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Mädchen in der Pubertät: Gefährliche Unsicherheit

Freundinnen im Café
© Ollyy / Shutterstock
Sie sind klug, schön und strahlend - aber leider wissen sie es nicht: Mädchen in der Pubertät brauchen viel mehr männliche Anerkennung, findet BRIGITTE WOMAN-Mitarbeiter Sven Lager. Am besten von ihren Vätern.

Als ich unsere 13-jährige Tochter letzten Samstagmittag auf dem Handy anrief, saß sie in einer fremden Wohnung bei einem 20-Jährigen, von dem wir noch nie gehört hatten. Sein Kumpel, ein 19-Jähriger namens Jacques, würde sie demnächst nach Hause bringen, erzählte sie mir fröhlich am Telefon. Jacques? Was ging hier vor?, fragte ich mich, als ich die 20 Kilometer in die Stadt raste, um sie abzuholen.

Unsere Tochter wird bald 14, verhält sich wie 16 und sieht aus wie 18. Behauptet die Mutter ihrer besten Freundin Jasemin, die ebenfalls bei den beiden unbekannten Männern saß. Es ist jene Freundin, die demnächst 16 wird, aber nicht wirklich sehr viel älter als unsere Tochter aussieht. In meinen Augen. Also wie 13. Die aber ausgesprochen gern mit viel älteren Jungs abhängt.

Mädchen in der Pubertät: Gefährliche Unsicherheit
© simonthon / photocase.com

Es ist wirklich so, wie alle Eltern immer behaupten: Eben noch bringt man seine Tochter mit einer Geschichte ins Bett und küsst sie auf die Stirn, im nächsten Moment heult draußen ein Motorrad auf, und eine Bierflasche wird in den Vorgarten geworfen. Von ihren neuen Freunden. Die sie entweder bei Facebook kennen gelernt hat oder auf diesem Sommercamp der Kirchenjugend.

Sie war natürlich sauer, unsere Tochter. Dass wir so ein Theater machten. Völlig grundlos. Und dass wir ihr nicht vertrauten. Und überhaupt. Dass wir so unfassbar peinlich sind. Vor allem vor ihrer Freundin Jasemin. Die jungen Männer waren, als ich bei den Mädchen ankam, längst verschwunden.

So verärgert und entsetzt ich losgefahren war, um sie abzuholen, so leid tat sie mir dann, als sie mit hängendem Kopf neben mir stand. Ein Mädchen, das nicht mehr als Kind von jemandem in die Welt treten wollte, sondern als ganz eigenständige Person, als junge Frau. Und als junge Frau brauchte sie Anerkennung und Bestätigung und fand nichts dabei, dass sie als Minderjährige in fremder Männer Wohnzimmer saß. Männer, die - auch das hatte mich meine Tochter hochvergnügt bei unserem Telefonat wissen lassen - noch mal kurz die Tranceparty in einem Steinbruch auf dem Weg zu uns abchecken wollten. Mit ihr und Jasemin natürlich.

Auch Jasemin hatte ihren Eltern weisgemacht, dass dieser Jacques ganz okay wäre und dass er sie beide zu uns bringen würde in seinem Auto. Nur dass Jacques gar kein Auto hat. Und keinen Führerschein. Aber das störte die Mädchen nicht weiter, es war ein Abenteuer, und irgendwie würde es schon klappen. Das sagte mir unsere Tochter auch. Es hätte schon irgendwie geklappt.

Was wollen unsere umwerfenden Töchter von schwitzigen Jungmännern?

"Marijuana" stand auf Jasemins Kapuzenpulli. Obwohl sie es eindeutig nicht rauchte. Aber die Jungs könnten es denken, nahm sie vielleicht an. Oder zumindest signalisierte es Wildheit, um damit die wilden Kerle auf sich aufmerksam zu machen, wie "Pussycat" auf den Hintern der Hose gedruckt oder "Bitch" mit Kugelschreiber im Erdkundeunterricht auf den Arm gemalt.

Was unsere Tochter und ihre Freundin auf einmal brauchten, war Anerkennung und vor allem Wertschätzung. Und die durfte ganz offensichtlich nicht mehr von ihren Eltern kommen.

Ich war baff. Was wollen zwei intelligente, humorvolle und umwerfend aussehende Mädchen von schwitzigen Jungmännern, deren Computer voller Pornos und deren Taschen voller Joint-papiere waren? Warum ließen sich diese jungen Königinnen auf derartiges Mittelmaß ein? Jungs finden ihren Selbstwert darin, nachts Wahlplakate anzuzünden, wie eine Tüte Mücken anzugeben oder Gratiskondome zu stehlen. Jungs kloppen sich, wenn sie Bestätigung brauchen. Und wenn sie gerade nicht schlafen, essen oder sich schlagen, denken sie statistisch gesehen alle vier bis sechs Sekunden an Sex. Und die Mädchen? Ihr Übergang von Kindheit zum Erwachsensein scheint mir abrupter und viel komplexer zu sein.

Eben noch waren sie den gleichaltrigen Jungs weit überlegen, und plötzlich ist da die neue Unsicherheit. Die furchtbare Konsequenzen haben kann. Ein Mädchen in unserer Straße schnitt sich kürzlich die Pulsadern auf wegen schlechter Noten und überlebte zum Glück. Sie ist die Beste in ihrer Klasse. Eine Mitschülerin der Kinder gilt als Schlampe, weil sie angeblich mit allen Jungs schläft. Ein Jahr zuvor noch war sie dieses unsagbar schüchterne Mädchen gewesen, das alle hänselten, weil sie angeblich groß und ungeschickt war.

Hört diese Verunsicherung jemals auf? Ich hatte eine Schulfreundin, die außergewöhnlich war, schön, klug, kreativ, wild, lustig, nie konform, voller guter Ideen, immer positiv und mitfühlend. Plötzlich, mit 17, knickte sie ein. Ohne erkennbaren Anlass. Auf einmal war sie verunsichert. So verunsichert, dass sie ein blasses, fragiles Wesen bis weit ins Erwachsenalter blieb. Über Jahre noch versuchte sie es mit den wilden Kerlen, Exzentrikern, egoistischen Künstlern und Musikern, die sie auf ihre Weise schätzten. Aber niemand sah je wieder ihre alte Schönheit.

Im Gegensatz zu den Jungs, die sich oft vergeblich nach starken Väter-Figuren sehnen, fehlt es den Mädchen im Alter meiner Tochter nicht an Vorbildern. Unsere Tochter hat eine souveräne, kluge und liebevolle Mutter. Und wir haben genug weibliche Freunde, die cool sind, stark. Unsere Freundin Olga ist kürzlich monatelang und allein durch Indiens bergigen Norden getourt auf einer Yamaha und hat etliche Frauen wie Männer inspiriert - allerdings konnten einige Männer vor lauter Neid anfangs gar nicht glauben, dass sie das wirklich machen würde. Aber auch Olga fühlt sich nicht erfüllt davon. Mut und wilde Abenteuer reichen eben nicht immer.

Als ich unsere Tochter abholte, war meine Wut längst verflogen. Was ihr und vielen jungen Frauen fehlte, schienen weder der softe Feminismus der Mädchenmagazine noch der Jugend- und Schönheitswahn der Medien stillen zu können.

Gerade noch wollte ich zwei jungen Männern mit der Schaufel eins überziehen und danach meiner Tochter das Mobiltelefon wegnehmen und bis auf weiteres jeden Ausgang verbieten und jede Freiheit und, und, und. Aber da stand sie, trotzig und auch etwas beschämt, und ich begriff, wie sehr wir dieses Feuer anfachen müssen, das schon in diesen Mädchen brennt, diese Sehnsucht nach Großartigkeit, Erfüllung, Sinn und Schönheit, mit der sie Jungs ihres Alters weit überlegen sind.

"Wir haben nicht Angst vor unserer Bedeutungslosigkeit, sondern vor unserer Größe. Wir fragen uns: ‚Kann jemand wie ich großartig, umwerfend, talentiert und bewundernswert sein?' Warum nicht? Wir sind Kinder Gottes!", schrieb Nelson Mandela in seiner Autobiografie. Also erzählte ich unserer Tochter und ihrer Freundin dieses Mal nicht, was jungen Mädchen alles passieren kann da draußen in der Welt. Stattdessen sagte ich ihnen nur, wie wunderbar sie sind und großartig, wie klug und vor allem: wie umwerfend sie aussehen, auch ohne jede Schminke.

Und dass sie sich nicht wundern müssten, wenn sich alle Jungs ständig nach ihnen umdrehten. Ich sagte ihnen, wie ich ihren Humor und ihre Schlagfertigkeit bewundere und wie sie ihre Freunde und uns immer wieder zum Lachen bringen. Dass sie ein Segen sind für jeden, der sie kennt, und sie niemandem in etwas nachstehen und dass sie es nicht nötig haben, sich von Jungs ansprechen zu lassen, die zwei Jahre nach dem Abitur immer noch auf dem Schulhof herumhängen, um Neuntklässlerinnen aufzureißen.

Jasemin, die Freundin unserer Tochter, begann zu strahlen. Endlich sprach es mal einer aus. Ohne sie danach zu einem Modecasting zu überreden, zu einer Runde auf einem Motorrad oder zu einem schwachsinnigen Praktikum.

Lob und Ermutigung von Männern hat in der Regel einen Preis. Dabei könnten Männer Frauen doch einfach mal wunderbar finden, einfach, weil sie es sind - ohne irgendwas von ihnen zu wollen. So viel Talent und schöne Wildheit steckt in unseren Kindern, dachte ich, und mir wurde klar, dass meine Tochter von mir, ihrem Vater, hören muss, wie sehr ich sie dafür bewundere.

Sie hörte natürlich nicht hin, als ich es sagte. Jedenfalls tat sie so. Aber über die nächsten Tage war sie entspannt und selbstbewusst. Wie eine junge Königin.

Text: Sven Lager BRIGITTE WOMAN 04/2013

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