Anzeige

Ulrike Folkerts: Lena am Lehniner Platz

Ulrike Folkerts ist seit rund 20 Jahren "Tatort"-Kommissarin Lena Odenthal. Mit BRIGITTE WOMAN reist sie in ihre Vergangenheit.

Die menschliche Erinnerung ist eine Baustelle, an der dauerhaft gearbeitet wird, und so ist es ganz passend, dass sich auch das Ziel dieser Reise im Umbau befindet. Die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin ist für die Sommerpause komplett eingerüstet worden, das sieht jetzt auch Ulrike Folkerts, als sie aus dem Taxi steigt, in Shorts und T-Shirt. "Ich hatte keine Lust, mich in Schale zu schmeißen", erklärt sie. Es ist ihr nicht zu verdenken, an diesem heißesten Augusttag des Jahres, 34 Grad, die Stadt döst matt in der Sonne, und selbst die Taxifahrer sind zu träge zum Fluchen.

image

Schon auf dem kurzen Weg zum Bühneneingang merkt man, wie sehr Ulrike Folkerts dieses Gebäude mag, auch wenn es sich momentan im Ausnahmezustand befindet. Seine Architektur, sein Renommee, aber vor allem die Träume, die hier geboren wurden. Und die vor langer Zeit einmal ihr Leben verändert haben. "Na dann kommen Se ma rin!", sagt Herr Machrowiak, der Hausinspektor, und wir folgen ihm ins dunkle Innere des Theaters. Überall wird gehämmert und geschraubt ("Laut, wa? Jut, dass Sie nich vom Fernsehen sind!"), die Schaubühne wird runderneuert, im großen Theatersaal regieren nicht die Kostüme, sondern farbbekleckste Malerhosen. "Hier sieht's ja noch menschlich aus", sagt Herr Machrowiak gut gelaunt. "Vier Etagen tiefer ist es viel schlimmer!"

Dass wir überhaupt ins Haus dürfen in der Renovierungspause, findet Ulrike Folkerts schon mal toll. Und noch grandioser, dass Herr Machrowiak für unser Gespräch nicht nur bereitwillig den Maskenraum aufschließt, sondern später auch dem Fotografen assistiert. Das mag sie so an Berlin und den Berlinern, die unkomplizierte Hilfsbereitschaft, zu der der Hauptstädter durchaus in der Lage ist – auch wenn Zugereiste manchmal Schwierigkeiten haben, die Freundlichkeit unter der Schnodderschicht zu entdecken. Als Ulrike Folkerts schließlich vor dem Spiegel sitzt, vor dem auch schon die Idole ihrer Jugend geschminkt wurden, sagt sie vergnügt: "Jetzt kann ich zumindest sagen, dass ich schon mal hier in der Maske gesessen habe!"

Die Schaubühne infizierte Ulrike Folkerts mit dem Theater-Virus

1975. Die 14-jährige Ulrike fährt mit einer Schulfreundin und deren Eltern aus ihrer Heimatstadt Kassel nach Berlin zu einer Aufführung der Schaubühne, damals noch die "Schaubühne am Halleschen Ufer" in Kreuzberg. Die Inszenierung hat sie vergessen, nicht aber, was dieser Abend mit ihr gemacht hat: Sprachlos vor Faszination sei sie gewesen. "Ich fand's total abgefahren, dass man so etwas sehen kann, dass Menschen auf der Bühne so etwas erzeugen können." Noch tagelang hat der Auftritt sie beschäftigt; da war etwas in ihrem Inneren, das angestoßen worden war und zu arbeiten begann.

Vorher hatte sie mit Theater nichts am Hut, nicht mal ein Gedicht hatte sie bis dahin öffentlich aufgesagt. Die junge Ulrike interessierte sich fürs Schwimmen, für Mathe und Bio und "war in Deutsch 'ne Gräte", was bedeutet, dass der Unterricht dermaßen uninspirierend war, dass ihr Goethes Faust lange ein Rätsel blieb.

image

Bis zu jenem Abend in Berlin. "Danach hatte ich einen anderen Fokus, Theater zu gucken", sagt die 47-Jährige. Vor allem, als mit der Oberstufe auch eine neue Lehrerin kam, die mit den Schülern Szenen aus Dramen erarbeitete und sie ins Theater schleppte. Als sie fünf Jahre später wiederum an der Schaubühne die "Orestie des Aischylos" unter der Regie von Peter Stein sah, hatte sie sich schon längst entschlossen, Schauspielerin zu sein. "Zu werden", korrigiert sie sich und lacht. Wie das eigentlich geht, konnte ihr allerdings niemand so recht sagen. Was macht ein praktisch veranlagtes Mädchen in Kassel? Bestellt sich die "Blätter zur Berufskunde", so wie sie es auch getan hätte, wenn sie Wirtschaftsjuristin hätte werden wollen oder Architektin.

Ihre Mutter unterstützte sie bei ihrem Wunsch, vielleicht weil sie als junges Mädchen an der Erfüllung ihrer Träume gehindert wurde. Ihr Vater, der damals schon von der Familie getrennt lebte, murrte hingegen: "Bretter, die die Welt nicht braucht", ließ seine Tochter aber machen, solange er für den Blödsinn nicht auch noch bezahlen musste. Heute ist er stolz auf das mittlere seiner drei Kinder, das als "Tatort"-Kommissarin eine feste Größe geworden ist. "Das darf er auch. Richtig boykottiert hat er mich ja nie." Diese Schlacht ist schon lange gekämpft.

Die Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule: ein Albtraum

Die Ziele waren also klar: an die Schaubühne. Und: Schon für die Schauspielausbildung sollte es Berlin sein, "schließlich bin ich nicht nur von diesem Theater infiziert worden, sondern auch von der Stadt". Hier kam sie aus dem Staunen gar nicht raus, über die Menschen, die herumliefen, über die Möglichkeit, alles ausprobieren zu können, allein schon über die U-Bahn, die es im verschnarchten Kassel nicht gab. Dabei hat es ihr Berlin, diese zickige Primadonna, zunächst nicht leicht gemacht. Die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule – ein Albtraum. Die Prüfungskommission saß weit weg von der Bühne, ferne Gesichter mit gelangweilten Stimmen: "Wer sind Sie? Wie bitte? Was hamse denn vorbereitet? Fangense mal an." Nach zwei Sätzen die erste Unterbrechung, dann hieß es: "Das nächste bitte, das nächste bitte, danke schön" – eine desillusionierte Schauspielschulanwärterin mehr.

image

Ans Aufgeben dachte sie trotzdem nicht, obwohl es auch in Hamburg und München nicht klappte. In Hannover bekam sie eine zweite Chance, "kommen Sie wieder", sagte man ihr, "üben Sie ein bisschen". Also schrieb sie sich in Erlangen für Theaterwissenschaften ein, dort konnte sie auf der Bühne stehen und sich vorbereiten. Hannover klappte im zweiten Anlauf. Sonst, sagt sie, hätte sie Internationale Agrarwissenschaften studiert: "Ins Ausland gehen, Brunnen bauen, Menschen helfen – das wäre eine gute Alternative gewesen." In gewisser Weise hat sich der Kreis geschlossen, jetzt bringt sie durch ihre Berühmtheit gemeinnützige Projekte im Kosovo, in Burundi und Deutschland voran.

Ulrike Folkerts ist ein sehr anpassungsfähiger Mensch, was nicht heißt, dass sie nicht weiß, was sie will. Sie lässt sich gern auf andere ein, auf ihre Belange und Nöte. Keine Diva, die die ganze Welt als persönliche Entourage betrachtet, sondern eine Teamspielerin. Wenn sie mit ihrem Schwimmverein Wettkämpfe schwimmt, dann am liebsten in der Staffel. Auch beim Theaterspielen hat sie sich nie als Solistin gesehen, die einsam vor den Vorhang tritt. "Allein kann man nicht so viel bewegen, aber als Gruppe kann man was stemmen", sagt sie. "Leute erreichen, etwas erarbeiten – ich habe nie das Gefühl gehabt, das könnte ich allein." Auch ein Grund, warum sie gern einmal an der Schaubühne gespielt hätte: Das Ensemble war am Spielplan beteiligt und entschied teilweise mit über die Rollenverteilung. Am liebsten würde sie mit einer Truppe über Land ziehen, ein Wandertheater wie bei Molière.

Dass alles so anders gekommen ist, liegt an einer Frau: Lena Odenthal. 1989 trat die "Tatort"-Kommissarin in Folkerts' Leben, die damals am Staatstheater Oldenburg spielte. Über Rollen in Fernsehen und Kino hatte sie bis dahin gar nicht nachgedacht. Dennoch ergriff sie die Chance, als nahezu unbekannte Darstellerin in die ARD-Reihe aufgenommen zu werden. Erst zwei Frauen hatten sich vor ihr an der Ermittlerrolle versucht, Nicole Heesters und Karin Anselm. Beide waren am bundesdeutschen Chauvinismus gescheitert, der Frauen nur die Opferrolle zugestand. Darüber machte sich Ulrike Folkerts allerdings keine Gedanken, als sie mit 28 Jahren zur Mordkommission Ludwigshafen stieß: "Ich sagte nur: Okay! Wo sind die Mörder?"

Ulrike Folkerts ist seit bald 20 Jahren Lena Odenthal

Die Rolle ist ihr Schicksal geworden. Nächstes Jahr feiert sie mit Lena schon ihr 20. Dienstjubiläum. Eine lange Zeit, in der die fiktive Biografie der Polizistin Folkerts' eigene Persönlichkeit in der öffentlichen Wahrnehmung oft überdeckt hat. Lena ist tough, eine einsame Wölfin mit kurzen Haaren und Lederjacke, "burschikos" eben. Ulrike Folkerts hat dieses Image lange bewusst bedient, sie wollte keine Frau darstellen, die sich nicht wehrt, wenn man ihr Unrecht tut. So schuf sie ein neues Frauenbild im Fernsehen – landete aber gleichzeitig in der tiefsten Besetzungsschublade. Seit der "Bild"-Schlagzeile "Ja, ich liebe Frauen" glaubte jeder zu wissen, dass die Folkerts unmöglich Geliebte, Mütter oder andere weibliche Rollen spielen kann.

image

Kann sie natürlich doch, das zeigt sie bei den seltenen Gelegenheiten, wo man ihr die Besetzung zutraut: als traumatisierte Lehrerin im Fernsehfilm "Ich bin eine Insel" beispielsweise und ab Januar im Hamburger Ernst Deutsch Theater, wo sie an der Seite von Suzanne von Borsody tatsächlich eine Mutterrolle spielt. Würde sie den "Tatort" noch mal annehmen, nach allem, was sie heute weiß? "Nee", kommt es wie aus der Dienstpistole geschossen, "wenn ich gewusst hätte, dass ich das 20 Jahre mache... ich glaube, ich hätte versucht, einen anderen Weg zu nehmen, den übers Theater." Vielleicht hätte es dann auch irgendwann mit einem Engagement an der Schaubühne geklappt. Andererseits: Warum nicht immer noch träumen?

Ihre Kommissarin möchte sie nicht mehr missen. "Ich wär ja blöd!", sagt sie. Sie hat mit Lena ihren Frieden gemacht, die ja auch ein festes Auskommen bedeutet und sehr gute Quoten. Im Ringkampf der beiden Persönlichkeiten scheint sich Ulrike Folkerts allerdings durchzusetzen. Die Haare sind länger geworden, und die Kommissarin zeigt langsam ihre weichen Seiten. "Lena Odenthal muss mittlerweile einfach alles ertragen, was bei Frau Folkerts an Veränderungen passiert!", sagt Frau Folkerts selbst. Ja, doch, die Dinge laufen besser, je älter sie wird. Spannendere Rollen, mehr Theater. Und Berlin, wo sie seit der ersten "Tatort"-Folge lebt. Die Stadt verleiht ihr Stärke, hier wird sie nicht angegafft, sondern kann vergessen, dass sie eine öffentliche Person ist.

Selbst nach einem langen, heißen Tag strahlt sie so viel gute Laune aus, dass man sofort glaubt, dass sie ihre innere Ruhe gefunden hat. Die hat sie gerade mit Freundin Katharina Schnitzler in einem Buch umgesetzt. In "Glück gefunden" geht es um das kleine Glück des Alltags. "Nee, keine Lebenshilfe, es soll Spaß machen und vielleicht ein Denkanstoß sein." Auch darüber, dass das Leben manchmal andere Bahnen nimmt und dennoch zum Ziel führt. Ulrike Folkerts hat jedenfalls vor, gelassen zu altern: "Vielleicht sagen sie ja irgendwann bei den Sendern: Mensch, die sind alle geliftet, nur die Folkerts nicht. Na, dann nehmen wir doch die!"

Text: Andrea Benda<br/><br/>Fotos: Manuel Krug

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel