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Im Alter Kinder kriegen

Im Alter Kinder kriegen
© Tim Hale Photography/Corbis
Darf man im Alter noch Kinder kriegen? Darauf gibt es viele Antworten. Ein Gespräch mit der Medizin-Ethikerin Claudia Wiesemann.

BRIGITTE: Christiane und Manfred Döring sind die ältesten Eltern Hamburgs: Sie ist über 50, er Anfang 70. Als über sie berichtet wurde, gab es viele hämische und böse Reaktionen. Die beiden wurden regelrecht angefeindet. Wie fällt Ihr Kommentar aus?

Claudia Wiesemann: Ich freue mich zunächst einmal, dass es Menschen gibt, die sich für Kinder begeistern können. Solche Menschen brauchen wir in unserer Gesellschaft doch ganz dringend.

Aber etwas ungewöhnlich ist es schon, mit 51 noch ein Kind zu bekommen...

Es ärgert mich, dass bei solchen Themen immer die Mütter kritisiert werden. Meistens ist es doch so, dass in den Medien ein Schauspieler wie Sky du Mont, der mit 59 noch mal Vater wurde, als attraktiver, bewundernswerter Mensch dargestellt wird, eine 51-jährige Mutter dagegen lächerlich gemacht wird, nur weil sie graue Haare hat.

Warum sind wir denn gerade älteren Müttern gegenüber so kritisch?

Der Grund ist ein unterschwelliger Sexismus in unserer Gesellschaft, die Vorstellung, Mütter müssten erotisch anziehend sein. Ältere Frauen werden oft nicht mehr als erotisch angesehen, ältere Männer dagegen durchaus noch. Aber Eltern - ganz egal, wie sie ausschauen - müssen vor allen Dingen liebevoll mit ihren Kindern umgehen.

Aber werden Kinder mit Eltern im Großeltern-Alter nicht spätestens in der Schule gehänselt?

Es gibt viele Gründe, weshalb Kinder gehänselt werden können. Die Verantwortung liegt dafür nicht bei den Eltern. Dass Kinder aus bunten, unterschiedlichen Familien kommen, sollte eine Gesellschaft aushalten können.

Ist es denn nie zu spät für ein Kind?

Für mich ist eine Grenze erreicht, wenn beide Elternteile so alt sind, dass ihre durchschnittliche Lebenserwartung nicht mehr ausreichen würde, um sich um das Kind zu kümmern. Einer der Partner, egal, ob es der Mann oder die Frau ist, sollte für das Kind bis zu dessen 18. Lebensjahr sorgen können.

Wenn Menschen zum Beispiel aufgrund einer Krankheit eine geringe Lebenserwartung haben, sprechen Sie ihnen dann das Recht auf ein Kind ab?

Nein, das tue ich nicht. Jemand, der eine lebensbedrohliche Krankheit hat, wird sicher dafür sorgen, dass es einen Partner gibt, der diese Aufgabe dann übernimmt. Und eine ältere Frau kann sich durchaus einen jüngeren Partner suchen, der in der Lage ist, ein Kind zu betreuen, bis es erwachsen ist.

Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Die 58-Jährige ist Leiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universitätsmedizin Göttingen. Sie hat Medizin, Philsophie und Geschichte studiert, forscht unter anderem zu ethischen Fragen der Reproduktionsmedizin und ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.
© Privat

Dann muss man das Alter der Frau also immer zusammen mit dem Alter des Vaters betrachten?

Ja, es geht um das ganze Umfeld und nicht nur um die Mutter. Traditionell sind oftmals die Großeltern eingesprungen, wenn es den Eltern nicht möglich war, sich um die Kinder zu kümmern.

In dem Alter noch ein Kind zu wollen sei egoistisch, hören ältere Eltern oft.

Das halte ich für einen absurden Vorwurf. Eltern gehen die große Verantwortung ein, für einen anderen Menschen zu sorgen, und zwar oft nicht nur für 18 Jahre, sondern noch weitaus länger. Jeder Mensch, der sich zu diesem Schritt entschließt, nötigt mir Respekt ab.

Andere finden einen späten Kinderwunsch auch deshalb unverantwortlich, weil Kinder älterer Frauen - und Männer - ein höheres Risiko für eine genetisch bedingte Behinderung haben.

Verantwortung kann man gegenüber einem Kind auf vielfältige Art und Weise ausdrücken. Manche Eltern sehen vielleicht ihre persönliche Verantwortung darin, pränatale Diagnostik durchführen zu lassen. Das kann ich respektieren, aber es ist nicht die einzige Möglichkeit, wie man Kindern gegenüber verantwortlich handeln kann.

Wenn man sich ältere Mütter dann mal ohne Vorurteile ansieht, wirken sie oft gelassener, selbstbewusster. Meist sind sie auch finanziell bessergestellt als jüngere Frauen. Sind sie also vielleicht sogar die besseren Mütter?

Ich glaube, Alter ist doch ein eher unerhebliches Kriterium. Natürlich ist es leichter, wenn man finanziell gut abgesichert ist. Aber entscheidend ist letztendlich, wie man mit dem Kind umgeht. Alter ist wahrscheinlich das am wenigsten wichtige Kriterium.

Dann kann man die Frage nach dem optimalen Alter für ein Kind also überhaupt nicht beantworten?

Wenn jemand über 70 ist und nicht einmal mehr die Körperkraft hat, ein Kind hochzuheben, dann ist der Zeitpunkt sicher nicht mehr günstig. Aber bei Jüngeren sehe ich keinen objektiven Grund. Die wesentlichen Gründe für ein gutes Eltern-Kind-Verhältnis liegen woanders.

Eine Eizellspende bietet für ältere Frauen oft die einzige Möglichkeit, noch ein eigenes Kind zu bekommen, ist in Deutschland aber verboten. Zu Recht?

Nein, auch das halte ich für eine Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Die Samenspende ist in Deutschland ja schon seit Langem erlaubt.

Für einen Mann ist es ja auch völlig risikolos, Samen zu spenden. Eine Eizellspenderin dagegen gefährdet durch Hormonstimulation und den Eingriff selbst ihre Gesundheit. Vielleicht treibt auch eine finanzielle Notlage sie dazu, die Risiken auf sich zu nehmen.

Deswegen bin ich auch gegen ein rein kommerzielles Modell. Aber zwischen den Extremen "ganz verbieten" und "ganz dem Markt überlassen" gibt es kreative und verantwortungsvolle alternative Lösungswege. In England wird zum Beispiel die altruistische Eizellspende unterstützt: Frauen, die eine künstliche Befruchtung in Anspruch nehmen, können die Kosten für diese Behandlung reduzieren, wenn sie dabei Eizellen für andere Frauen spenden. Sie gehen dann also kein zusätzliches gesundheitliches Risiko ein.

Mittlerweile ist es auch möglich, dass junge Frauen ihre eigenen Eizellen einfrieren lassen, um damit später bis ins hohe Alter problemlos ein Kind bekommen zu können. Dieses so genannte Social Freezing schaltet die biologische Uhr ab. Wird dieses Verfahren unsere Gesellschaft verändern?

Social Freezing spiegelt einen gesellschaftlichen Trend wider, es setzt keinen neuen. Schon seit längerer Zeit bekommen Frauen ihre Kinder immer später im Leben. Diese Tendenz wird von Social Freezing nur unwesentlich verstärkt. Ohnehin ist ja nicht ganz klar, wie wirksam dieses Verfahren ist.

Die Medizin verspricht zu viel?

Welche Erfolgsraten sich tatsächlich ergeben, wenn sich eine Frau im Alter von sagen wir 50 Jahren ihre bis dahin eingefrorenen Eizellen wieder einpflanzen lässt, kann heute niemand prognostizieren. Man kann den Frauen, die diese Technik wählen, nur raten, nicht allein darauf zu vertrauen.

Fördert die Reproduktionsmedizin nicht eine sehr technische Einstellung zu unserem Körper?

Nicht mehr, als die Medizin dies ohnehin schon tut. Wir finden doch heute Hüftgelenksprothesen oder Herzschrittmacher ganz normal, weil sie uns helfen. Warum soll ausgerechnet bei der Fortpflanzung alles nur natürlich ablaufen?

Eine Empfängnis ist doch schon etwas anderes, als wenn der Chirurg mein Knie wieder zusammenflickt.

Ich glaube, die Menschen werden nicht vergessen, was für ein wichtiger Akt die Fortpflanzung ist - dass es etwas Großartiges sein kann, wenn ein Kind im Rahmen einer liebevollen Beziehung entsteht. Diese in hohem Maße symbolische Bedeutung wird auch unsere technischen Erfindungen überstehen.

Und was würden Sie einer 45-Jährigen raten: Soll sie Frieden schließen mit ihrer Kinderlosigkeit oder - auch mit Hilfe der Reproduktionsmedizin - noch einmal alles versuchen?

Ich finde es schwer, einen Rat zu erteilen. Ich würde zuhören und herausfinden wollen, was für diese Frau wichtig ist. Die Entscheidung für ein Kind ist überaus verantwortungsvoll; die muss zunächst jeder für sich allein treffen. Und alle anderen sollten das respektieren.

Interview: Antje Kunstmann

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