie haben ihren Stress nie verheimlicht. Wir Kinder kriegten die Auseinandersetzung mit – und auch die Versöhnung danach. Rückblickend finde ich das gut, weil wir so gelernt haben, dass Streiten zu jeder Beziehung gehört. Heute habe ich selbst eine wunderbare Patchwork-Familie mit fünf Kindern. Zwei hat mein Mann mitgebracht, eins ich, und zwei haben wir zusammen bekommen. Ihnen will ich vermitteln, dass man Probleme immer ansprechen muss. Viele Leute geben sich in einer langjährigen Liebe selbst auf oder übernehmen einseitig die Vorlieben des Partners. Dass das anders geht, hat mir mein Großvater vorgelebt. Er ist seinen eigenen Weg gegangen, war als Discobesitzer oft von schönen Frauen umringt. ,Hauptfrauen' aber gab es nur sehr wenige. Gerade hat er mit seiner zweiten Ehefrau goldene Hochzeit gefeiert. Ich bewundere ihn auch für seine Herzlichkeit."

Charlie Büchter: "Lara möchte ich zeigen, wie wichtig eine lange Leine ist."

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Charlie Büchter, 80, Ex-Promiwirt, lebt in Düsseldorf "Beziehungen – da habe ich mit meinen 80 Jahren natürlich einiges an Erfahrungen gesammelt. Ich habe gelernt, dass das Glück in einer Ehe immer von beiden Beteiligten abhängt. Da kann der eine sich noch so anstrengen, wenn der andere nicht mitspielt, nützt das alles nichts. Meine erste Ehe, wir waren beide noch sehr jung damals, hielt nur kurz. Unsere Interessen gingen sehr auseinander: Sie war ein richtiges Mädchen, und ihre ganze Begeisterung richtete sich auf Schuhe mit hohen Hacken und Hüte mit Schleiern. Ich dagegen wollte bergsteigen und andere Abenteuer erleben. Zum Glück lief die Trennung gütlich ab, wir haben sogar nach der Scheidung zusammen Kaffee getrunken. Meiner Enkelin möchte ich gern weitergeben, dass das Wichtigste an einer Liebesbeziehung ist, sich an einer langen Leine zu lassen, damit jeder seinen Interessen nachgehen kann. Aber je älter man wird, desto fürsorglicher muss die Liebe werden. Mit den Jahren wird es immer wichtiger, dass man jemanden an seiner Seite weiß, der einem helfen kann, wenn es nötig wird."

Benjamin Lebert: "Uns verbindet ein spezieller Moment."

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Benjamin Lebert, 26, Schriftsteller, lebt in Hamburg "Meine Großmutter und ich haben vor sieben Jahren ein Kinderbuch zusammen geschrieben: "Die Geschichte vom kleinen Hund, der nicht bellen konnte." Er streckte den Hals, verrenkte die Zunge, doch sosehr er sich auch mühte, er brachte keinen Ton heraus. Deshalb machte er sich auf den Weg und fragte viele verschiedene Tiere, ob sie ihm nicht zeigen können, wie man bellt. Konnten sie, aber das nützte dem kleinen Hund gar nichts. Schließlich wird klar, dass dem Hund erst jemand auf den Schwanz treten muss, damit er das Bellen lernt. So ist das auch mit der Erfahrung. Man muss sie selbst machen. Sie ist nicht übertragbar, keiner kann sie für einen machen oder einem vormachen, wie es geht. Wir haben das Buch in einer Nacht geschrieben. Dieses Schreiberlebnis verbindet mich bis heute sehr mit meiner Großmutter. Dass man Erfahrungen teilen kann, halte ich trotzdem für eine Illusion. Wir können Zeit miteinander verbringen, doch in Wahrheit sind wir alle einsam. Und deshalb müssen wir uns auch mitteilen. Für mich ist das Schreiben die einzige Kommunikationsmöglichkeit. Es ist meine Art, etwas von mir zu zeigen, so dass es andere Leute erkennen können."

Ursula Lebert: "Seit seinem Buch sehe ich junge Leute mit anderen Augen."

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Ursula Lebert, 77, Journalistin, lebt bei München "Schmerz und Verlust, die fallen mir zuerst ein, wenn ich über das Wort Erfahrung nachdenke. Begegnungen mit Krankheit und Tod gehören für mich unbedingt dazu. Sicherlich liegt das auch an meinem Alter. Ich versuche solche Ereignisse anzunehmen, doch sie verändern einen persönlich sehr. Man kann aber nicht weiterleben, indem man solche Erlebnisse wegschmeißt. Ohne Angst und Leid ist Erfahrung überhaupt nicht denkbar. Ich habe im Laufe meines Lebens bemerkt, das man seinen Kindern und Enkeln gern ein paar Ängste ersparen möchte. Und deshalb versucht man, seine Erfahrungen weiterzugeben. Das geht aber nur, indem man sie verallgemeinert: Sei bitte gewappnet, dass zum Beispiel nach einem Zustand von großem Glück die Kurve immer runtergehen muss. So ist es vermittelbar. Man kann niemandem etwas ersparen, aber man kann helfen, Dinge anders zu sehen. Besonders schön geht das in Form eines Romans. Mein Enkel Benjamin hat ja 1999 ,Crazy' veröffentlicht, ein Buch über seine Pubertät. Wenn ich heute junge Leute sehe, kann ich sie mit seinen Augen betrachten. Jetzt weiß ich, was ein Junge denkt, wenn er einer Blonden mit kleinem Hintern nachsieht."

Protokolle: Martina Hinz<br/><br/>Fotos: Markus Tedesking

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