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Fluch Zeitvertrag: Ein Job fürs Leben - das war einmal

Viele Arbeitnehmer hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Betroffen sind nicht nur Berufsanfänger, sondern auch viele Ältere. Vor allem Frauen kämpfen mit der zermürbenden Unsicherheit.
Fluch Zeitvertrag: Ein Job fürs Leben - das war einmal
© Credit: pidjoe /istockphoto

"Wer weiß, wie es weitergeht", sagt sie oft. Nur weniges ist sicher im Leben von Karin Schmidt*. Sie mag ihre Arbeit als Kundenbetreuerin bei einer Personalvermittlung. Doch wie es weitergeht, wenn demnächst ihr Vertrag ausläuft und sie ihren Schreibtisch räumen muss, das weiß sie eben nicht. Das kleine Reihenhaus, in dem sie mit ihrer Tochter und ihrem Sohn lebt - ob sie es auf Dauer halten kann? Seit Jahren hangelt sich die 50-Jährige von einem Zeitvertrag zum anderen. Dabei hat ihr Berufsleben viel versprechend angefangen: Nach der Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten arbeitete sie bei einer Krankenversicherung, bis zu einer zehnjährigen "Familienzeit" nach der Geburt ihrer Kinder. Als sie in den Beruf zurückwollte, fand sie keine unbefristete Anstellung mehr - bis heute. Aus Angst vor möglichen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz gibt sie ihren echten Namen nicht öffentlich preis. "Ich bin froh, überhaupt wieder einen Job zu haben, und will nichts riskieren", sagt sie. Zeitverträge sind Trend in Deutschland: Allein im vergangenen Jahr hatten 2,7 Millionen Menschen eine befristete Stelle, so eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das entspricht 7,6 Prozent aller Beschäftigten, vor einigen Jahren war der Anteil der "Zeitverträgler" sogar noch etwas höher. Seit dem Jahr 2001 ist die Anzahl der befristeten Neueinstellungen von 32 auf 46 Prozent gestiegen.

* Namen von der Redaktion geändert

Inzwischen wird jeder zweite Arbeitsvertrag bloß noch auf Zeit abgeschlossen. Betroffen sind nicht nur Berufsanfänger, sondern auch viele Ältere, vor allem Frauen. Das hat, so das IAB, mit der Berufswahl zu tun. Viele Frauen arbeiten wie Karin Schmidt in der Dienstleistungsbranche, sind im Gesundheitswesen oder in Kultureinrichtungen beschäftigt. Gerade in diesen Branchen sind Befristungen häufig, mehr als 60 Prozent aller Zeitverträge stammen aus diesen Bereichen. Inga Herbst* hat in über 20 Jahren Berufsleben noch gar keine unbefristete Festanstellung gehabt. Bereits im ersten Semester ihres Archäologie-Studiums arbeitete sie als Honorarkraft für einen Reiseveranstalter und in einem Museum. Sie wurde "nach Bedarf" für Führungen, Sonderprojekte und Reisen engagiert - entsprechend unsicher war ihr Einkommen. Solange sie studierte und dann ihre Doktorarbeit schrieb, kam ihr diese Art der Beschäftigung sogar entgegen, sie hätte ohnehin nicht durchgängig berufstätig sein können. Weil es für Archäologen kaum feste Stellen gibt, hat Inga Herbst nach der Promotion noch ein zweijähriges Volontariat in einem staatlichen Museum angehängt. Dort arbeitet die 44-Jährige heute in einem Vertragsverhältnis, das einem Flickenteppich ähnelt: Ihre 50-Prozent-Stelle in der Abteilung, die die Kataloge und andere Veröffentlichungen erstellt, läuft Ende November aus.

Die dauernde Unsicherheit - eine Zumutung.

Daneben hat sie eine 30-Prozent-Stelle als Museumspädagogin, die bis Ende 2013 befristet ist, "davon allein könnte ich aber nicht leben", sagt sie. Ihr Dilemma: Sie mag ihre Arbeit, aber sie empfindet die dauernde Unsicherheit als Zumutung. Und es empört sie, "dass öffentliche Arbeitgeber mit ihren Leuten genau so umgehen, wie man es von der Privatwirtschaft kennt". Längst ist es üblich, Menschen jahrelang im Status des "Zeitverträglers" zu halten, um sie so problemlos wieder loswerden zu können. Das gesetzlich festgelegte Maximum von zwei Jahren darf nämlich überschritten werden, wenn es einen "Sachgrund" gibt wie etwa Elternzeit-Vertretungen oder ein Sonderprojekt von begrenzter Dauer. Als eine Angestellte beim Amtsgericht Köln nach 13 Zeitverträgen erfuhr, dass sie nun gehen müsse, klagte sie durch mehrere Instanzen. Vier Jahre später befand das Bundesarbeitsgericht, dass die vom Gesetz gewährte Möglichkeit der wiederholten Befristungen in diesem Fall missbraucht worden sei.

Der Arbeitgeber hat inzwischen eingelenkt und die ehemalige Mitarbeiterin zurückgeholt, jetzt endlich unbefristet. Einige Konzerne umgehen die - ohnehin großzügigen - gesetzlichen Regelungen durch einen Trick: Ist der erste Zeitvertrag abgelaufen, bekommt der Beschäftigte ein Angebot von einem Tochterunternehmen, das ihn dann wieder auf Zeit einstellt. Viele befristet Eingestellte lassen sich dennoch erneut auf einen Zeitvertrag ein, weil sie auf diese Weise wenigstens noch eine Weile ihren Arbeitsplatz behalten. Der allerdings ist "zweiter Klasse": Auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld und andere freiwillige Zuwendungen des Arbeitgebers wie etwa Gewinnbeteiligung müssen die Zeitverträgler in den meisten Unternehmen verzichten. Am schlimmsten aber ist, sagen Menschen, die es erlebt haben, immer wieder Hoffnung zu schöpfen und dann doch enttäuscht zu werden.

Dass meine Zukunft nicht gesichert ist, macht mich fertig.

Karin Schmidt hat das jetzt schon mehrmals erlebt: Vor drei Jahren, ihre Ehe war gerade in die Brüche gegangen, fing sie im "Promotion-Team" einer Versicherung an. Gerade mal neun Monate Laufzeit hatte ihr Arbeitsvertrag. Im Stillen hoffte Karin Schmidt natürlich auf eine Festanstellung und tat alles dafür, sie sich zu "verdienen": Oft arbeitete sie samstags zehn Stunden lang als Werberin an einem Infostand - ohne Extra-Bezahlung oder Ausgleich durch Freizeit in der Woche. "Sie sind auf einem guten Weg!", lobte sie der Chef für ihren Einsatz, doch als der Vertrag auslief, wurde er lediglich verlängert. Zweimal insgesamt, dann musste Karin Schmidt endgültig gehen: "Ich war am Boden zerstört, saß heulend am Schreibtisch", erinnert sie sich. Innerhalb eines Monats hatte Karin Schmidt bereits wieder Arbeit, allerdings erneut nur auf Zeit. Sie leidet unter der ständigen Existenzangst: "Was ist, wenn ich krank werde? Wie soll es dann weitergehen für mich und die Kinder?" Wovon sie einmal im Alter leben soll, daran denkt sie lieber nicht: "Dass meine Zukunft nicht gesichert ist, macht mich fertig", sagt sie. Wenigstens für die nächste Zeit konnte Karin Schmidt bereits vorsorgen: Sobald ihr jetziger Vertrag ausläuft, beginnt der nächste. Bei einem Tochterunternehmen ihres Arbeitgebers. Für ein weiteres Jahr.

Text: Sabine Hoffmann/Christine TsolodimosEin Artikel aus BRIGITTEwoman, Heft 11/2012

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