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Wenn erwachsene Kinder zu Besuch kommen ...

Wenn erwachsene Kinder zu Besuch kommen ...
© Steger/Corbis
... bringen sie Hunger und Schmutzwäsche mit. BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiterin Evelyn Holst hat gern die erwachsene Tochter zu Besuch - aber bitte nur kurz.

Es war trotz allem ein melancholischer Anblick, dieses leer geräumte Jugendzimmer meiner Tochter Lea. Nach dem Abitur hatte sie ein Jahr lang "gechillt", ein paar Praktika und sich sehr viel weniger Sorgen gemacht als ihre kleinkarierte Mutter, die sich bei dem lästigen Thema "Zukunft" so schlecht "lockermachen" konnte. Insofern war ich heilfroh, dass sie jetzt in München auf eine Wirtschaftsschule ging. Nie wieder wollte ich nachmittags eine noch immer verschlafene Tochter erleben, die mit einem "Hast du meine Jeans gewaschen, Mamilein?" Müsli in eine Schale rieseln ließ und dabei die Hälfte verschüttete. Nie wieder wollte ich mich über die Müllhalde ärgern, die sich hinter ihrer Zimmertür befand. Zwar hatte ich "Sauberfreak" (Lea über mich) mir mühsam angewöhnt, nur noch verklebte Teller, verschimmelte Joghurtbecher und volle Aschenbecher in unregelmäßigen Abständen zu entfernen, trotzdem störte mich allein die Vorstellung, was da für ein Unheilkosmos, nur eine Wand von meinem Arbeitszimmer getrennt, vor sich hin gärte. Ich wollte auch nie wieder um Mitternacht nach Hause kommen und mich auf mein Bett freuen, um dann bereits im Treppenhaus zu hören, dass Lea sich mit ihren Freundinnen und einer Flasche Wodka für nächtliche Abenteuer in Stimmung brachte.

Deswegen war ich zwar einerseits traurig, dass die trotz allem sehr schöne Phase mit den Kindern vorbei war, andererseits genoss ich es mit allen Sinnen - optisch und akustisch -, dass meine Wohnung wieder mir gehörte. Meinen Freundinnen ging es ganz genauso.

Klar, es gab diese trüben Momente, in denen uns die Wohnung zu groß, zu leer, manchmal sogar zu leise vorkam, in denen wir diese wilde junge Energie vermissten und das Flüggewerden unserer Kinder wie einen ungewollten Alterungsschub erlebten. Keine Gespräche am Küchentisch über neue Bands, nervige Lehrer, Liebeskummer oder Intimwaxing mehr, stattdessen welche über Prostataprobleme, freiliegende Zahnhälse und Hitzewallungen.

Als Lea das erste Mal aus München nach Hause kam, freute ich mich deshalb riesig. Dass sie ihren halb geplatzten Koffer in ihr Zimmer schmiss, das in Sekundenschnelle von aufgeräumt zu messie mutierte, kein Thema. Und dass sie nach einer kurzen Begrüßung ihre Freunde anrief, nach gefühlten drei Minuten mit einem "Tschüs, Mami, hab dich lieb" aus der Tür war und erst im Morgengrauen wieder nach Hause kam, auch nicht so schlimm. Obwohl - ein bisschen gekränkt war ich schon. An diesem ersten Wochenende verbrachten wir maximal eine Stunde miteinander, und ich begriff, was meine Freundin Petra mit ihrem Satz "Für meine Kinder bin ich ja nur noch eine Tankstelle!" meinte. Meine amerikanische Freundin Susan nennt sich "walking wallet", das Portemonnaie auf zwei Beinen.

Sie meinen es gar nicht böse

Ja, so ist es leider: Unsere Kinder kommen nach Hause, und in der heutigen Zeit tun sie es häufiger denn je, und tanken. Geld, frische Wäsche, selbst gebackenen Apfelkuchen.

Sie meinen es dabei nicht böse und kommen gar nicht auf die Idee, dass wir irgendwann genervt und erschöpft sein könnten. Aber wir sind es, denn sie kann sich heutzutage schier endlos dehnen, die Periode zwischen Abitur und finanzieller Selbständigkeit. Wir sind leider die Eltern der "Generation Praktikum", und wenn wir späte Eltern sind, kriegen wir irgendwann Rente und Kindergeld gleichzeitig.

"Wir haben keine Lust mehr, in einer WG zu leben, in der wir alle Pflichten und unsere Kinder alle Rechte haben"

Und das ist anstrengend, denn jenseits der 50 oder sogar der 60 haben wir keine Lust mehr, in einer WG zu leben, in der wir alle Pflichten und unsere Kinder alle Rechte haben. "Wie erlebe ich mein 28-jähriges Kind, wenn es zu Hause ist?", sagt meine Freundin, 64. "Mit Wäschebergen, mit einem leeren Kühlschrank, mit schlaflosen Nächten, weil die 50. Bewerbung geplatzt ist."

Viel schneller als unsere Kinder haben wir deshalb bei aller Elternliebe das Bedürfnis, uns von ihnen zu "emanzipieren", die Versorgerrolle abzulegen, finanziell und emotional. Aber wie ein Bumerang kommen sie wieder, zwischen den Praktika oder Einjahresverträgen, nach einer abgebrochenen Ausbildung oder weil sie keinen Job finden. Tief beleidigt wären sie, wenn wir ihre Kinderzimmer inzwischen anderweitig benutzten oder es gewagt hätten, in eine kleinere Wohnung zu ziehen.

Sie sind nicht schuld, es ist die Zeit, es ist die Krise, trotzdem beneiden wir rückblickend unsere Eltern, denn wer in unserer Generation mit über 20 noch zu Hause wohnte, wurde ausgelacht. Gute alte Zeit! In meinem Freundeskreis haben wir den Ikea-Slogan umgedichtet: "Verdienen sie schon oder kosten sie noch?" Meine Tochter wird im Herbst, nach ihrem Bachelor, "vorübergehend" wieder bei uns einziehen. Ich werde mir schon mal Ohrenstöpsel kaufen.

Text: Evelyn Holst BRIGITTE woman 11/13

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