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Die Kunst, in kurzen Sätzen zu sprechen

Durch ihre Demenz verlieren alte Menschen nicht nur ihre Erinnerung, die Krankheit raubt ihnen oft auch die Sprache. Wie Angehörige trotzdem mit ihnen reden können.

Jeden Morgen macht Arthur Roth* seiner Frau Marie und sich in seinem Haus in Mannheim das Frühstück, seit vierzig Jahren. Aber seit einigen Monaten findet er jeweils die Teetassen nicht mehr. Dann sagt seine Frau, er solle sie suchen. Also öffnet er alle Schubladen und jedes Schränkchen in der Küche, bis er fündig wird. Es dauert, aber das ist für beide in Ordnung, weil es seine Art ist, gegen die Alzheimerkrankheit anzukämpfen.

Marie Roths positive innere Haltung ist für ihren Mann sehr wichtig, betont die Linguistin Svenja Sachweh. Sie gründete vor sieben Jahren das Bochumer Institut Talkcare und vermittelt seither Pflegekräften in Deutschland und in der Schweiz, wie diese auf die kognitiven, sprachlichen und emotionalen Besonderheiten von Menschen mit Demenz eingehen können. Bei zwanzig Prozent der Demenzkranken entsteht die Demenz durch gefässbedingte Probleme: Das Gehirn nimmt durch kleine Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen Schaden. Darüber hinaus gibt es rund einhundert weitere Krankheitsursachen für den schleichenden Gedächtnisverlust, beispielsweise Morbus Parkinson.

Demenz bedeutet den Verlust der Sprache

Trotz dieser unterschiedlichen Ursachen zeigen jedoch alle Demenzformen auch Gemeinsamkeiten: Sie sind fast immer irreversibel und die Betroffenen verlieren die Fähigkeit, im Gehirn Informationen zu speichern oder bereits gespeicherte Informationen abzurufen. Das geht früher oder später auch immer mit dem Verlust der Sprache einher. "Hund" statt "Katze" Anfangs kaschieren Betroffene das, indem sie statt der fehlenden sinnverwandte Worte benutzen, zum Beispiel Buch statt Zeitung. Oder sie verwenden inhaltlich ähnliche Begriffe, sagen "Mutter" und meinen "Tochter", sagen "Hund" und meinen "Katze". Oft überspielen sie ihre Wissenslücken auch durch Füllwörter wie "Dings" oder setzen mit einem "Du weisst schon, was ich meine" auf die Phantasie ihres Gesprächpartners. In einem späten Krankheitsstadium verwechseln die Betroffenen dann ähnlich klingende Wörter, sagen zum Beispiel "strafen" statt "schlafen" oder erwähnen in einem Gespräch über Blumen ihre "Lokusse" im Garten.

Für Angehörige ist es schwer, diese neuen Sprachregeln zu durchschauen und sie zu akzeptieren. "Zentral ist, dass Demenzkranke viel mehr als Gesunde auf Körpersprache achten", sagt Svenja Sachweh. Angehörige und Pflegende sollten daher lernen, ihre Körpersprache zu kontrollieren und sie bewusst einzusetzen. "Haben Sie aus irgendeinem Grund eine Sorgenfalte auf Ihrer Stirn, wird der Demenzkranke verunsichert oder ablehnend reagieren", sagt sie. Strahle man dagegen Interesse und Freude an einem Kontakt aus, werde der Kranke sich auf einen einlassen.

* Namen der Betroffenen geändert

Doch je stärker die Sprachfähigkeit angegriffen ist, umso schwieriger wird die Kommunikation. Was ist zu tun, wenn ein Demenzkranker nur noch angeekelte Töne ausstossen kann, wenn ihm Marmelade an den Händen klebt? Svenja Sachweh schildert es folgendermassen: «Idealerweise drücken Sie aus, dass Sie sich in seine Lage versetzen können und bieten eine Lösung des Problems an, zum Beispiel: Das klebt, nicht wahr? Das ist eklig, das kann ich verstehen. Kommen Sie mal mit zum Waschbecken. Da können Sie die Marmelade abwaschen.» Nicht sagen sollte man dagegen, dass die Sache doch gar nicht so schlimm sei. Und weil unsicher ist, wie gut hochgradig an Demenz erkrankte Menschen gesprochene Sprache überhaupt verstehen, sei es wichtig, körpersprachlich zu unterstreichen, was man meine. In diesem Fall also auf das Waschbecken zu deuten und das Händewaschen pantomimisch vorzumachen.

Kaum erforscht: die Auswirkung der Demenz auf die Partnerschaft

Arthur Roth versteht auch ohne besondere körpersprachliche Untermalung noch vieles, was seine Frau zu ihm sagt. Wie das Leben des Paares aussehen wird, wenn er die Sprache verloren hat, malt sich seine Frau nicht aus. Lieber konzentriert sie sich weiterhin darauf, was Arthur noch kann. Als er einige Wochen später neben den Tassen auch die Marmelade nicht mehr findet, bittet sie ihn geduldig, sie zu suchen. Was Demenz-Krankheit für die Kommunikation zwischen Paaren bedeutet, ist bisher kaum erforscht. Mike Martin, Professor für Psychologie und Rainer Hornung von der Fachgruppe Sozial- und Gesundheitspsychologie der Universität Zürich lancierten deshalb eine bis Ende 2008 dauernde Längsschnittstudie an 37 Paaren.

Studienleiterin Melanie Braun analysiert dabei auch Videoaufzeichnungen, die zeigen, wie gesunde Ehefrauen mit ihren leicht- bis mittelschwer an Alzheimer leidenden Partnern etwas planen, zum Beispiel einen Ausflug. Dabei machte die Psychologin die Beobachtung, dass Frauen vor der Videoaufnahme oft einwendeten, ihr Mann spreche ja kaum noch. Anschliessend waren sie selbst überrascht, wie intensiv ihr Partner sich beteiligte. "Gesunde trauen jemandem mit der Diagnose Demenz sehr schnell keine Kommunikationsfähigkeit mehr zu", meint deshalb Melanie Braun.

Paare, die die Kommunikation vorzeitig aufgeben, verpassen jedoch die Chance, noch vorhandene Fähigkeiten zu stabilisieren und zu fördern. "Paare, die Gedächtnistraining machen, indem sie beispielsweise zusammen Kreuzworträtsel lösen oder die Konzentrationsfähigkeit durch Brettspiele trainieren, haben durchaus eine Chance, den Verlauf der Krankheit zu mildern oder hinauszuzögern", sagt Braun. Eine wesentliche Rolle spiele dabei auch, Menschen mit Demenz so lange in ihrer Selbständigkeit zu fördern, wie es nur gehe. Marie Roth handelt daher genau richtig, wenn sie ihren Mann jeden Tag motiviert, das Frühstück zu machen.

Fünf Tipps für eine harmonische Kommunikation bei Demenz

  • Menschen mit Demenz können langen Sätzen nicht folgen. Darum sollte man sich möglichst kurz ausdrücken und deutliche Pausen zwischen einzelnen Sätzen machen. Günstig ist es auch, langsam zu reden.
  • An Demenz erkrankte Menschen nehmen Sprache wörtlich. Formulierungen wie ins Gras beißen', ‚sich schwarz ärgern' oder ‚in die Luft gehen' verstehen sie nicht so, wie sie gemeint sind. Schlägt man einem schwer Demenzkranken vor, sich die Hände im WC zu waschen, kann es passieren, dass er das für bare Münze nimmt und sich in der Toilettenschüssel die Hände sauber macht.
  • Entweder-oder-Fragen rufen Unsicherheit hervor. Auf sie erntet man häufig eine Gegenfrage wie ‚Was ist denn richtig?' oder ein wütendes ‚Ist mir doch egal.' Besser ist es, konkrete Vorschläge zu machen.
  • Demenzkranke verstehen keine Witze mehr, aber sie lachen über nonverbalen Humor, etwa über Sketche von Dick und Doof oder Mister Bean.
  • Wenn Menschen mit Demenz sich falsch behandelt fühlen, zeigen sie das. Sie wenden sich vielleicht einfach ab und gehen oder sagen unverblümt: ‚Halt' die Klappe.' Diese Abfuhr sollte man akzeptieren und nach einigen Minuten einen neuen Kontaktversuch starten. Meist vergisst der Demenzkranke seinen Unmut bis dahin.

Zum Weiterlesen: Svenja Sachweh: "Spurenlesen im Sprachdschungel - Kommunikation und Verständigung mit demenzkranken Menschen", Verlag Hans Huber 2008, Bern, 24,95 Euro

Text: Sabine Laerum

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