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Bei den Eltern wohnen: Zurück zu Mama

Fernsehen und Pizza
© Star Stock / Shutterstock
Wie ist es, wenn erwachsene Kinder wieder bei den Eltern wohnen? Eine Familie berichtet von ihren Erfahrungen.

Die Mutter Thea, 55 Jahre, Rechtsanwältin

Zugegeben, als Lisa auszog, konnte ich sie kaum gehen lassen. Sie war doch unser Küken, gerade mal 19 und kurz vorm Abitur. Aber sie wollte weg. Begründung: Ich hätte was gegen ihren Freund. Quatsch! Mich nervte nur, dass er ständig da war. Ich konnte ja nicht mal morgens ins Bad huschen, ohne ihn zu treffen. Lisa verstand das nicht und sagte eines Tages, sie würde mit Sebastian zusammenziehen. Ihr Vater hätte sein Okay gegeben. Gott, war ich sauer. "Wieso erlaubst du das?", fragte ich Holger wütend. Er zuckte mit den Schultern. "Lisa ist volljährig. Die macht doch sowieso, was sie will."

Als sie auszog, hätte ich mich am liebsten verkrochen. Aber dann hab ich sie doch fest umarmt und gesagt: "Du kannst jederzeit zurückkommen!" Sie gab mir gnädig einen Kuss: "Ich weiß!" Und nun steht sie da und beruft sich auf mein Versprechen von damals. Ja, ich hab's gesagt. Aber mein Leben hat sich in der Zwischenzeit verändert. Ich hab mich verändert. Als vor Kurzem ihre Beziehung in die Brüche ging, hatte ich nichts dagegen, Lisa erst mal nach Hause zu holen und aufzupäppeln. Aber seitdem macht sie es sich hier wieder bequem.

Lisa sagt, sie will ihr Leben in den Griff bekommen. Wird auch Zeit! Nach dem Abi lag sie monatelang nur in ihrer Wohnung auf dem Sofa rum, guckte blöde Soaps und stopfte Süßkram in sich hinein. Erst unter Druck entschied sie sich für Jura. Ich wusste von Anfang an: Das ist nichts für sie. Jetzt macht sie ein Praktikum im Pflegeheim und will dann Gesundheits- und Krankenpflege studieren. Sie ist auf dem richtigen Weg - nur muss sie ihn allein gehen.

Ich habe keine Lust mehr auf Rundumbetreuung. Will meine Tochter morgens nicht mehr wecken, nicht ihre Wäsche waschen, wenn sie im Stress ist ("Mama, bitte, nur ausnahmsweise"), und schon gar nicht will ich morgens wieder einen Typen in Boxershorts vor meinem Kühlschrank treffen! Wegen der Kinder habe ich meinen Job lange auf Sparflamme laufen lassen. Jetzt arbeite ich wieder voll und denke gar nicht daran, kürzerzutreten! Lisa meint, das verlange sie auch nicht. Sie stellt sich unser Zusammenleben wie eine Art Wohngemeinschaft vor, mit genauen Regeln.

Klingt toll, nur leider hält sie sich nicht dran. Im Keller stapelt sich die Wäsche, und wenn der Kühlschrank leer ist, bestellt sie sich eine Pizza, und ich muss nach der Arbeit noch einkaufen. "Ich wusste ja nicht, worauf du Appetit hast", heißt es dann. "Außerdem bin ich total kaputt." In solchen Momenten wird mir bewusst, dass bei der Erziehung unserer Kinder etwas falsch gelaufen ist. Wir, damit meine ich unsere Generation, haben es nicht geschafft, ihnen zu vermitteln, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen.

Verwöhnt, satt, träge und kraftlos kommen sie mir vor. Und warum? Weil wir alles akzeptieren, alles hinnehmen und für alles Verständnis zeigen. Wir haben sie so in Watte gepackt, dass sie nie gelernt haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Über 20 Jahre war ich nur für meine Töchter da. Jetzt will ich nicht mehr! Bin ich deswegen eine Rabenmutter? "Du denkst nur an dich", wirft Lisa mir vor. - "Ja", antworte ich, "und weißt du was: Es tut mir gut! Und dir auch!"

Die Tochter Lisa, 21 Jahre, Praktikantin

Ich dachte, meine Mutter würde sich freuen, wenn ich wieder nach Hause komme. Was hat sie für ein Theater gemacht, als ich vor zwei Jahren ausgezogen bin. "Du kannst jederzeit zurückkommen", hat sie geschnieft. Fast hätte ich ihretwegen die Koffer wieder ausgepackt, so leid tat sie mir. Papa ist ja beruflich viel unterwegs, meine Schwester war schon ausgezogen und nun ich - das war für sie ganz schön schwer. Aber zu Hause bleiben ging auch nicht. Ewig hatte ich Stress - entweder mit Mama wegen Sebastian oder mit Sebastian wegen Mama. "Die mag mich nicht", sagte er immer. Und so, wie sie sich aufführte, musste er das auch denken. War die morgens oft mies drauf!

Ich hab dann mit Papa gesprochen, und er hat uns bei der Wohnungssuche geholfen. Endlich hatten wir unsere eigene Bude. Ich war total happy! Keine bösen Blicke mehr, wenn ich nachmittags mal den Fernseher anstellte. Keine doofen Kommentare, bloß weil mir Milchreis aus der Tüte und Pizza eben besser schmecken als Vollwertkost. Aufräumen, Wäsche waschen, einkaufen - das konnte ich machen, wenn ich Lust dazu hatte, und nicht, weil Mama mir im Nacken saß.

Ich hatte trotzdem alles im Griff, und mein Abi hab ich auch geschafft. Erst danach wurde es schwierig. Ich wusste einfach nicht, was ich werden wollte. Die Vorstellung, dass das eine Entscheidung fürs Leben ist, hat mich total blockiert. Jura hab ich eigentlich nur gewählt, weil Mama und Papa Juristen sind. Dass das ein Fehler war, ist mir heute auch klar. Ebenso wie das Zusammenziehen mit Sebastian. Ich hab Mama angesehen, wie froh sie war, als sie mich endlich abholen konnte. Den Satz, sie hätte es ja gleich gewusst, hat sie sich zum Glück verkniffen. Sie war einfach nur lieb, das hat mir gutgetan.

Trotzdem war es erst ein blödes Gefühl, zurückzukommen. Wie eine Versagerin kam ich mir vor und tue es manchmal noch. Jetzt will ich erst mal keine Experimente mehr. Möchte einfach nur zu Hause sein. Ist das so schlimm? Ich fühle mich wohl hier.

Außerdem merke ich, dass ich mein Leben besser geregelt kriege. Ohne Mama hätte ich bestimmt nicht so schnell ein Praktikum bekommen. Bei der geht alles zack, zack. Das ist manchmal nervig, aber eigentlich tut es mir gut. Ganz allein in einer Wohnung - da hab ich Angst, wieder zu versumpfen. Und ein Zimmer in einer WG - nö! Ich hab keinen Bock, mit fremden Leuten über den Abwasch zu diskutieren.

"Warum können wir nicht hier wie in einer WG zusammenwohnen?", habe ich Mama gefragt. Da hat sie nur gelacht und gesagt, ich würde mich sowieso nicht an die Abmachungen halten. Wetten doch! Wenn sie ihre Ansprüche nur ein kleines bisschen runterschrauben würde und mir eine Chance gäbe. Aber sie will nicht. Sie ist echt eine Egoistin.

Der Vater Holger, 57 Jahre, Jurist im internationalen Versicherungswesen

Ich habe das Gefühl, Lisa braucht uns. Wie sonst käme sie auf die Idee, wieder einziehen zu wollen?! Mit Sebastian lief es nicht so gut. Eigentlich ist er ein netter Kerl, aber er hat es nicht geschafft, ihr das nötige Selbstvertrauen zu geben. Nach dem Abitur hat Lisa nur rumgegammelt. Ich musste richtig auf den Tisch hauen, damit sie endlich den Hintern hochkriegte. Als sie dann den Studienplatz für Jura hatte, meinte sie bockig: "Na, biste nun zufrieden?" Nein, war ich nicht.

Sie hat es sich einfach gemacht, denn in Wirklichkeit wusste sie immer noch nicht, was sie wollte. Vielleicht war es ein Fehler, sie so früh ausziehen zu lassen. Aber ich dachte, wenn ich ihr helfe, entgleitet sie uns nicht ganz. Thea war damals sauer. Da war einerseits die Sorge um Lisa, andererseits wohl auch das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Daran hatte sie ganz schön zu knapsen. Aber irgendwann hat sich Thea aus dem Sumpf gezogen, hat wieder mehr Mandate übernommen, einen Yoga-Kurs besucht, mit Nordic Walking angefangen - und blühte richtig auf. Endlich mal wieder an sich zu denken tat ihr gut.

Um ehrlich zu sein: Ich hatte immer Angst vor der Zeit, wenn wir nur noch auf uns allein gestellt sein würden. Worüber sollten wir reden, wenn nicht über die Kinder? Andererseits hab ich es gehasst, nach anstrengenden Konferenzen und Geschäftsreisen jedes Mal in einen Zickenkrieg zwischen Thea und Lisa zu geraten. Als Lisa ausgezogen war, wurden unsere Abende deutlich entspannter. Weil Thea entspannter war. Thea und ich diskutieren oft, was wir falsch gemacht haben. Warum so viele junge Menschen sich heute weigern, flügge zu werden. Sie stellt dabei unsere ganze liberale Erziehung infrage. In einigen Punkten hat Thea vielleicht recht, aber für mich zählt, dass unsere Kinder uns lieben und uns vertrauen, wenn sie uns brauchen. Dass Lisa wieder bei uns wohnen will, ist doch Beweis genug.

Trotzdem bin auch ich im Grunde dagegen. Sagen mag ich das meiner "Schnecke" aber nicht. "Entscheide du", hab ich zu Thea gesagt. Sie hat mich angeguckt und gemeint: "Du machst es dir verdammt einfach!" Ich wünschte, Lisa hätte uns nicht vor diese Entscheidung gestellt.

Die Schwester Eva, 24 Jahre, Pharmazie-Studentin

Ich verstehe Lisa nicht! Erst konnte ihr der Auszug nicht schnell genug gehen und jetzt ...? Wie stellt sie sich das vor? Sie und Mama hatten noch nie ein entspanntes Verhältnis. Miteinander telefonieren können sie stundenlang. Aber wehe, sie leben unter einem Dach. Dann klingelt mein Handy, und die eine erzählt, wie unverschämt und schlampert die Lisa ist, und die andere, wie ungerecht und übellaunig die Mama. Das nervt! Lisa sollte endlich erwachsen werden und sich eine eigene Wohnung suchen. Wo ist ihr Problem? Papa würde ja sogar zahlen. Aber allein zu wohnen macht eben mehr Arbeit als zu Hause, wo der Kühlschrank immer gefüllt ist und am Freitag die Putzfrau vor der Tür steht. Egal, ich halt mich da raus. Ich habe so oft zu vermitteln versucht und war am Ende immer die Dumme.

Die Freundin Merle, 21 Jahre, Modedesign-Studentin

Ich finde Lisas Mutter echt fies. Eigentlich war sie immer ganz nett, wenn auch manchmal ein bisschen launisch. Dass sie Lisa jetzt so in der Luft hängen lässt, begreife ich nicht. Ich bin schließlich auch wieder zu Hause eingezogen, als es nach dem Abi mit meiner Au-pair-Stelle in Paris nicht so gut lief und ich nur noch wegwollte. Für meine Mutter und meinen Vater war das selbstverständlich. Eltern sind doch dafür da, dass sie einen auffangen, wenn's mal nicht so läuft im Leben!

Text: Petra Meyer Schefe

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