Anzeige

Eine Nacht mit ihm

Wie ist das eigentlich mit einem fremden Mann vom Begleitservice? Das Treffen mit einem Kulturbegleiter ist jedenfalls ein Pas de deux der besonderen Art.

Ein Blick nur, er faltet die Zeitung zusammen und steht auf. Über dreißig Meter Luftlinie hinweg hat er gesehen, wie ich im gläsernen Fahrstuhl in die Hotelhalle hinuntergleite, und gewusst: Das ist sie. Das ist meine Klientin. Er streckt mir lächelnd die Hand entgegen. Wir hatten kein Zeichen verabredet. "Wie haben Sie mich erkannt?" - "Sie sind die einzige Dame hier, in einer Lobby voller Krawattenträger." Er ist Schauspieler, 1,92 Meter groß, wie ich aus den Unterlagen über ihn weiß, 49 Jahre alt, ein gut aussehender Mann im dunklen Anzug und schwarzen Hemd, klares Gesicht, kurze, blonde Haare; und er kommt mir bekannt vor. Vermutlich habe ich ihn in einem Arztkittel oder am Steuer eines teuren Autos in einer der Vorabendserien gesehen. Aber heute Abend ist er nur für mich da.

Ein Kulturbegleiter? Nur Spaß, kein Sex!

Für 50 Euro pro Stunde habe ich Jürgen S. gebucht. Er wird mit mir in Berlin um die Häuser ziehen, beim Italiener essen gehen, dann noch in eine Bar, einen Club, etwas improvisieren. Für elegante Fälle hat er einen gelben Schlips in die Innentasche des Jacketts gesteckt. Am Ende des Abends werden wir zwischen zwei Autositzen Geldscheine und eine Quittung hin- und herreichen. Ich werde in mein Hotelzimmer hinauffahren, noch einmal beglückt auf meine neuen Schuhe schauen und mich fragen, was das denn nun war. Mein erstes Treffen mit einem Kulturbegleiter.

image

Ihn zu finden war nicht schwer. Das Internet ist voll von Abbildungen schöner Herren, die sich im feinen Zwirn oder großzügig aufgeknöpft als Begleiter "zu jedem Anlass", "mit Stil und Charisma" oder "ausgesprochenem Esprit" anbieten. Wie auch immer, es geht um Sex. Jürgen S.' Agentur, der Berliner Kultur-Begleitservice, gibt sich hingegen absolut erotikfrei. "Rent a friend" wirbt die Website www.kulturbegleitservice.de für etwas, was man weder mieten noch bezahlen kann. Was also leistet der Kulturbegleiter? Jürgen S. wurde mir als "Gentleman par excellence" vorgestellt, "lebenserfahren und belastbar". Das hat mir gefallen, auch wenn ich es nicht ganz verstand. Vermutlich bedeutete es, dass Jürgen S. auch schwierigen Damen gewachsen war. Als wir zu seinem Wagen gehen, kann ich mir die Frage nicht verkneifen: Wie kommt so ein netter Mann zu so einem komischen Job?

Das würde Carola Ludwig niemals fragen. Die 53-Jährige hat vor fünf Jahren den Kultur-Begleitservice gegründet. Die Idee war ihr in London gekommen, als sie im Hotel vergeblich nach einem "personal guide" fragte, mit dem sie abends ein bisschen herumziehen konnte. "Just fun - no sex", so wie sie es jetzt in Berlin macht. Sie begann damit, Freunde einzuspannen, dann inserierte sie und bekam plötzlich hunderte von Bewerbungen.

Inzwischen führt sie 174 Kulturbegleiter, davon 90 Damen, in ihrer Kartei. Herren dürfen gern etwas älter sein; Damen zwischen 20 und 39. Darüber hinaus würde es schwierig, denn "Mann ist Mann", und je älter er sei, desto jünger wünsche er sich die Begleiterin. Gewandt sollen sie sein und - ja, sicher - belastbar, denn gerade bei der Buchung von Damen käme es öfter zu Missverständnissen. Herren würden von Geschäftsmännern als Bodyguards für ihre Gattinnen gebucht oder von Frauen als Alibi-Liebhaber, um einen penetranten Chef in Schach zu halten. In Ludwigs Kartei stehen Künstler, Professoren, ein Staatssekretär, eine ehemalige Miss Germany, ein Polizist, Journalisten, auch Arbeitslose, ja. Namen werden erst genannt, wenn sie mit ihren Klienten in Verhandlungen eingetreten ist.

Meine Wünsche hatte ich ihr in einer E-Mail geschickt: Zwei Abende in Berlin; zwei Herren zwischen 45 und 60 gesucht, eine kleine Stadtführung, nicht zu teuer essen gehen, Interessen eher weitläufig, keinesfalls wollte ich mich den ganzen Abend über Sport, Autos, Pferderennen oder Computer unterhalten.

Und Carola Ludwig hat mir vier Profile mit Fotos zur Auswahl zurückgeschickt. Der erste ist Eckhard, 56, Schauspieler; schmale Lippen, grübelnde Stirn und die von der Sonne geblendeten Augen in die Ferne gerichtet. Seine Vita zählt Engagements und Rollen, Regisseure, Kulturpreise und Zuschauerzahlen auf. Das erscheint mir mehr als abendfüllend. Vielleicht möchte ich ja auch etwas sagen. Harald, 46, Drei-Tage-Bart. Mit seiner Sonnenbrille, übergeworfenen Jacke und schwarzen Lederhose hat er etwas von einem Zivilfahnder. "Sehr gute Figur - breite Schultern - Psychologie- Studium", heißt es in seinem Profil. Ich entscheide mich am ersten Abend für Jürgen S., den Gentleman- Schauspieler; am zweiten für Klaus K., der so alt ist wie ich - 58 - und nur unwesentlich größer; ein Mann mit Glatze, Augenbrauen wie ein Uhu und Lachfalten in den Wangen. Er hat etwas mit Veranstaltungsregie zu tun.

Kulturbegleiter sind eine besondere Form von Fremdenführer

Jürgen S. hat seinen Wagen vor dem Hotel geparkt. Das Dach des schwarzen Cabrios faltet sich hinter uns zusammen. Von oben sprüht es ein wenig bügelfeucht, aber die Sitze sind geheizt, und man sieht natürlich sehr viel mehr: die CDU-Bundeszentrale, die mexikanische Botschaft, die alte Kongresshalle, das Glockenspiel im Turm, das eine Autofirma gestiftet hat. Mein interessierter Blick täuscht über meine Sprachlosigkeit hinweg. Mit einem Mann auszugehen, den ich mir aus dem Anhang einer E-Mail ausgesucht habe, beschäftigt mich stärker als meinen Begleiter. Für Jürgen S. ist das Routine. Er sagt, er wisse durch seinen Beruf, wie es sei, allein in einer fremden Stadt herumzulaufen. Öde! Komischer Job? Fremdenführer werden auch bezahlt. "Waren Sie schon in der Kuppel vom Reichstag? Nein? Dann sollten wir da hinauffahren, ehe es dunkel wird. Jetzt gibt es sicher keine Warteschlangen mehr. Kleiner Tipp, wenn Sie wiederkommen: Bestellen Sie einen Tisch im Dachgartenrestaurant; vielleicht nur für einen Cappuccino; dann können Sie die Massen im Fahrstuhl des Restaurants überholen."

Jürgen S., in Mainz geboren, im Schwäbischen aufgewachsen, lebt seit über 25 Jahren in Berlin. Kein Ort hat Spuren in seiner Sprache hinterlassen. Er ist ein eleganter Profi, der einen eleganten Profi spielt: aufmerksam und eloquent, perfekt in seiner dunklen Rüstung. Nach dem Reichstag schlendern wir um den Pariser Platz, hinein in die Akademie der Künste, die mit ihren Treppenfluren so verwirrend wie ein Bild von Escher wirkt, und ein Haus weiter ins "Hotel Adlon" mit seiner wie aus Schmalz gegossenen Marmorpracht, wo wir so tun, als seien wir Bankettgäste, die konsterniert die Tischordnung vor dem Ballsaal studieren. Wo hat man uns denn hingesetzt? So was, wir sind nicht geladen!

Gibt es Regeln für diesen Pas de deux? Ein wohltemperiertes Umeinander-Kreisen? Fragen stellen, ohne auf ausführliche Antworten gefasst sein zu müssen? Die Klientin zahlt alles, die Stunden und die Spesen, aber ganz leer möchte sie auch nicht ausgehen. Reichstag interessant, aber vielleicht doch etwas mehr? Sich mit einem jüngeren Mann schmücken? Es weiß ja keiner, dass sie zahlt. Sich vorsichtig annähern. Zusammen lachen. Schon wird es wärmer. Beim Italiener in der Ackerstraße wartet er, bis ich gewählt habe - Pasta mit Schweinefilet und Spargel -, und bestellt das gleiche. Er schlägt den Hauswein vor, trinkt nur ein halbes Glas. Hat er sich schon einmal abschleppen lassen? Nie, sagt er. Auch ein Angebot, auf einer Kreuzfahrt als Tanzpartner älterer Damen mitzureisen ("zwischen 50 und 60, nicht unsere Generation" - goldig!), hat er abgelehnt. Schlechtes Honorar, schlechter Status. Als ich den Finger nach der Rechnung hebe, steigt er diskret eine Treppe tiefer.

"Gehen wir?" Er möchte noch Olivenöl kaufen. Der Patron des Restaurants betreibt ein paar Häuser weiter einen kleinen Delikatessen-Laden. Mit dem Schlüsselbund klimpernd geht er voraus, knipst Licht an, sucht Flaschen und Verschlüsse, zapft Öl. Jürgen S. schenkt mir einen halben Liter vom feinsten.

Es ist Montagabend. Die Stadt scheint sich nach dem Wochenende auszuschlafen. Die Fenster des anvisierten Clubs sind dunkel. Im "Newton" am Gendarmenmarkt sitzen nur noch ein paar versprengte Gestalten. Wir folgen einem wassergrünen Licht in eine stille Bar. Rundum sind Aquarien eingelassen, in denen geschmackvolle hellgraue Fische schwimmen, die genau den Farbton der wulstigen Wandpolsterung treffen. Er trinkt etwas mit Minze; ich etwas mit Malt. Dann fährt er mich ins Hotel zurück. Wir sind noch immer per Sie. Er dankt mir für die Begleitung, ich bedanke mich für das Öl. Jetzt werde ich beim Anmachen des Salats sicher an Jürgen S. denken.

image

Klaus K. treffe ich am nächsten Abend. Er lässt mich zwei Minuten in der Lobby warten und stellt damit gleich etwas Normalität her. "Ich bin der kleine Mann, mit dem Sie verabredet sind." Er berlinert dezent. Sein weißer Haarkranz ist kurz geschoren, aber sein Lachen lässt ihn jünger aussehen. "Sie möchten sich also mit mir den ganzen Abend über Sport, Autos und Computer unterhalten?" Neben seinem hellen Jackett fühle ich mich in meinem dunklen leicht overdressed. Er dirigiert mich zur Bushaltestelle der Linie 100, die, wie inzwischen sogar die japanischen Reisegruppen wissen, eine preiswerte Sightseeing- Tour ist, vorbei am Schloss Bellevue, durchs Brandenburger Tor bis zum Prenzlauer Berg. Während er die Fahrscheine löst, halte ich auf dem Oberdeck ganz vorn einen Platz frei. Es ist ein Gefühl wie beim Schulausflug. Gleich werden wir anfangen, über die anderen herzuziehen.

Die Geschäftsmäßigkeit eines Treffens, das sich für ein Rendezvous ausgibt, ist jetzt nicht mehr ganz so irritierend. Vielleicht liegt es an der schnörkellosen Art von Klaus K., vielleicht daran, dass ich das Spiel nun schon einmal gespielt habe, dass ich mich zurücklehnen kann. K. hat eine Agentur für Event-Management, zwei Kinder, trotzdem noch Zeit und offenbar einen großen Vorrat an guter Laune. Es ist nicht wie im richtigen Leben. Ich muss ihm nicht gefallen; ich muss es nicht mal versuchen. Er wird trotzdem dafür sorgen, dass es ein richtig angenehmer Abend wird. Und ich werde ihn genießen.

Was, wo, wann - der Kulturbegleiter übernimmt die Führung

Am Alexanderplatz steigen wir aus und fahren auf den Fernsehturm. Teppich und genopptes Glas, Westen und Krawatten der Fahrstuhlführer sind museales DDR-Design. K. ist Ostberliner. Unter seiner Führung schreiten wir die Aussichtsgalerie ab, dann gehen wir bei den Hacke'schen Höfen indisch essen. Auf der Straße stehen als Barbie kostümierte Frauen mit eng geschnürten Miedern und warten auf Freier.

Am Tisch erzählt Klaus K. von seinem Job als "Gentleman Host". Auch er hatte das Angebot, auf einer Kreuzfahrt die Passagiere zu betreuen: Bordspiele, Single-Frühstück, Kavalier alleinreisender Damen. Er wollte Malaysia sehen und nahm an. Wie war es? Zweischneidig. Die Lachfalten verschwinden. Nicht noch einmal.... Inzwischen hat sich das Restaurant geleert. Der Inder stellt die Stühle hoch. Und jetzt? Der Mann ist vorbereitet: Im Grünen Salon der Volksbühne ist Salsa-Nacht. Ich kann nicht Salsa tanzen. Er auch nicht, aber er tanzt "unheimlich gern".

Vielleicht sind wir ein peinliches Paar zwischen all den Spitzentänzern, den jungen Lateinamerikanern und ihren Mädchen. Aber auch ein ganz lustiges. Zusammen bringen wir einen Dreierschritt zustande, drehen und kreiseln, finden wieder in den Rhythmus. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr beim Tanzen führen lassen. Er fühlt sich sicher an, ein kleiner fester Mann, der weiß, wo er hinwill. Alles andere überlässt er mir; das Abbrechen, den nächsten Tanz, die letzte Runde - eine völlig tadellose, schwebende Balance.

Auf der Rückbank des Taxis sind wir wieder beim Geschäft. Leises Reden, weil ich nicht will, dass der Fahrer, der sicher ganz andere Transaktionen erlebt hat, hört, dass mein Herr die Quittung vergessen hat. Vor dem Hoteleingang umarmen wir uns, danken gegenseitig für den Abend. Erst im Gespräch mit der Agentur erfahre ich, wie die 50 Euro Stundenhonorar geteilt werden: 21 verdient der Kulturbegleiter. Meist gebe die Klientin aber ein saftiges Trinkgeld, das der Herr behalten dürfe. Drei Tage später kommt die Quittung per Post: "Hallo, Salsakönigin!"

Text: Elsemarie Maletzke Fotos: Marcus Höhn

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel