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Patchwork-Biographien: Den Aufstieg schaffen

Wer nicht den schnurgeraden Weg durch Leben geht, wird häufig schief angeschaut. Doch oft sind es die Patchwork-Biographien, die Erfolg bringen.

Seine Mutter war überzeugt, er würde nie einen Beruf erlernen. Seine Lehrer prophezeiten ihm das Dahindämmern im Wartesaal des Lebens. "Ich habe ein Jahr gebraucht, um mir den Buchstaben A zu merken", gesteht der Franzose Daniel Pennac in seinem Buch "Schulkummer". Ihm fehlte auch sonst alles, was das Lehrbuch für Erfolg vorschreibt: Selbstgewissheit, Strategie und Elitebewusstsein.

Heute spielt Pennac in der Bestseller-Liga des Literaturbetriebs. Sein Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, Prophezeiungen zu ignorieren. Und wie wertlos Karrierestrategien sind, die fordern, Fehler und scheinbar Sinnloses aus unserem Alltag zu schneiden wie überschüssiges Fett. Menschen wie Pennac gibt es überall. Niemand hat ihnen etwas zugetraut, heute werden sie gefeiert.

Menschen mit Patchwork-Biografien schaffen oft den Aufstieg

Hinter ihren Erfolgen stehen Lebensläufe wie Flickenteppiche, zusammengestückelt aus Neigungen und Suchbewegungen jenseits der ausgetretenen Wege. Männer und Frauen mit solchen Patchwork-Biografien sind oft überdurchschnittlich ideenreich und reflektiert. Sie sammeln Erfahrungen in Nischen und auf Nebenschauplätzen und halten Berufsplanung bestenfalls für eine Laborvariante des Lebens. Sie sind Abenteurer und neugierig auf das, was hinter den Grenzen liegt. Dabei kämpfen sie insgeheim gegen Selbstzweifel und Ungewissheit, wenn Geschwister, Freunde oder Mitschüler auf ihrem Lebensweg an ihnen vorbeiziehen und sie immer wieder zu hören kriegen: Aus dir wird doch nie was!

Das auszuhalten und einen verschlungenen Weg zu betreten, ohne das Ziel zu kennen, erfordert Selbstvertrauen, Mut - und auch Beharrlichkeit. Eine Eigenschaft also, die den Träumern und Rumhängern im Allgemeinen abgesprochen wird. Schließlich brechen sie Schule und Ausbildung ab, fangen etwas anderes an, ziehen durch die Welt, lassen sich treiben. So wie die Politikerin Renate Schmidt, der Moderator Jörg Thadeusz und die anderen, die hier von ihrem bisherigen Lebensweg berichten.

Und ausgerechnet dann, wenn besorgte Freunde glauben, dass sie nun endlich "vernünftig" werden und eine sichere Existenz ansteuern, schlagen sie einen Haken und nehmen eine Abzweigung, die scheinbar in Nichts führt.

Solche Umwege erhöhen die Ortskenntnis. Sie lehren ein Maximum an Flexibilität und Motivation. Das Abwarten und Ausprobieren lässt Wünschen Zeit, sich zu entfalten. Vielen hilft es, ihre Berufung zu finden - und das ist mehr als ein Beruf.

Patchwork-Biographien: "Menschen, die ihrer Berufung folgen, inspirieren jede Gesellschaft."

Soziologen sagen, dass Menschen, die ihrer Berufung folgen, jede Gesellschaft inspirieren. Wer das, was er tut, mit ganzem Herzen macht, ist gut in seinem Job - und zufrieden mit seinem Leben. Dafür lohnt es sich, die eigenen Entscheidungen immer wieder infrage zu stellen und manchmal scheinbar ziellos unterwegs zu sein. Ein Lebensweg, ein beruflicher Werdegang lassen sich nicht planen wie die Produktlinie eines Unternehmens, sooft das auch behauptet wird. Das Leben ist keine mathematische Gleichung. Wer in der Schule schlechte Noten bekommt, kann später dennoch viel erreichen.

Der Legastheniker Daniel Pennac hat inzwischen zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter einige Bestseller. Seine Mutter mag aber bis heute nicht an seinen Erfolg glauben. Als sie mit Pennacs Bruder Bernhard vor einiger Zeit ein Porträt ihres Schriftstellersohnes im Fernsehen sah, fragte sie Bernhard zum Schluss: "Und? Glaubst du, dass er es eines Tages schaffen wird?"

Patchwork-Biographie: Cynthia Barcomi

46, Inhaberin von Barcomi's Deli und Barcomi's Kaffeerösterei in Berlin Meine beiden Schwestern schrieben in der Schule die Einsen. Ich war das Nesthäkchen mit den exotischen Neigungen, das schon als Dreijährige Tänzerin werden wollte und später Philosophie und Theaterwissenschaft studiert hat. Die Tochter einer wohlhabenden amerikanischen Familie eben. Das Einzige, was man mir zugetraut hat, war, einen gut verdienenden Mann zu heiraten. Keiner hat damit gerechnet, dass ich mal zwei Cafés führen, 80 Stunden pro Woche ackern und vier Kinder bekommen würde. Ich musste Amerika weit hinter mir lassen, um das zu realisieren. Und selbst aus der Ferne haben meine Eltern anfangs versucht, mich auf den "richtigen" Weg zu bringen. Als ich Mitte der 80er Jahre nach Berlin zog, sagten sie, ich solle doch lieber nach Paris gehen. Als ich mein erstes Café eröffnete, empfahl mir meine Mutter, für das Backen Profis einzustellen. Ich war ja keine gelernte Köchin. Sie konnte nicht verstehen, dass ich es selbst versuchen wollte - als einziges Kind reicher Eltern hatte sie nie für etwas gekämpft.

Dabei hatte sie ja nicht ganz unrecht, denn Berlin war anfangs wirklich hart. Ich kannte niemanden und konnte kein Deutsch. Oft hatte ich das Gefühl, auf einem Sprungbrett zu stehen, ohne zu wissen, ob Wasser im Schwimmbecken ist. Aber ich bin daran gewachsen - und auch am Widerstand meiner Eltern. Und ich habe gelernt, die Erwartungen anderer zu ignorieren und immer wieder in mich hineinzuhorchen: Was fühlt sich richtig an? Was nicht? Diese Erfahrung gebe ich an meine Kinder weiter. Meine Mutter lebt leider nicht mehr. Sie wäre sicher sehr stolz auf mich. Aber sie wäre auch ein bisschen überrascht, dass ich mich so durchgesetzt habe.

Patchwork-Biographie: Marianne Knaak

50, Inhaberin von Sitline, Fachgeschäft für ökonomische und ergonomische Möbel Ich habe Zahntechnikerin gelernt und zehn Jahre in diesem Beruf gearbeitet. Aber dann wollte ich etwas Neues probieren und habe ein Geologiestudium begonnen. Meine Eltern waren natürlich irritiert. Sie dachten: Jetzt springt sie von ihrem gut bezahlten Job ab und fängt ein brotloses Studium an. Das wird doch nie was. Und dann habe ich das Studium auch noch nach dem Vordiplom abgebrochen.

Das haben viele in meinem Umfeld dann gar nicht mehr kapiert. Für sie war das Zeitverschwendung. Aber ich habe das nie so gesehen. Das Studium war ja keine Laune. Es war mein tiefer Wunsch, und ich glaube, dass es für die Persönlichkeit wichtig ist, so einem Wunsch nachzugehen, auch wenn daraus nicht der Job fürs Leben wird. Ich glaube, dass Menschen auf lange Sicht produktiver und zufriedener sind, wenn sie sich die Zeit nehmen, den Beruf zu suchen, der wirklich zu ihnen passt.

Um mein Studium zu finanzieren, habe ich damals im Möbelgeschäft meiner Schwester gejobbt. Daraus ist dann zur Überraschung aller mein heutiger Beruf geworden: 2004 habe ich das Geschäft gekauft. Als Unternehmerin hatte ich nie das Gefühl, dass mir für meinen Beruf etwas fehlt. Man braucht vor allem innere Stabilität und muss gleichzeitig sehr flexibel sein. Beides habe ich - auch dadurch, dass ich in meinem Leben schon Verschiedenes ausprobiert habe. Und für die Buchhaltung habe ich meinen Steuerberater.

Patchwork-Biographie: Jörg Thadeusz

40, Radio- und Fernsehmoderator ("Thadeusz", "Dickes B" u. a.) Ich habe oft gedacht, dass aus mir nichts wird. Der Satz war meine Morgenmelodie, wenn ich als Rettungssanitäter nach der Schicht aus dem Rettungswagen stieg, oder in meiner Zeit als Liegenwagenschaffner - da war ich sicher, dass ich es bestenfalls bis zum Schlafwagenschaffner bringe. Meine Oma hat damals gemeint, dass ich meine Zeit vergeude, und mir geraten, zur Uni zu gehen. Aber auch als Geschichtsstudent war ich fehlbesetzt. Kein Blaulicht. Keine Action. Nur Mädchen, die wichtige Sätze mit dem Geodreieck unterstrichen haben. Irgendwann habe ich dann ein Praktikum beim Radio in Dortmund gemacht, und das war ein Volltreffer.

Anschließend habe ich sofort mein Studium sausen lassen. Hier konnte ich endlich meine Neugier für Menschen und ihre Geschichten ausleben, denn ich habe schon immer jeden Kollegen und Taxifahrer ausgefragt. Welche Farbe hat dein Teppich? Was trinkst du morgens, und wie sehen deine Pantoffeln aus? Mich interessiert das einfach, und als Belohnung habe ich unglaubliche Geschichten zu hören bekommen. Niemand ist langweilig, da bin ich ganz sicher.

Und weil ich da so sicher bin, ist dann doch noch was aus mir geworden, obwohl ich es in der Schule nur bis zum Klassenclown gebracht habe. Es mag ja sein, dass schnurgerade Karrieristen zu beeindruckenden Kapazitäten in ihrem Fachbereich heranwachsen. Aber ich wollte immer auch wissen, was rechts und links vom Weg passiert. Ich finde, man sollte sich mehr als die Wohlanständigkeit seines Elternhauses angucken. Von dieser Einstellung habe ich in meinem Job immer profitiert.

Patchwork-Biographie: Renate Schmidt

65, SPD-Politikerin und Bundestagsabgeordnete, ehemalige Bundesfamilienministerin Mit 17, ein Jahr vor dem Abitur, wurde ich von meinem Tanzstundenherrn schwanger. Das war in den 60er Jahren ein Skandal! Die Direktorin meiner Schule sagte mir, ich sei eine Schande. Ich musste das Gymnasium verlassen. Meinen Traum, Mathematik zu studieren, konnte ich begraben. Stattdessen habe ich mich nach der Geburt meines ersten Kindes als Programmiererin bei Quelle beworben. Kaum einer hat mir damals zugetraut, den Einstellungstest zu schaffen. Aber ich habe mit "sehr gut" bestanden und mich diebisch gefreut, dass ich es all den Lehrern gezeigt hatte, die mich dem Untergang nahe sahen.

Heute würde ich sagen, dass der Rausschmiss für mich ein Glücksfall war. Ohne ihn hätte ich nach dem Abitur wahrscheinlich meinen Tanzstundenherrn geheiratet, studiert, Kinder bekommen und wäre erst mal zu Hause geblieben. Aber die frühe Schwangerschaft hat mich gezwungen, immer wieder ungewöhnliche Lösungen zu finden. Dadurch habe ich viel Lebenserfahrung gewonnen, die Menschen neugierig auf mich gemacht hat. Und ich konnte als Betriebsrätin und in der Politik viel glaubwürdiger mitreden.

Aber das Wichtigste ist vielleicht, dass mich der Rausschmiss ermutigt hat, immer den ungewöhnlichen Weg zu wählen. Es geht doch darum, die vielen Möglichkeiten, die in einem stecken, auch auszudrücken - und ich habe früh erfahren, dass einem das auf lange Sicht nützt.

Patchwork-Biographie: Daniel Goeudevert

67, erfolgreich als Manager in der Autoindustrie und Unternehmensberater, heute Sachbuchautor Mein Vater war Dorfpolizist, meine Mutter Hausfrau, und in der Schule bin ich wegen Deutsch sitzen geblieben. Nein, dass aus mir was Besonderes wird, hat wohl kaum einer gedacht. Aber das Sitzenbleiben hat meinen Ehrgeiz entfacht, und als ich schließlich mit Anfang 20 Literatur studiert hatte und Lehrer war, fanden meine Eltern, dass ich ganz oben angekommen sei.

Hätten sie geahnt, dass ich ein paar Jahre später kündigen und zu Citroën gehen würde, wären sie entsetzt gewesen. Eine Arbeit als Beamter aufgeben, um Verkäufer zu werden? Das war für sie der sichere Abstieg. Deshalb habe ich es ihnen auch erst nach anderthalb Jahren gestanden. Aber der Wechsel war absolut richtig für mich, er hat mich bis in die Chefetagen von verschiedenen Autokonzernen geführt.

Mitte der 90er Jahre saß ich jedoch in einer Vorstandskonferenz und hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu kriegen. Da bin ich ausgestiegen und habe begonnen, Bücher zu schreiben. Viele denken, dass man für solche Entscheidungen sehr risikobereit sein muss, aber ich würde sagen, dass man auch eine Portion Naivität braucht und Karriere kein Lebensziel sein darf. Ich habe nie taktiert und mich eher vom Leben treiben lassen, als dass ich versucht habe, gezielt etwas zu erreichen. Natürlich war ich manchmal in Sorge, ob das gut geht. Aber meine vielen Wechsel und Umwege haben mir gezeigt: Es lohnt sich, seinem Gefühl zu vertrauen. Sonst bleibt man blind für die Chancen des Lebens.

Text: Christa Thelen Fotos: Getty Images; Paul Schirnhofer, Faktenblatt der bga, Nr. 20, S. 34; Claus Sautter; Cinetext

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