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Warum Tiere für Menschen so viel bedeuten

Rothaarige Frau wird von Pferd geküsst
© DisobeyArt / Shutterstock
Wer mit ihnen lebt, übernimmt Verantwortung. Und genau das ist der Grund, warum Tiere uns so gut tun, sagt Carola Otterstedt, Leiterin der Stiftung "Bündnis Mensch und Tier"

BRIGITTE WOMAN: Frau Dr. Otterstedt, sind Tiere die besseren Menschen?

Carola Otterstedt: Einige Tierhalter würden das sicherlich behaupten.

BRIGITTE WOMAN: Sie auch?

Carola Otterstedt: Nein. Tiere lieben uns scheinbar bedingungslos und treu - im Gegensatz zu manchen Menschen. Man darf aber nicht vergessen, dass das Tier eine eigene Persönlichkeit besitzt und in seinen Bedürfnissen und seinem Verhalten von uns verstanden werden möchte. Ein Tier kann sehr treu sein und Liebe geben, aber nur dann, wenn ich eine authentische Beziehung zulasse.

BRIGITTE WOMAN: Was ist denn eine authentische Beziehung?

Carola Otterstedt: Authentisch bleibe ich, wenn ich nicht versuche, das Tier zu manipulieren, zu missbrauchen oder sein Wesen zu verändern. Und wenn ich nicht versuche, menschliche Eigenschaften in das Tier hineinzuinterpretieren. Oder mittels des Tieres selbst etwas darzustellen, was ich nicht bin. Wer zum Beispiel einen Hund zum willenlosen Befehlsempfänger abrichtet, um sein Machtbedürfnis zu befriedigen und sein Ego zu erhöhen, oder wer von einem Pferd Schutz und eine Schulter zum Anlehnen erwartet, der verkennt nicht nur die Bedürfnisse des Tieres, er verkennt auch, dass er Verantwortung für das Tier hat.

BRIGITTE WOMAN: Es gibt Therapieformen, in denen Tiere eingesetzt werden. Was ist davon zu halten?

Carola Otterstedt: Viel. Die tiergestützte Therapie wirkt sehr effektiv, und zwar auf mehreren Ebenen. Sie kann die körperliche Verfassung verbessern - durch Bewegung, Gleichgewichtsübungen und Haltungskorrektur, etwa beim therapeutischen Reiten. Sie fördert aber auch die seelischen Selbstheilungskräfte und die mentalen, sozialen und kommunikativen Talente.

BRIGITTE WOMAN: Wie geht das?

Carola Otterstedt: In der Tierbegegnung bekommt der Patient Bezug zu den eigenen Gefühlen, denn er empfängt Zuwendung oder Ablehnung und muss sich unmittelbar damit auseinandersetzen. Wenn ein Tier zum Beispiel von sich aus Kontakt aufnimmt, ist das ein tolles Erlebnis für zurückhaltende Menschen. Es ist aber eine ebenso wichtige Erfahrung, abgelehnt zu werden. Denn so merke ich, wie ich mich verhalten muss, damit ein Tier Vertrauen fasst - und woran es liegt, wenn ich gescheitert bin: Vielleicht stimmte etwas mit meiner Körpersprache nicht, mit meiner Stimmlage, vielleicht habe ich zu hastige Bewegungen gemacht. Oder ich habe das Tier gestört. In der Begegnung mit Tieren kann man sehr gut soziale Beziehungen üben. Man lernt sich selbst und seine Außenwirkung kennen, lernt Ablehnung auszuhalten und wird mit vorurteilsfreier Zuwendung belohnt, wenn der Kontakt gelingt. Das ist sehr heilsam.

Das Leben mit Tieren fordert Entscheidungen.

BRIGITTE WOMAN: Es heißt, auch Haustiere können Einsamkeit und depressive Stimmungen ihres Halters lindern.

Carola Otterstedt: Das stimmt. Wer Tiere versorgt, braucht Alltagsstruktur und Disziplin. Tierhalter kommen außerdem leichter in Kontakt mit anderen Menschen, werden nachweislich öfter in ein Gespräch eingebunden oder besucht als Menschen ohne Haustiere. Das Leben mit Tieren fordert Entscheidungen, den Dialog mit sich selbst und mit dem Tier, sonst funktioniert es nicht. Dies unterstützt die aktive Gestaltung des eigenen Lebens und - gehirnphysiologisch gesehen - wirkt sich positiv auf das endokrine System aus, das die Stimmung steuert.

BRIGITTE WOMAN: Sind Tierhalter also glückliche Menschen?

Carola Otterstedt: Ich finde, nicht der Besitz eines Tieres macht glücklich, sondern die Begegnung mit Tieren! Setzen Sie sich auf eine Wiese und beobachten Sie einfach mal den Mikrokosmos der Insekten, oder schauen Sie Pferden auf der Weide zu, Hunden auf einem Tobeplatz. Sie werden sehen, wie entspannend das ist. Begegnung heißt nämlich nicht bloß anfassen und füttern, sondern beobachten, miteinander Natur erleben, spielen.

BRIGITTE WOMAN: Haben Sie selbst ein Tier?

Carola Otterstedt: Nein, ich habe nicht genug Zeit, um ein Tier zu versorgen. Ich bin zu oft auf Reisen. Aber ich begegne fast jeden Tag neuen Tieren, und das macht mich glücklich.

BRIGITTE WOMAN: Wie gehen Sie auf fremde Tiere zu?

Carola Otterstedt: Als Beraterin besuche ich oft Höfe und tiergestützte Einrichtungen, wo es meist Weidetiere wie Rinder, Pferde oder Lamas gibt. Die begrüße ich schon von Weitem, zum Beispiel mit einem fröhlichen Pfiff. Wenn ich zu ihnen auf die Weide gehe, setze ich mich in die Hocke und zupfe mit der Hand ein paar Halme, ich grase also. Das Grasen drückt aus, dass ich locker bin. Dann beobachte ich die Signale der Herde. Zugewandte Ohren und Köpfe bedeutet: Sie sind neugierig und entspannt. Meist kommt erst ein rangniederes Tier auf mich zu, dann folgen die anderen. Wenden sich die Tiere aber deutlich ab, heißt das, sie wollen nicht gestört werden. Dann gehe ich und komme später wieder.

BRIGITTE WOMAN: Woran erkenne ich, ob es einem Tier gutgeht?

Carola Otterstedt: Das Tier ist entspannt und aufmerksam, kommt auch ohne Leckerli freudig auf den Halter zu und orientiert sich immer wieder auch mit Blickkontakt an ihm. Es wirkt nicht schreckhaft und zeigt sich vertraut mit seinem Halter.

BRIGITTE WOMAN: Ist es in Ordnung, als Einzelperson zu Hause zwölf Katzen zu halten?

Carola Otterstedt: Nein, weil kein Mensch eine tiergerechte Beziehung zu so vielen Individuen pflegen kann. Wenn wir Tiere in Obhut nehmen, gilt es nicht nur, sie mit Futter und Wasser zu versorgen, wir übernehmen auch die Sorge für ihr seelisches Wohl. Im Extremfall sprechen wir von Animal Hording: Menschen sammeln unkontrolliert Tiere, halten diese jedoch nicht artgerecht, Kot, Schmutz, Futterreste und verängstigte Tiere zeugen davon. Menschen, die das tun, brauchen sozialpsychologische Hilfe. Auch die Tiere müssen geschützt werden, Tierheim oder Tierschutzverein helfen.

BRIGITTE WOMAN: Manche Menschen beherbergen exotische Wesen wie südamerikanische Vogelspinnen. Sind die als Hausgenossen geeignet?

Carola Otterstedt: Alle nachtaktiven und exotischen Tiere, die durch unseren Tagesrhythmus und in unserem Klima nur mit hohem technischem Aufwand gehalten werden können, sind ungeeignet als Haustiere. Positive Erfahrungen machen wir viel eher mit Tieren aus unserem eigenen Kulturkreis. Vor allem mit Tieren, die natürlicherweise in Familien, Herden, Schwärmen aufwachsen - und die daher auch nie einzeln gehalten werden sollten. Solche Tiere haben von Geburt an gelernt, auf andere Individuen zuzugehen und mit ihnen zu kommunizieren.

BRIGITTE WOMAN: Können Tiere sich also tatsächlich mit Menschen verständigen?

Carola Otterstedt: Ja. Richtig gut gelingt die Kommunikation, wenn der Tierhalter sich mit der Sprache der Tierart beschäftigt hat. Dann kann man sich auch mit Meerschweinchen über Pfiffe und Flötentöne austauschen.

BRIGITTE WOMAN: Es heißt, dass Haustiere auf die Stimmung ihres Menschen reagieren, Trauer teilen, sogar Trost spenden. Kann das sein?

Carola Otterstedt: Tiere sind einfühlsam und gesellen sich zu ihrem Halter, wenn der sich nicht wohl fühlt. Oft tendieren wir Menschen allerdings zu einer allzu romantischen Interpretation dieses Verhaltens. Es kann nämlich sein, dass sie nur schauen, ob die "Oberkatze" auch fit genug ist, um am Abend das Futter zu servieren. . . Sind beispielsweise Hundehalter erschöpft oder krank, so versuchen Hunde schon mal, durch Aufreiten oder Grenzübertritte die Hierarchie zu diskutieren.

BRIGITTE WOMAN: Soeben zerplatzt eine Illusion...

Carola Otterstedt: Tiere sind nun mal keine Menschen im Fellkleid, wie Lassie, Flipper und Konsorten. Tiere sind Tiere, und genau deshalb ist ihr Leben und ihr Verhalten viel facettenreicher und spannender als jeder Kitschfilm. Wir müssen uns nur darauf einlassen. Dann bringen sie uns viele positive und durchaus auch selbstlose Emotionen entgegen. Doch bei der Interpretation ihres Verhaltens sollten wir uns unserer Rolle als Versorger immer bewusst sein.

BRIGITTE WOMAN: Hängt es vom eigenen Wesen ab, ob ein Mensch Hunde, Katzen oder Fische mag?

Carola Otterstedt: Es gibt meiner Meinung nach nicht die Hundepersönlichkeit oder den Katzencharakter. Man kann weder Tiere noch Menschen in Schubladen stecken. Wenn sie allerdings eine Tierpersönlichkeit aussuchen, orientieren sich Menschen nicht selten unbewusst an ihrem eigenen Körperbild: korpulenter Typ - gut gerundeter Hund und so weiter.

BRIGITTE WOMAN: Welche Eigenschaften sollte ich möglichst haben, wenn ich ein Haustier anständig behandeln möchte?

Carola Otterstedt: Geduld, Neugier, Spielfreude, Einfühlsamkeit, Lernbereitschaft und Liebesfähigkeit. Das ist Beziehungsarbeit, wie mit jedem anderen Partner im Leben auch.

Zur Person: Dr. Carola Otterstedt

Die 48-Jährige ist Verhaltensforscherin und befasst sich mit den Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Ihr Interesse gilt der Kommunikation, der artgerechten Tierhaltung und der tiergestützten therapeutischen Arbeit. Carola Otterstedt leitet außerdem die Stiftung "Bündnis Mensch und Tier", die sich für den fachübergreifenden wissenschaftlichen Austausch zum Thema einsetzt, Weiterbildung anbietet und Begegnungsstätten fördert.

Zum Weiterlesen - Carola Otterstedt: "Mensch & Tier im Dialog: Kommunikation und artgerechter Umgang mit Haus- und Nutztieren", 549 Seiten, 49,90 Euro, Kosmos Verlag - Carola Otterstedt: "Tiere als therapeutische Begleiter: Gesundheit und Lebensfreude durch Tiere - eine praktische Anleitung", 214 Seiten, 19,90 Euro, Kosmos Verlag - Weitere Bücher und Informationen auf www.buendnis-mensch-und-tier.de

Interview: Katja Jührend Fotos: Kathryn Baingo, iStockphoto, Fotolia

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