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Auf Augenhöhe Sophie Rois: Sei du selbst!

Autorin Marianne Mösle trifft Sophie Rois, Schauspielerin und Theaterheroine an der Berliner Volksbühne - und erlebt ein Drama in fünf Akten.

Sophie Rois: Zum ersten Akt

1. Akt: Treffen sich zwei Im Café des "Regent"-Hotels, Gendarmenmarkt, Berlin, mittags kurz vor zwölf. "Entschuldigung!" Nein, eine Ausrede habe sie nicht für ihre Verspätung, sagt Sophie Rois, als sie auf mich zustürmt. Ladylike, grüne Augen, energisches Kinn und mit dieser brüchigen Stimme, die mich immer, wenn ich die Schauspielerin höre, anrührt und in den Bann zieht. Bei ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar in Wien wurde ihr geraten, die Stimmbänder lieber im Krankenhaus behandeln zu lassen, als sie auf der Bühne zu malträtieren. Das hat sie nicht davon abgehalten, trotzdem zu singen und zu spielen. Ich habe gern auf sie gewartet. "Das freut mich", gluckert sie, faltet ihre Finger ineinander, dehnt sich und versinkt in ihrem Plüschsessel. Aber nur auf den ersten Blick. Denn sie ist zwar blass und zart, aber weder zu überhören noch zu übersehen und so direkt, wie sie spielt. Keine Diva, die mit raffinierten Fragen aus der Reserve gelockt werden muss. Ihre Offenheit wirkt ansteckend. Dass ich sie in "Fantasma" von Réne Pollesch in Wien gesehen habe, erzähle ich: fantastisch, leider nicht alles verstanden. Ob man denn immer alles verstehen müsse, fragt sie zurück. Das Spiel beginnt.

2. Akt: Sprechen sich zwei Aufgewachsen in Ottensheim bei Linz als Tochter eines Lebensmittelhändlers, avancierte sie Anfang der 90er Jahre in den anarchistischen Inszenierungen der Berliner Volksbühne zum Star und gehört seitdem zu den Großen. "Na, wenn ich das Zeug zum Atomphysiker gehabt hätte - herzlichen Glückwunsch!", entgegnet sie auf meine Frage, wie sie zur Schauspielerei gekommen sei. Womit meine Frage natürlich nicht beantwortet war. Der Kellner bringt Tee und Kekse, "die sehen aus wie Blutwurst", kommentiert Sophie Rois, fragt nach meiner Meinung und lässt sich das Gebäck schmecken. Eigenwilligkeit wird ihr nachgesagt. Eigenwilligkeit gehöre zu ihrem Job, sagt sie. "Wir Schauspieler sind doch ununterbrochen aufgefordert, 'Selbst' abzusondern: Sei du selbst! Sei du noch mehr selbst! Sei du am säääällllbstesten! So jemand wie ich lebt davon, dass er Eigensinn am laufenden Band produziert. Und wäre mein Eigensinn nicht markttauglich, dann würde ich niemanden interessieren, und ich könnte mir meinen Eigensinn sonst wohin stecken." Alles klar, diese Schauspielerin ist die Letzte, die sich irgendwo anbiedern würde, aber eine der Hingebungsvollsten, wenn sie sich für ein Projekt begeistert. Genauso hingebungsvoll, wie sie sich jetzt in unser Gespräch hineinredet. Über Rücken- und Seitenlehnen hinweg parlierend, mit langen Armen fuchtelnd, so innig und ganz bei der Sache. "Ich habe meine Lebensberechtigung früh daraus geschöpft, unterhaltsam zu sein", sagt sie. Der nächste Satz, den sie mir um die Ohren haut, klingt nicht weniger dramatisch. "In dem Moment, in dem einen die Eltern entzückt oder belustigt ansehen, hat man als Kind das Gefühl, dass man gefeit davor ist, im nächsten Teich ertränkt zu werden." Meint sie das ernst? Ich schlucke, und sie setzt noch einen drauf: "Ich spiele, weil ich überleben möchte." Wie Charlie Chaplin in "Modern Times". Das Drama steuert seinem Höhepunkt entgegen.

Ich habe meine Lebensberechtigung früh daraus geschöpft, unterhaltsam zu sein

Akt 3: Unterhalten sich zwei Und wie sie spielt. Tagsüber Proben in Berlin an der Volksbühne, abends Vorstellung in Wien am Burgtheater, in den Probenpausen dreht sie einen Film nach dem anderen, sagt Rollen ab, gründet eine Filmfirma, dazwischen Hörbücher, Theaterund Filmpreise. Ist das alles pures Strampeln ums Überleben? "Wo fühlen Sie sich denn am wohlsten, Frau Rois?" - "Besoffen im Bett!" Dabei guckt sie unschuldig aus der Wäsche und bricht in Lachen aus, amüsiert von ihrem eigenen Einfall. Ich lache auch, ich kann nicht anders, dauernd bringt sie einen zum Staunen oder Lachen. Ob ich ihr nun glaube oder nicht - was soll's. Hauptsache, die Unterhaltung stimmt. Sie hat eine Vorliebe dafür, Realitäten auf den Kopf zu stellen, und hält nichts davon, Rollen zu erfüllen, lieber fällt sie aus ihnen heraus. Und all das in ihrer unvergleichlich Rois'schen Art. Man muss ihr einfach zuhören, sie ist eine Explosion, die Leute im Café drehen ihre Köpfe - sie jubelt, sprudelt, krächzt, japst nach Luft, kiekst, rauft sich ihre wuseligen Haare und verkehrt von einem Moment zum anderen das gerade Gesagte ins Gegenteil - so leidenschaftlich wie keine andere. "Authentisches Gehampel" nennt sie es selbst. Sie erzählt viel, was hier nicht geschrieben werden darf, weil es zu privat ist, nur das eine: dass sie asozial sei, aber Männer, die sie zum Lachen bringen, unwiderstehlich findet. Und Kinder? Hat sie keine, aber "vielleicht werd ich ja morgen schwanger, und die Sache sieht ganz anders aus". Dabei streckt sie ihre Arme so großartig wie eine Stummfilmdiva von sich: "Also ich geh dann mal . . . "

Akt 4: Fragen sich zwei "Halt, stopp, wir sind noch nicht fertig!", rufe ich. Keine Ahnung, wie sie es anstellt, aber genau das macht ihren unbezwinglichen Charme aus: dieses unsinnig-ehrliche Spiel, das dem Gegenüber prickelnde Schauer über den Rücken jagt. Wer ist sie? Ebenso cool wie herzlich. Wir unterhalten uns, als ob wir uns ewig kennen würden, trotzdem bin ich irritiert: Sie ist nicht zu fassen, weder mit Worten noch mit Sätzen.

Und der letzte Akt mit Sophie Rois

Akt 5: Schaukeln wir schon Ich muss wissen, aus was für einer Familie sie kommt. "Mich hat so sehr gerührt, als mein Vater einmal sagte: 'Ach weißt du, wenn das der Opa noch hätte sehen können!' Der Opa, der wär doch so gern Hutschenschleuderer geworden." Was ist das? Ein neues Rätsel aus Sophies Welt? Hutschenschleuderer sind Burschen, die früher auf den Rummelmärkten die Schiffschaukeln angestoßen haben, in denen die Mädchen saßen und kreischten. Sophies Großvater liebte den Zirkus, musste aber Kaufmann werden. "Und ich mach jetzt den Jahrmarkt, jawoll!" Das passt, danke, aber jetzt wird mir schwindlig, ich muss aussteigen.

Sophie Rois ist derzeit an der Berliner Volksbühne zu sehen in "Ein Chor irrt sich gewaltig" von René Pollesch und in "Die Zofen" von Luc Bondy; für ihre Rolle im Film "Der Architekt" von Ina Weisse wurde sie als beste Nebendarstellerin mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.

Text: Marianne Mösle Illustration: Rinah Lang

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