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Hat das Home-Office wirklich nur Vorteile?

Hat das Home-Office wirklich nur Vorteile?
© McMahon/ Corbis
Home-Office, das scheint vielen Frauen das Tor ins Job-Paradies zu sein. Aber hat es wirklich nur Vorteile? Und für wen kommt es überhaupt infrage?

Dauernd kommt was dazwischen. Da hat man sich extra den ganzen Mittwoch freigeschaufelt, um ein wichtiges Konzept zu erarbeiten, und jetzt das: 53 E-Mails, die angeblich alle eilig sind. Ein heikles Kundengespräch, das die Chefin aus Zeitnot nicht selbst führen kann und das, versteht sich, keinen Aufschub duldet. Eine "spontane kleine Teambesprechung", Dauer: 90 Minuten. Und schon ist es Mittag ... An solchen Tagen drängt sich der Gedanke geradezu auf: "Was hätte ich in der Zeit zu Hause alles schaffen können!"

Zum Arbeiten nicht in die Firma fahren, sondern lediglich die paar Schritte an den eigenen Schreibtisch tun: In vielen Berufen ist das längst üblich. Lehrer korrigieren zu Hause Klassenarbeiten, Richter sitzen im Privatbüro über Prozessakten, Professorinnen schreiben Artikel für Fachzeitschriften. In den vergangenen Jahren haben weitere Berufsgruppen nachgezogen. Programmiererinnen, Buchhalter, Grafikdesignerinnen - alle, die bei der Arbeit nicht ständig auf den persönlichen Kontakt zu Kolleginnen oder Kunden angewiesen sind, nutzen gern auch ihr Zuhause als Arbeitsort.

Heimarbeiter fallen weniger wegen Krankheit aus

Ein gut durchdachtes und organisiertes Heimarbeitsmodell hat Vorteile - für die Beschäftigten, aber auch für den Arbeitgeber: Er spart Kosten, weil er nicht mehr für jeden Mitarbeiter Schreibtisch und Büroraum bereitstellen muss. Wenn ein Teil der Belegschaft tageweise im Home-Office tätig ist, können mehrere einen Arbeitsplatz im Wechsel nutzen. Die Beschäftigten wiederum sparen an ihren Home-Office-Tagen nicht nur den Arbeitsweg, sondern auch die Zeit, die in Betrieben für womöglich überflüssige oder zumindest wenig effektive Konferenzen und Telefonate draufgeht.

Auch die üblichen Unterbrechungen - im Büro durchschnittlich alle elf Minuten, durch aufploppende E-Mails oder auch Kolleginnen, die "nur mal kurz was fragen wollen" - fallen weg. Wer auf eigenen Wunsch zu Hause arbeitet, schafft dort Untersuchungen zufolge rund ein Viertel mehr als im Büro und ist zugleich zufriedener mit dem Ergebnis. Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass die Heimarbeiter seltener wegen Krankheit ausfallen als der Durchschnitt der Berufstätigen.

Was ist Arbeit, was bleibt noch privat?

Wer einen Teil seiner Erwerbsarbeit nach Hause verlegt, muss allerdings damit rechnen, dass sich Arbeits- und Privatleben künftig kaum noch voneinander trennen lassen. Kritiker der Heimarbeit in Gewerkschaften und Betriebsräten, unter Arbeitgebern und Personalverantwortlichen finden das bedenklich - aus jeweils anderen Gründen: weil viele im Home-Office, ohne sich dessen bewusst zu sein und unbemerkt von Vorgesetzten und Kollegen, länger arbeiten würden als vorgesehen und erlaubt, sagen Gewerkschaften und Betriebsräte. Weil Heimarbeiter ständig abgelenkt würden, etwa durch Wäscheberge (schnell mal die Maschine laufen lassen), Wollmäuse unter dem Sofa (schnell mal durchsaugen) oder Streit im Kinderzimmer (doch mal dazwischengehen), sagen manche Arbeitgeber und Personalleute. "Geschwindigkeit und Qualität bleiben häufig auf der Strecke, wenn wir von zu Hause aus arbeiten", heißt es in einer E-Mail, mit der die Personalchefin des Internet-Konzerns Yahoo im Auftrag der Vorstandsvorsitzenden Marissa Mayer im vergangenen Jahr alle "Heimarbeiter" ins Unternehmen zurückrief.

Eine Entscheidung gegen den Trend zu immer flexibleren Arbeitsmodellen, mit denen Unternehmen überall auf der Welt auf die Erkenntnisse der Arbeitspsychologie reagieren. "Viele Menschen wollen keine starren Arbeitsorte und fixen Zeiten, sondern selbst entscheiden, wann sie am Schreibtisch sitzen und wann sie Pause machen", sagt Professor Thomas Rigotti, Arbeitspsychologe an der Universität Mainz. Wer in der flexiblen Arbeitswelt bestehen wolle, müsse allerdings selbst darauf achten, weder zu viel noch zu wenig zu arbeiten. "Man muss sich selbst motivieren und den eigenen Tag strukturieren können", sagt der Experte. Wichtig sei auch, mit den Kolleginnen und Kollegen im Kontakt zu bleiben.

Man ist auch aus dem Blickfeld

Wer morgens schwer aus dem Bett kommt und, sobald der Ideenfluss stockt, ans Bügelbrett oder zum Abwasch flüchtet, ist unter Kollegen und dem Blick eines Chefs sicher besser aufgehoben. Aber auch, wer bestens organisiert ist und bei der Arbeit weder Aufsicht noch ständigen Gedankenaustausch braucht, sollte sich nicht ganz ins Heimbüro zurückziehen.

Sonst könnte es passieren, dass das Management zwar seine Arbeit gern entgegennimmt, ihn abgesehen davon aber nicht im Blick hat - etwa bei der Besetzung von Führungspositionen. Eine Studie des Organisationsforschers Dan Chable von der London Business School hat gezeigt: Angestellte im Home-Office werden statistisch gesehen seltener befördert als andere, die ausschließlich im Büro arbeiten und ihren Vorgesetzten schlicht häufiger über den Weg laufen. Am sinnvollsten scheint deshalb, nur einen Teil der Woche im Home-Office tätig zu sein. Wem es gelingt, so eine Vereinbarung auszuhandeln, der sollte eines nicht vergessen: regelmäßig mit dem Chef Mittag essen gehen.

Gut zu wissen

Text: Sabine HoffmannBRIGITTE woman 08/2014

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