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Trennung: Er geht, die Schulden bleiben

Erst spricht er von Liebe. Dann braucht er Geld. Danach kommt die Trennung... und die Schulden bleiben. Warum macht eine Frau das mit?

Sie wohnt in einem idyllischen Dorf im Rheinland. In einem Haus mit blauen Fensterläden, direkt am Weinberg. "Schön, wie Sie hier leben", sagen Besucher. Schön? Gudrun Werner* kann die Idylle kaum noch genießen. "Ich habe einen Betonklotz im Nacken, der mich immer kleiner werden lässt", sagt sie. Die 53-Jährige hat Schulden. Eine halbe Million Euro.

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"Die Kreditverträge sind fertig", hatte ihr Mann gesagt, "wir müssen nur noch unterschreiben. Morgen fahren wir zur Bank." - "Ich kann das nicht überblicken, Bernd", sagt Gudrun Werner noch im Auto. "Halt dich da raus, lass mich nur machen. Schließlich nehme ich die Kredite auf", sagt er. Gudrun Werner leistet Bürgschaften. Was das bedeutet, erklären ihr weder die Sachbearbeiter bei den Banken noch der Notar. Bis heute macht sie sich Vorwürfe, weil sie nicht nachgefragt hat.

Die Finanzberaterin Helma Sick, die sich auf Geld- und Anlageberatung für Frauen spezialisiert hat, hat schon vielen erklärt, was eine Kreditbürgschaft bedeutet. Allerdings war es dann immer schon zu spät. Die Raten liefen, der Schuldner war verschwunden oder zahlungsunfähig - und die Bank hielt sich an die Bürgin. "Warum sind diese Frauen so gutgläubig?", empört sich Helma Sick. "Warum informieren sie sich erst, wenn schon nichts mehr zu machen ist?" Weil Liebe blind machen kann. Auch für finanzielle Risiken. Und weil das vor allem für Frauen gilt. Männer gehen pleite, weil sie sich übernommen haben. Frauen gehen pleite, weil die Männer sich übernommen haben und weil sie "aus Liebe" mitgemacht haben. Am Ende bleiben sie allein auf den Schulden sitzen.

Gudrun Werner muss zusätzlich mit dem Wissen leben, dass sie gezielt hintergangen wurde. Mit 18 lernt sie auf einem Weinfest ihren späteren Mann Bernd kennen. Er wirkt auf sympathische Art zurückhaltend, sie verliebt sich in ihn, bald sind die beiden ein Paar. Doch als Gudrun Werner ungeplant schwanger wird, betrügt er sie. Sie heiratet ihn trotzdem.

Gudrun Werner ist eine tatkräftige, zupackende junge Frau. Neben der Sorge um Kind und Haushalt übernimmt sie einen Blumenladen und macht daraus ein gut gehendes Geschäft. Ihr Mann dagegen arbeitet immer noch bei seinen Eltern, als Aushilfe, für einen Hungerlohn. "So kann es nicht weitergehen", sagt sie ihm immer wieder. Als das zweite Kind sich ankündigt, sagt Bernd Werner: "Dann machen wir jetzt eben zusammen etwas Neues."

Bernd Werner hat längst einen Plan. Er will eine große Weinkellerei kaufen. Komplett unterkellert, mit rund 30 Weintanks, einer Abfüllerei, Bürogebäuden, einem Wohn- und einem Fachwerkhaus und einer großen Halle - "ein Traum", sagt er. 1,8 Millionen Mark soll der Traum kosten. 240 000 Mark können die beiden selbst aufbringen, für die übrige Summe - mehr als anderthalb Millionen Mark - hat Bernd Werner bereits ein Existenzgründerdarlehen der Ausgleichsbank und einen Kredit der örtlichen Sparkasse beantragt. Damit stellt er seine Frau praktisch vor vollendete Tatsachen. Sie unterschreibt, obwohl ihr mulmig ist. "Frauen fühlen sich schnell illoyal, wenn sie ihrem Mann durch Nachfragen das Vertrauen entziehen oder gar die Unterschrift verweigern", sagt Annette Schmedt, Gründerin der "Initiative bürgschaftsgeschädigter Frauen".

Gudrun Werner ahnt nicht, dass ihr Mann bei der gemeinsamen Existenzgründung bereits an die Möglichkeit einer Scheidung denkt. Juristisch gut beraten, lässt er den Kaufvertrag so aufsetzen, dass seine Frau ein deutlich höheres Risiko eingeht als er: Bernd Werner erwirbt lediglich die Firma, Gudrun Werner wird Eigentümerin der Gebäude, die sie dann an ihn als Geschäftsführer vermietet. Finanziell gesehen, unterschreibt Gudrun Werner ihr "Todesurteil", wie sie heute sagt. Sonst hat sie mit dem Betrieb nichts zu tun, ihr Mann führt ihn allein.

Anfangs wirft die Weinkellerei Gewinne ab, doch schon nach zwei Jahren beginnt der Niedergang. "Hätte ich bloß einmal in die Geschäftsbücher geschaut!", sagt Gudrun Werner, die mit ihrem eigenen Unternehmen, dem Blumenladen, sehr erfolgreich gewirtschaftet hatte.

Um die Verluste vorläufig auszugleichen, eröffnet Bernd Werner immer neue Konten - "am Ende waren es so viele, dass selbst das Finanzamt später kaum durchblickte" -, und wenn er spart, dann am falschen Ende: an der Wartung der Maschinen. So entstehen horrende Kosten für Reparaturen. Bernd Werner beantragt zwei weitere Kredite. Die Sparkasse gewährt sie unter der Bedingung, dass seine Ehefrau, die zu dieser Zeit gar kein eigenes Einkommen hat, erneut als Bürgin unterschreibt. Heute wäre ein solcher Vertrag nichtig - der Bundesgerichtshof hat "Hausfrauenbürgschaften" 2006 in einem Urteil für sittenwidrig erklärt.

Frauen geben die Verantwortung ab

Gudrun Werner macht ihrem Mann Vorwürfe, das Paar streitet, er droht, sie zu verlassen. Sofort lenkt sie wieder ein, "weil ich den Kindern die Scheidung ersparen wollte - so dumm war ich!". Diese "typisch weibliche" Vertrauensseligkeit findet sich unter Frauen jeden Alters und Bildungsstandes, davon ist Finanzberaterin Helma Sick überzeugt. Und das, obwohl Frauen heute in der Regel mindestens ebenso gut ausgebildet sind wie Männer und ausreichend Geld verdienen. Was Helma Sick wütend macht: "Sobald ein Mann auftaucht, geben viele Frauen ihre Eigenverantwortung ab und lassen ihn über ihre Geldangelegenheiten entscheiden - weil sie glauben, er könne das besser als sie selbst. So machen sie sich abhängig."

Als Gudrun Werner den Betrug ihres Mannes erkennt, ist es längst zu spät: Das Vermögen weg, mehrere hunderttausend Euro Schulden, die Ehe zerbrochen. Bernd Werner ist in den dritten Stock des Hauses gezogen, er hat die Scheidung eingereicht, zahlt aber keinen Unterhalt für die beiden Kinder. Gudrun Werner steht vor dem Nichts. Sie will ihr Leben wieder in Ordnung bringen und weiß nicht, wo sie anfangen soll.

In der Reha-Klinik, wo sie nach einer Hüftoperation behandelt wird, verliebt sie sich Hals über Kopf in einen Mitpatienten: Rainer Kramm*, ein optimistischer, in sich ruhender Mensch, bietet ihr eine Schulter zum Anlehnen. Renoviert zuerst ihr Haus und dann ihr Leben. Er zwingt Bernd Werner, Konkurs anzumelden, und komplimentiert ihn aus dem Haus. Er sichtet 50 bis 60 "wirre Aktenordner" und findet heraus, dass der ehemalige Unternehmer sich "arm gerechnet" hat - um sich vor den Unterhaltszahlungen drücken zu können, vor allem aber, um von den Banken nicht herangezogen zu werden. Die halten sich mit allen Forderungen an Gudrun Werner, die ja auf dem Papier Eigentümerin aller Betriebsgebäude ist.

Hadern mit dem Schicksal

Monatelang arbeitet Rainer Kramm daran, den Schaden zu begrenzen, verhandelt mit den Banken und anderen Gläubigern, wendet Zwangsvollstreckungen im letzten Moment noch ab. All das setzt der jungen Beziehung zu, schweißt das Paar aber auch zusammen. Gudrun Werner hat jetzt einen starken Verbündeten. Allerdings hat sie auch, ohne es zu merken, eine Abhängigkeit durch eine neue ersetzt. Und bei allem Glück über ihre neue Beziehung leidet sie auch seelisch unter den Folgen ihres finanziellen Desasters, quält sich mit Schuldgefühlen, hadert mit ihrem Schicksal.

"Jammern hilft nicht weiter", sagt Finanzberaterin Helma Sick nüchtern, "Frauen, die durch eine Bürgschaft in die Überschuldung geraten sind, sollten sich der Realität stellen, sich genau anschauen, was passiert ist, am besten mit psychotherapeutischer Hilfe."

Wie geht das Leben jetzt weiter? Die Schulden stellen alles infrage

Und sich schnellstens von den Schulden befreien, für die sie jetzt herangezogen werden. Ein Privatinsolvenzverfahren bietet die Chance, innerhalb absehbarer Zeit wieder schuldenfrei zu sein. Sechs Jahre müssen die Betroffenen so viel wie möglich abzahlen und dürfen keine neuen Schulden machen. Dann werden ihnen die verbleibenden Beträge erlassen. Und das, sagt Helma Sick, sei der Beginn eines neuen Lebens, "wenn auch mit großen Entbehrungen".

Wer so ein Verfahren durchlaufen will, muss bis ins Detail Auskunft geben über seine finanziellen Verhältnisse. Gudrun Werner wollte sich dieser - unter Umständen demütigenden - Prozedur nicht aussetzen. "Ich habe schon genug gelitten", sagt sie. Deshalb sitzen ihr noch heute, 14 Jahre nach der Pleite, die Gläubiger im Nacken. Um mit ihrer Familie in dem Wohnhaus auf dem Firmengelände bleiben zu können, hat sie einen Teil des Gebäudekomplexes für monatlich 5000 Euro an einen Weinabfüller vermietet. Dieses Geld wird unter den Gläubigern verteilt, und die Banken verzichten vorerst auf die Zwangsversteigerung des Wohnhauses. Doch wie lange? Gudrun Werner meidet den Briefkasten. Viele Frauen, die sich wie Gudrun Werner unfreiwillig verschuldet haben, stehen auch emotional allein da. Der Verlust der Existenz ist eine traumatische Erfahrung, an der sogar stabile Beziehungen zerbrechen können. Manche Frau muss dann womöglich mit ihren Kindern von Hartz IV leben.

Solche Belastungen haben Folgen: 90 Prozent der "schuldlos verschuldeten" Frauen, so die Initiative bürgschaftsgeschädigter Frauen, leiden an Schlafstörungen, plötzlichen Hautkrankheiten, Asthma und anderen Beschwerden, die auch psychosomatisch bedingt sein können. Gudrun Werner spürt ebenfalls seit Langem, wie sich ihre Schulden in Körper und Seele eingenistet haben. "Sie nehmen mir die Luft zum Atmen, den Optimismus, das Vorwärtsgehen", sagt sie. "Das Schlimmste aber ist, ich weiß einfach nicht, wo ich im Alter finanziell stehe. Die Zukunftsperspektive fehlt."

Rainer Kramm ist ebenfalls krank geworden - der Rücken. Nur mithilfe starker Medikimente kann er die Schmerzen überhaupt aushalten. Er hat Gudrun Werner aufgefangen, nun trägt er schwer an dieser Last, die selbst für zwei untragbar ist. "Wir wissen ja nicht, wo das Ende ist", sagt er. Die Zinsen summieren sich. Dazu kommen immer neue Kosten, aus denen dann wiederum Schulden werden: Steuern, Anwaltshonorare, Müll- und Abwassergebühren. Und der Schuldenberg wächst weiter.

Es wird gut.

"Wir haben doch uns und unsere Liebe", sagt Rainer Kramm tröstend, wenn er mitbekommt, dass seine Lebensgefährtin nicht mehr weiterweiß. Dann wieder ist sie es, die ihm und auch sich selbst Mut zuspricht: "Ganz tief in mir spüre ich: Es wird gut." Die Realität sieht leider nicht so rosig aus. Gudrun Werner wird weiter mit ihren Schulden leben müssen.

Vorsicht, Falle!

Was bei Kreditbürgschaften zu beachten istWer eine Kreditbürgschaft übernehmen will, muss sicher sein, dass er notfalls in der Lage wäre, den Kredit allein zurückzuzahlen. Als Bürgin sind Sie mit dafür verantwortlich, dass das Geld zurückgezahlt wird - und wenn derjenige, der den Kredit aufgenommen hat, ausfällt, zahlen Sie allein!

Weil sie ihren Partner nicht "hängenlassen" wollen, neigen Frauen dazu, sich finanziell zu überfordern. Tun Sie das nicht, sondern behalten Sie - bei aller Liebe - einen kühlen Kopf. Wägen Sie ab: Was haben Sie davon, die Bürgschaft zu übernehmen? Würden Sie sich zum Beispiel auch dann für eine Unternehmensgründung engagieren, wenn es nicht die Ihres Partners wäre?

Es gibt verschiedene Arten der Kreditbürgschaft. Sie können zum Beispiel festlegen, dass Sie nur bis zu einem bestimmten Betrag und für einen begrenzten Zeitraum herangezogen werden können. Wenn Sie schon Ja sagen: Halten Sie Ihr Risiko möglichst gering.

Eine Kreditbürgschaft ist keine "Formsache", (auch wenn bei Banken häufig dieser Eindruck vermittelt wird), sondern, wie Juristen sagen, ein "schuldrechtlicher Vertrag" mit unter Umständen sehr weitreichenden Folgen. Lassen Sie sich nicht zur Unterschrift drängen, sondern informieren Sie sich, etwa bei der Rechtsberatung der Verbraucherzentrale, bei einer Juristin oder bei einer Finanzberaterin (Adressen zum Beispiel unter www.finanzfachfrauen.de/). Informationen zur Kreditbürgschaft und zu den möglichen Folgen für die Bürgen gibt es u. a. bei diesen Anlaufstellen: Existenzgründungsportal des Bundeswirtschaftsministeriums (Suchbegriff "Kreditbürgschaft" eingeben) www.existenzgruender.de Initiative bürgschaftsgeschädigter Frauen www.buergschaftsgeschaedigte-frauen.de/

Text: Dorrit Riege Fotos: Getty Images Fachliche Beratung: Helma Sick, unabhängige Finanzberaterin, und Roswitha Wolff, Fachanwältin für Familienrecht, beide München Redaktion: Christine Tsolodimos Brigitte woman 09/12

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