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Mit Haut und Haar

Mona Hatoum setzt Küchen unter Strom, durchleuchtet mit Kameras ihr Innerstes – und sorgt so für Schocks in der Kunstszene. Vor allem zeigt sie: Nichts ist, wie es scheint.

Vorsicht! Wer die Welt der Mona Hatoum betritt, kann sich auf nichts mehr verlassen. Gefahren lauern selbst im eigenen Heim. Küchen stehen unter Starkstrom, Kinderbetten haben Lattenroste aus Schneidedraht, Kinderschaukeln tragen messerscharfe Kanten, und Küchensiebe drohen mit metallenen Stacheln. Wirkten die Objekte auf den ersten Blick anziehend in ihrem glänzenden Design, erkennt man auf den zweiten Blick: Es handelt sich um Waffen. "Ich spiele mit Erwartungen, dann zerstöre ich sie", kommentiert Mona Hatoum.

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Anfang der achtziger Jahre schockierte die heute 54-Jährige die Kunstszene zum ersten Mal. Sie steckte sich in einen Leichensack, legte sich auf einen Tisch, überdeckt mit Blut und Gedärmen. Dazu spielte sie stundenlang Medienberichte über den Krieg zwischen Israel und Libanon ab. In palästinensischen Flüchtlingslagern waren bei Massakern Hunderte gestorben – Hatoums Performance war ihre Art der Antwort. Bedrohung, Gewalt und Exil sind neben "Weiblichkeit und Häuslichkeit" die Themen der Künstlerin. Sie sind unabdingbar mit ihrer eigenen Geschichte verbunden.

1952 wird Mona Hatoum im Libanon geboren. Ihre Eltern, palästinensische Flüchtlinge, waren vier Jahre zuvor aus Israel geflohen. In der neuen Heimat sind sie nicht willkommen. Sie fühlen sich fremd, genauso wie ihre Tochter viele Jahre später im Exil. Die 23-Jährige macht gerade Urlaub in London, als 1975 im Libanon der Bürgerkrieg ausbricht. Der Beiruter Flughafen wird geschlossen, sie kann nicht zurück. Abgeschnitten von ihrer Familie bleibt sie in London, schlägt sich mit Jobs durch und erkämpft sich einen Platz an der Slade School of Art.

Die Themen von Mona Hatoum: Weiblichkeit, Fremdheit, Gewalt

Künstlerin wollte sie schon immer werden. Bereits als Schülerin hatte sie sich ihr erstes Kunstbuch gekauft: René Magritte. Mona Hatoum fühlt sich als Außenseiterin. "Damals waren meine Haare wild, die Stimme laut, die Hände fuchtelnd." Die Engländer seien ihr vorgekommen, als wären sie in ihren Köpfen gefangen wie "körperlose Intellekte". Aber sie habe sich inzwischen angepasst, sagt sie.

Seit langem ist Hatoum mit dem kanadischen Musiker Jerry Collins verheiratet und hat die lockigen Haare zu einer Frisur gezähmt. Trotzdem: Das Gefühl der Heimatlosigkeit bleibt. Mona Hatoum reist um die Welt, unterrichtet in Paris und Maastricht, stellt in Basel, Jerusalem und New York aus und pendelt seit einem DAAD -Stipendium 2003 zwischen den Wohnsitzen London und Berlin. Ihr andauerndes Fremdsein thematisiert sie immer wieder in ihren Arbeiten.

Aus Frauenhaaren flicht sie das Muster des Palästinensertuches, das Arafat so gern trug. Sie versammelt Glasmurmeln am Boden zu einer Landschaft, auf der man sich den Hals brechen kann. Als ihr persönlichstes Werk gilt die Videoinstallation "Measures of Distance". Vor dem Bild ihrer nackten Mutter liest Mona Hatoum 1988 die Briefe vor, die ihre Mutter ihr aus dem Libanon geschrieben hat.

Sechs Jahre später verstört die Künstlerin mit einer weiteren radikalen Installation: Mit Hilfe einer endoskopischen Kamera durchleuchtet sie ihr Innerstes: den Mund, den Hals, den Magen, den Darm. Der Blick des Betrachters reist mit, quält sich durch ihre Eingeweide. Der eigene Körper – zugleich ein fremder Kontinent und vielleicht die einzige Heimat der Exilantin.

Radikal und verstörend sind die Arbeiten von Mona Hatoum

Ihre doppeldeutigen Objekte und provokativen Installationen bringen Mona Hatoum 1995 schließlich eine Nominierung für den Turner Prize ein – den renommiertesten aller Kunstpreise. Es bekommt ihn ein anderer: der Brite Damien Hirst, der vor allem für seinen in Formaldehyd eingelegten Haifisch bekannt ist. Aber allein die Nominierung katapultiert Mona Hatoum ganz nach oben: Das Museum of Contemporary Art, das MoMA, die Tate Gallery – alle reißen sich jetzt um sie. Auf Auktionen erzielen ihre Werke jedes Jahr höhere Preise. Auch der britische Galerist Charles Saatchi, der Entdecker der "Young British Artists", ergänzt seine radikale Sammlung um einige ihrer Stücke.

In Deutschland braucht man etwas länger, um sie zu entdecken. Vor fünf Jahren war Mona Hatoum schließlich Gast auf der Documenta 11 in Kassel und verstörte dort mit der Kücheninstallation "Homebound". Sie hatte Küchenmöbel aus den fünfziger Jahren, Eisenbetten und scheinbar harmlose Haushaltsgeräte verdrahtet und unter Strom gesetzt.

Wohin geht die Reise der Mona Hatoum? Sie möchte sich immer wieder neu erfinden, erklärt sie. Immer wieder einen anderen Weg einschlagen. Bloß nicht rasten, nicht stillstehen. Denn eine neue Richtung kann einen neuen Blickwinkel bewirken, unerwartet und plötzlich. Mona Hatoum scheint für ihre Reise gewappnet. Das Schutzschild der Exilantin ist ihr Humor, gerade auch der, der sich selbst aufs Korn nimmt: "Ich habe gelegentlich mit jungen britischen Künstlern ausgestellt. Damals hat mich jemand gefragt: Was ist denn YBA (Young British Art)? Und ich habe geantwortet: Das ist eine Art BSE (Rinderwahnsinn) . . . doch keine Angst, sie befällt nur Künstler."

Text: Beatrice Schaechterle, Nele Justus<br/><br/>Fotos: Getty Images

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