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Über Probleme reden mit Kollegen: Das richtige Maß

Liebeskummer, Probleme in der Familie, eine Krankheit, ein verpatzter Urlaub: So etwas gehört zum Leben. Aber sollte man darüber auch mit Kollegen reden?

Am Abend lag ein Brief auf dem Küchentisch: "Ich trenne mich von dir..." Doch schon am Morgen nach dem persönlichen Weltuntergang geht der Arbeitsalltag weiter. "Alles gut bei dir?", fragt vielleicht eine Kollegin auf dem Weg in die Mittagspause.

Freundschaft unter Kollegen.
Freundschaft unter Kollegen.
© Hugging/Fuse/Thinkstock

Nichts ist gut, es ist zum Heulen. Wenn das Privatleben in Trümmern liegt, wenn ein naher Angehöriger oder man selbst eine schlechte Diagnose bekommen hat, "dann lenkt die Arbeit auch ab - aber die meisten können so eine schwere Krise nicht ständig verdrängen und überspielen", sagt Psychologin und Coach Eva Wlodarek. Allein deshalb sei es ratsam, die direkten Vorgesetzten und nächsten Kollegen in groben Zügen einzuweihen: "Sie können dann besser einschätzen, warum jemand im Moment vielleicht nicht so stabil und belastbar ist. Normalerweise zeigen Menschen dann auch Verständnis."

Mehr sollte man am Arbeitsplatz nicht erwarten, so die Expertin. Wenn jemand Trost sucht, sich ausweinen, seinen Kummer von der Seele reden möchte, ist er bei Angehörigen und Freunden besser aufgehoben. Grundsätzlich rät Eva Wlodarek: "Bevor Sie einer Kollegin oder gar Ihrer Chefin wegen privater Sorgen Ihr Herz ausschütten, überlegen Sie, ob Sie auch für die Zukunft wollen, dass diese Person in Ihrer unmittelbaren beruflichen Umgebung etwas so Intimes von Ihnen weiß."

Für viele ist der Arbeitsplatz wie ein zweites Zuhause: Sie verbringen dort den größten Teil der Tageszeit und bilden mit ihren Kollegen eine Gemeinschaft - in guten wie in schlechten Tagen. Die guten sind überwiegend unproblematisch: Wenn es etwas zu feiern gibt, freuen sich alle über den Umtrunk im Büro oder den spendierten Kuchen.

Und die schlechteren Tage? "Da gilt es abzuwägen, wie viel man von sich zeigen und den Kollegen zumuten mag", sagt Eva Wlodarek. Im Gespräch in der Mittagspause auch mal den Ärger über die fordernde Schwiegermutter oder die Enttäuschung über die Unzuverlässigkeit des Partners loszuwerden ist unter vertrauten Kollegen normalerweise kein Problem. In manchen Branchen und vor allem dort, wo viele junge Menschen miteinander arbeiten, ist es längst üblich, auch über sehr Persönliches offen zu sprechen: "Da verkündet schon mal jemand morgens beim Reinkommen: 'Ich bin total fertig, ich habe solchen Stress mit meinem Freund'", sagt Eva Wlodarek. "Aber auch an solchen Arbeitsplätzen gilt: Bitte nicht ständig Beziehungsprobleme ausbreiten - das nervt die anderen mit der Zeit."

"Die Lebensbereiche gehen ineinander über: Der Beruf ergreift Besitz vom Privaten, umgekehrt lässt sich das Private im Beruf nicht einfach abstreifen"

Und die Kollegen sind möglicherweise überfordert damit, sich immer wieder dieselben Sorgen anzuhören, so berechtigt und ernst sie auch sein mögen. "Der Betrieb darf nicht zum Ersatz für Familie und Freunde werden", sagt Beraterin und Coach Doris Hartmann. "Wenn jemand außer den Kollegen niemanden hat, mit dem er sich aussprechen kann, dann fehlt ihm etwas Wesentliches: ein intaktes privates Umfeld, in dem er aufgehoben ist und das ihm in Krisenzeiten Halt gibt." Wie Menschen den Anforderungen ihres Berufs und ihren privaten Bedürfnissen und Verpflichtungen gleichermaßen gerecht werden können, wie der Wechsel von der beruflichen in die private Welt und umgekehrt gelingt - das sind wesentliche Themen in den Seminaren und Coachings von Doris Hartmann. "Wir sind heute nur selten ausschließlich Berufs- oder Privatperson", sagt sie. "Die Bereiche gehen zunehmend ineinander über, der Beruf ergreift Besitz vom Privatleben. Umgekehrt lässt sich das Private im Beruf nicht einfach abstreifen." Manchen ist die Vorstellung unangenehm, womöglich zu viel von sich preiszugeben, wenn sie über Persönliches sprechen, deshalb behalten sie möglichst alles für sich.

Geht es ihnen schlecht, errichten diese "großen Schweiger" eine Art unsichtbare Mauer um sich und reißen sich zusammen, um wie gewohnt weiterarbeiten zu können. Damit sind sie unnötig hart sich selbst gegenüber und machen es zudem den Kollegen schwer, mit ihnen umzugehen, meint die Psychologin Wlodarek: "Wer sich verschlossen gibt wie eine Auster, wirkt auf andere leicht unheimlich."

Aber was ist das richtige Maß an Offenheit? Im Zweifelsfall, so die Expertin, gilt Ähnliches wie beim Smalltalk: "Schwere Themen wie Schulden, Tod, eine Krankheit sind nichts für den Arbeitsplatz. Wenn man sie ansprechen muss, möglichst nur eine kurze Information geben, nicht zu sehr ins Detail gehen."

Wer nach dem Urlaub oder Wochenende von schönen Erlebnissen berichtet, schafft unter den Kollegen gute Stimmung. Manche allerdings stimmen sich gern mit kollektivem Jammern auf die Arbeitswoche ein. "Bei uns ist das ein Ritual", sagt eine Teamleiterin, die verständlicherweise anonym bleiben will. "Montags um zehn trifft man sich am Kaffeeautomaten und erzählt vom Wochenende. Leider vor allem Schlechtes: Der Nachbar macht Stress, der Sohn kriegt eine Fünf in Mathe, die Katze kotzt auf den Teppich. Ich höre jedes Wort mit, weil meine Tür meist offen steht. Manchmal gehe ich hin und sage: Könnt ihr woanders weiterjammern, bitte? Oder sprecht mal von etwas Schönem!"

Buchtipps

Doris Hartmann: "Kurs auf Neues im Beruf. Wann wir Veränderungen brauchen und wie sie gelingen", ca. 240 S., 16,99 Euro, Kreuz Verlag

Eva Wlodarek: "Spielregeln des Lebens für mehr Glück und Erfolg", 224 S., 8,95 Euro, Fischer TB

Text: Christine Tsolodimos BRIGITTE WOMAN 07/2013

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