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"Es wird Zeit, dass Sie in Rente gehen"

Verzweifelte Arbeitnehmerin
© fizkes / Shutterstock
Selten sagt es ein Chef so deutlich. Doch Tatsache ist: Ältere werden schnell zum Mobbing Opfer. Manche Betriebe wollen sie mit allen Mitteln loswerden.

Am schlimmsten ist der Moment kurz vor dem Einschlafen, sagt Regina Werkmeister*. Dann ist die Erinnerung wieder da. Sie fühlt sich zurückversetzt in die Konferenz ihrer Abteilung, eine Runde von 20 Personen, und hört die Worte des Chefs: "Mit Ihnen weiter zusammenarbeiten? Nur über meine Leiche!" Leise klingt ihre Stimme, während sie davon erzählt. "Wir waren doch ein eingespieltes Team. Wir haben uns doch immer so gut verstanden", sagt sie, als könne sie immer noch nicht fassen, was ihr damals passiert ist.

Der will mich rausekeln!

Regina Werkmeister hat fast 20 Jahre als Assistentin am Lehrstuhl für Maschinenbau an der TU Berlin gearbeitet. An die ersten 15 erinnert sie sich gern. Sie fühlte sich wohl im Team und wurde geschätzt - so sehr, dass ihr zusätzlich die Verantwortung für die Finanzen des Fachbereichs anvertraut wurde. Zu ihrem Vorgesetzten, der ein paar Jahre jünger war als sie selbst, hatte sie ein geradezu freundschaftliches Verhältnis. Seine Kinder waren etwa im gleichen Alter wie ihre, oft fragte er sie um Rat.

Kurz vor ihrem 60. Geburtstag begann der Albtraum. Schon vor einiger Zeit war Regina Werkmeister aufgefallen, dass eine Freundin ihrer jungen Kollegin neuerdings häufiger zu Besuch kam. Dem Chef schien die attraktive Frau zu gefallen, er trank mit ihr Kaffee in seinem Büro, Regina Werkmeister hörte die beiden miteinander lachen. Zu ihr dagegen wurde er immer unfreundlicher - und bemerkte eines Tages, wie nebenbei: "Sie werden jetzt 60, alle anderen hier sind halb so alt wie Sie. Es wird Zeit, dass Sie in Rente gehen!" Eine Kampfansage. Ihren Arbeitsplatz hatte der Chef hinter ihrem Rücken bereits neu vergeben - an die junge Besucherin. Ein paar Tage später wurde Regina Werkmeister in ein neues "Büro" gesetzt, ein Durchgangszimmer ohne Schreibtisch und Stuhl. Der Hausmeister holte ihr alte Möbel aus dem Keller, die sie erst abwischen musste. Als sie sich beschwerte, bekam sie ein anderes Zimmer zugewiesen, das erst recht heruntergekommen war. Dort lagen handschriftliche Texte, die sie abtippen sollte.

Als sie den Chef um einen anständigen Raum und um angemessene Aufgaben bat, lachte er ihr ins Gesicht und hörte erst wieder auf, als sie sein Büro verließ. Regina Werkmeister wurde klar: "Der will mich rausekeln!"

* Namen aller Betroffenen geändert

Ein klarer Fall von Mobbing - und kein Einzelfall

Irene Hoppe konnte nachts nicht mehr schlafen.

Nach einer Studie des Sozialforschungsinstituts IFAK wurde jeder Achte in seinem derzeitigen Job bereits gemobbt. Und mit dem Alter steigt das Risiko: Wie das Taunussteiner Institut für Markt- und Sozialforschung in einer Umfrage herausfand, sind Menschen über 50 doppelt so oft Mobbing ausgesetzt wie ihre jüngeren Kollegen. Über die Hälfte der Betroffenen werden krank, davon jeder zweite länger als sechs Wochen. Nervosität, Schlafstörungen und Niedergeschlagenheit bis hin zu Depressionen sind typische Folgen von Mobbing.

Bei Irene Hoppe aus Frankfurt wurde der seelische Druck irgendwann so groß, dass sie in eine psychosomatische Klinik musste. Als Büroleiterin hatte sie 13 Jahre für den jeweiligen Vorstandsvorsitzenden einer großen Fluggesellschaft gearbeitet. Terminplanung, das Organisieren von Veranstaltungen, Sitzungsprotokolle und die gesamte Korrespondenz - auch auf Englisch -, all das erledigte sie selbständig, "und allen Chefs hat das gefallen", erinnert sich die 54-Jährige. Dann kam einer, dem so viel Eigeninitiative offenbar zu viel war. Er fing an, sich in ihre Arbeit einzumischen und geradezu nach Fehlern zu suchen. Als ein Abteilungsleiter in einer Sitzung die losen Schrauben eines Toilettendeckels erwähnte, schrieb sie das nicht ins Protokoll, weil es bisher üblich war, solche Details wegzulassen. Der neue Chef fuhr sie an: "Sie arbeiten ungenau!"

Jeder zweite der 55- bis 64-Jährigen ist nicht mehr erwerbstätig

Ab sofort kontrollierte er sie, jede Kleinigkeit musste sie mit ihm abstimmen. Er selbst schien ein Chaot zu sein, mal überschüttete er die Büroleiterin mit Aufträgen, mal saß sie tagelang tatenlos herum. Und immer wieder ließ der Vorgesetzte ihr gegenüber durchblicken, wie er sich das Image der Fluggesellschaft vorstellte: jung, leistungsstark und gut gelaunt. Irene Hoppe war über 50, hatte tagsüber am Arbeitsplatz nichts mehr zu lachen und konnte nachts nicht mehr schlafen. Und sie fühlte sich plötzlich uralt.

Kaum jemand bekommt am Arbeitsplatz ins Gesicht gesagt: "Sie sind uns zu alt", wie es Regina Werkmeister passiert ist. Trotzdem verlassen viele den Arbeitsmarkt lange vor dem gesetzlichen Rentenalter. Von den 55- bis 64-Jährigen ist in Deutschland jeder zweite nicht mehr erwerbstätig; in über 40 Prozent aller Betriebe ist niemand über 50 beschäftigt. Und das, obwohl das Renteneintrittsalter in den nächsten Jahren schrittweise auf 67 steigen wird und schon jetzt die Fachkräfte knapp werden. Vereinzelt werden bereits Rentner an den Arbeitsplatz zurückgeholt. Doch noch immer versuchen viele Betriebe, mit Abfindungen und Altersteilzeit- Angeboten die Beschäftigten zum vorzeitigen Ausstieg zu bewegen. Offener Druck, das Angebot auch anzunehmen, ist durchaus üblich. Irene Hoppe fühlte sich vom Psychoterror ihres Chefs regelrecht zermürbt. Nach einem Nervenzusammenbruch kündigte sie von sich aus ihre Stelle und stand ohne Abfindung auf der Straße.

Zu langsam, nicht mehr lernfähig, zu oft krank seien sie, wird den Älteren oft vorgehalten. Das stimmt nicht: Zwar steigt die Wahrscheinlichkeit ernster Erkrankungen mit dem Alter. Doch die über 60-Jährigen, die noch im Beruf stehen, sind sogar seltener krankgeschrieben als die jungen Berufsanfänger, so zum Beispiel eine Studie der AOK. Der eigentliche Grund für das Verschwinden der Älteren aus dem Arbeitsleben: Sie sind den Unternehmen in vielen Fällen ganz einfach zu teuer.

Damit wir von uns aus kündigen, hat sie uns schikaniert.

Viele der über 50-Jährigen haben noch Arbeitsverträge aus Zeiten der Hochkonjunktur: mit Löhnen und Gehältern über Tarif, Betriebsrenten, Gewinnbeteiligung, zusätzlichen Sozialleistungen. Aufgrund ihrer Arbeitsjahre kosten sie mehr als die jungen Kollegen. Andererseits wird jeder Abteilungsleiter heute zum Sparen angehalten. Und einigen ist dabei fast jedes Mittel recht.

Das haben auch die Krankenschwestern Heidrun Schneider, 57, und Katrin Sanders, 58, aus Kaiserslautern erlebt. Sie sind seit der Ausbildung Freundinnen und haben jahrelang gemeinsam bei einem ambulanten Pflegedienst gearbeitet. Die hoch engagierten Frauen liebten ihre Arbeit - bis eine neue Chefin kam. Vor allem schnell und kostengünstig sollte das Team jetzt arbeiten. Gute Pflege und ein respektvoller, mitfühlender Umgang mit den Patienten waren der Leiterin offenbar nicht so wichtig. Heidrun Schneider und Katrin Sanders bestanden aber auf diesen Prinzipien, deshalb hatten sie schnell den Ruf der ewig nörgelnden Alten. Heidrun Schneider wurde rasch klar, was die Chefin vorhatte: "Sie wollte das bisherige Team durch jüngere, billigere Arbeitskräfte ersetzen, die sie nach ihren Wünschen formen konnte...." - "...und damit wir von uns aus kündigen, hat sie uns schikaniert", fügt Katrin Sanders hinzu.

Die Fahrtenpläne für ihre Hausbesuche sahen plötzlich so aus, dass die beiden Krankenschwestern lange Umwege fahren mussten. Dauernd kamen sie zu spät, manche Termine konnten sie gar nicht einhalten. Wenn Patienten sich darüber beschwerten, bekamen Heidrun Schneider und Katrin Sanders die Schuld.

Alle im Team hatten Angst vor dieser Frau.

Immer öfter rief die Chefin die beiden getrennt voneinander in ihr Büro und hielt ihnen Standpauken: "Wo haben Sie eigentlich Ihre Ausbildung gemacht? Sie können ja gar nichts!" Vor allem Heidrun Schneider ließ sich dadurch verunsichern. Doch es kam noch schlimmer: Als die 58-Jährige nach einem Bandscheibenvorfall nicht mehr schwer heben durfte, teilte die Chefin sie allein zum Hausbesuch bei einem bettlägerigen Patienten ein, der 100 Kilo wog. Heidrun Schneider bat um Unterstützung oder einen anderen Einsatz: "Sonst sitze ich anschließend womöglich im Rollstuhl." Die Antwort der Chefin: "Das ist nicht mein Problem!"

"Alle im Team hatten Angst vor dieser Frau. Niemand hat gewagt, den Mund aufzumachen und sich auf unsere Seite zu stellen", erinnern sich die beiden Krankenschwestern, die schließlich selbst daran zweifelten, ob sie dem Beruf noch gewachsen seien. Auch Regina Werkmeister und Irene Hoppe hatten ihr Selbstwertgefühl verloren; ihre ganze Persönlichkeit schien infrage gestellt.

Ältere, verzweifelte Dame vor ihrem PC
© Ruslan Huzau / Shutterstock

Viele Mobbing Opfer empfinden Schuld und Scham

Die Mannheimer Psychotherapeutin Ingrid Sälzler, die sich auf Beratung in beruflichen Konflikten spezialisiert hat, kennt viele solche Leidensgeschichten. "Für Außenstehende mag das schwer nachvollziehbar sein", sagt sie, "aber sehr viele Mobbing Opfer empfinden Schuld und Scham, obwohl sie es sind, denen Unrecht getan wurde."

Heidrun Schneider und Katrin Sanders wollten das nicht hinnehmen und suchten sich deshalb professionelle Hilfe. Die Beraterin Iris Heuser, die bei Konflikten am Arbeitsplatz und Mobbing den Betroffenen psychologische Unterstützung anbietet, empfahl den beiden Krankenschwestern eine Aussprache mit der Chefin in Anwesenheit einer unabhängigen Mediatorin. Zusammen mit Iris Heuser bereiteten die beiden Frauen sich auf das Treffen vor. Dass es schwierig werden würde, war abzusehen.

Mobber versuchen durch ihr Handeln eigene Defizite zu überspielen.

"Meist versuchen Mobber durch ihr Handeln eigene Defizite zu überspielen", sagt Iris Heuser. Die Chefin von Heidrun Schneider und Katrin Sanders hatte selbst nie als Krankenschwester in der ambulanten Pflege gearbeitet - und daher im Vergleich zu ihren beiden erfahrenen Mitarbeiterinnen wenig Ahnung. Das allerdings hätte sie nie zugegeben. "Im Schlichtungsgespräch wirkte sie kaltschnäuzig und wies jede Verantwortung von sich", erinnert sich die Expertin. Ein typisches Phänomen, so ihre Erfahrung: "Vielen Mobbern fehlt das Unrechtsbewusstsein. Sie kreisen so um sich, dass sie gar nicht über die Folgen ihres Handelns nachdenken."

Therapeutin Ingrid Sälzler bestärkt deshalb ihre Klienten darin, sich in Gedanken möglichst nicht länger mit dem Mobber zu beschäftigen und stattdessen die Situation als Herausforderung zu sehen: "Sie sollen an dem, was ihnen passiert ist, nicht verzweifeln, sondern wachsen."

"Das war für mich die Chance, etwas Neues zu starten."

Regina Werkmeister hätte diese Aufforderung damals womöglich als zynisch empfunden. Ein Herzinfarkt, eine schwere Hautkrankheit, Rückenprobleme und Bluthochdruck: Das ist ihre Bilanz der mehrjährigen Leidenszeit an ihrem Arbeitsplatz. Insgesamt fünfmal hat sie vor dem Arbeitsgericht geklagt - gegen die "unqualifizierte Beschäftigung" mit Schreib- und Hilfsarbeiten im Büro und gegen das Mobbing durch ihren Chef. Die Mobbing-Klage ging bis zum Landesarbeitsgericht. Dort hat Regina Werkmeister den Prozess verloren, unter anderem, weil das Gericht es als "nicht erwiesen" ansah, dass sie als unmittelbare Folge des Mobbings krank geworden sei. Noch heute leidet sie unter Depressionen.

Irene Hoppe hatte mehr Glück, die Krise hat sie sogar gestärkt. Beim Einkaufen in einem Feinkostladen kam ihr die Idee: "So ein Geschäft will ich auch mal haben." Mit dem Gefühl, sie habe jetzt ohnehin nichts mehr zu verlieren, hat sie den Schritt in die Selbständigkeit gewagt. Heute macht Irene Hoppe mit ihren beiden Geschäften um die 200 000 Euro Umsatz im Jahr.

Die Erfahrungen an ihrem letzten Arbeitsplatz wünscht sie niemandem und möchte sie auch kein zweites Mal erleben. Aber: "Das war für mich die Chance, etwas Neues zu starten. Darüber bin ich heute sehr glücklich."

"Dann gehe ich eben früher in Rente"

Ein verständlicher Wunsch, wenn das Leben am Arbeitsplatz zur Hölle geworden ist. Doch wer ihn sich erfüllen will, muss gut nachrechnen. Den "goldenen Handschlag" mit 57 oder noch eher gibt es heute nicht mehr. Vor allem große Betriebe bieten jedoch Altersteilzeit an, ein Rechtsanspruch darauf besteht allerdings nicht.

Wer Altersteilzeit in Anspruch nehmen will, muss mindestens 55 sein und wenigstens 1080 Kalendertage versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit innerhalb der vergangenen fünf Jahre nachweisen. Die Altersteilzeit läuft über mindestens zwei, höchstens vier Jahre. Üblich ist ein Blockmodell: In der ersten Hälfte der Zeit wird die gewohnte Wochenstundenzahl gearbeitet, in der zweiten Hälfte ist die Mitarbeiterin freigestellt. Gezahlt wird während der ganzen Zeit die Hälfte des bisherigen Nettogehalts plus ein (steuerfreier) Zuschlag von mindestens 20 Prozent, manche Betriebe zahlen mehr.

Mit dem Ende der Altersteilzeit beginnt offiziell der Ruhestand. Wer dann das gesetzliche Rentenalter noch nicht erreicht hat, bekommt von seiner Rente die üblichen Abschläge abgezogen. Scheidet jemand zum Beispiel zweieinhalb Jahre früher aus dem Arbeitsleben aus, sind das bereits neun Prozent.

Ruhestandsbeginn ohne Abzüge mit 65 - diese einheitliche Regelung gilt noch für die Jahrgänge bis 1946, für die Jüngeren steigt das "Renteneintrittsalter" schrittweise an. Wer 1958 geboren ist, muss bereits bis 66 arbeiten, um die volle Rente zu erhalten. Info unter www.deutscherentenversicherung.de.

Konflikte und Mobbing am Arbeitsplatz - hier gibt es Rat und Hilfe

Viele Krankenkassen haben einen Telefon- Beratungsdienst (Mobbing-Telefon). Die Gewerkschaften geben ihren Mitgliedern kostenlos Auskunft und Rechtshilfe. Am Arbeitsplatz kann der Betriebsrat den Kontakt zu speziell ausgebildeten "Mobbingund Konfliktberatern" herstellen. Netzwerk Mobbing-Hilfe www.mobbing-hilfe.de Fairness-Stiftung www.mobbingscout.de

Text: Sabine Hoffmann

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