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"Nichts ist so sexy wie Lebensfreude"

Zum Start ihres Films "In meinem Himmel" trafen wir Susan Sarandon in London zu einem sehr lebendigen Gespräch über Religion, Sex im Alter und die eigene Sterblichkeit.

Der Raum ist leer, denn Susan Sarandon ist noch im Badezimmer. Durch die geschlossene Tür ruft sie: " Zu viel Tee!". Die Spülung rauscht, dann kommt sie rein, trocknet sich die Hände an der Hose ab und entschuldigt sich, dass sie beim Händedruck noch ein wenig nass sind. Im neuen Film von Peter Jackson ("Der Herr der Ringe") spielt sie mit riesiger Perücke und künstlichen Wimpern eine trinkfreudige Großmutter, die nach einem Mord an ihrer Enkelin die Familie zusammenhält.

"In meinem Himmel" ist ein bemerkenswerter, zuweilen kitschiger, aber sehr effektvoller Film nach dem Roman von Alice Sebold, darüber, wie eine 14-Jährige aus dem Jenseits die Trauer ihrer Familie und die Suche nach ihrem Mörder beobachtet (ab 18. Februar im Kino). Als sie sich setzt, fragt sie: "Wie geht es Ihnen?"

BRIGITTE WOMAN: Ich bin immer noch geschockt von Ihrem neuen Film.

Susan Sarandon: Haben Sie Kinder?

BRIGITTE WOMAN: Ja.

Susan Sarandon: Kein Wunder, dann ist der Film verstörend. Es hat Sie also nicht getröstet, dass Ihr totes Kind ums Haus laufen und in die Fenster schauen würde wie das Mädchen im Film? Das wäre kein Ausgleich für den Verlust?

BRIGITTE WOMAN: Äh, nein.

Susan Sarandon: Was einem niemand sagt, ist: Sobald man Kinder hat, fängt man an, über den Tod nachzudenken. Ich habe meine Kinder spät bekommen, und vorher hatte ich nie über den Tod oder meine eigene Sterblichkeit nachgedacht. Aber von dem Moment an, wo man Kinder hat, ist alles zerbrechlich.

BRIGITTE WOMAN: Ich hatte gehofft, dass dieses Gefühl nachlässt, wenn die Kinder größer werden.

Susan Sarandon: Nein. Überhaupt nicht. Wie alt sind Ihre Kinder?

BRIGITTE WOMAN: Zwei und fünf.

Susan Sarandon: Ach, in dem Alter möchte man noch in sie reinbeißen. Meine Tochter Eva ist 23, meine Söhne Jack Henry und Miles sind 19 und 16. Ich kann mich daran erinnern, als sie so klein wie Ihre waren. Da lag ich bei Dreharbeiten nachts wach und dachte: Wenn jetzt hier ein Feuer ausbricht, wie komme ich dann am schnellsten raus? Wie rette ich mich, damit meine Kinder ihre Mutter nicht verlieren? Heute sind meine Söhne alt genug, um Auto zu fahren. Ich mag nicht mal daran denken. Und um meine Tochter, wie gesagt schon über 20, bange ich jedes Mal, wenn sie in ein Flugzeug steigt.

BRIGITTE WOMAN: Was tun Sie gegen diese Angst?

Susan Sarandon: Man kann sich nicht einmal den Gedanken gestatten, ein Kind zu verlieren. Oder über seinen eigenen Tod nachzudenken. Also: viele Briefe schreiben, viel miteinander reden, so viel Liebe geben wie möglich, denn irgendwann ist alles vorbei. Man kann nur dem Universum vertrauen, denn im Grunde kann man seine Kinder nicht beschützen.

Freak, Rebellin und Kämpferin

BRIGITTE WOMAN: Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Susan Sarandon: Wenn man jemanden sieht, der gestorben ist, und wenn man sieht, wie kalt und leer er ist, dann wird einem klar, dass da etwas anderes war, etwas, das ausgemacht hat, wer dieser Mensch war. Viel spricht dafür, dass es eine Energie gibt, die auch nach dem Tod nicht verloren geht. Ich hatte das Gefühl, meine Kinder schon zu kennen, bevor sie geboren wurden. Schon bevor sie auf die Welt kamen, war mir klar, dass wir eine Verbindung haben. Und dass diese Verbindung eines Tages enden könnte, ist undenkbar.

Das ist das schlimmste: keine Zweifel zu haben

BRIGITTE WOMAN: Sie sind katholisch aufgewachsen. Bedeutet Ihnen die christliche Vorstellung vom Himmel etwas?

Susan Sarandon: Nein, ich finde, die organisierte Religion ist sehr einfallslos, was das Leben nach dem Tod angeht. Die natürliche Ordnung der Dinge ist so wunderbar und so außerordentlich, dass unsere Erbsenhirne einfach nicht ausreichen, um zu begreifen, was das wirklich alles bedeutet und wie das alles zusammenhängt. Wir sehen immer nur uns selbst, und das Bild von Gott, das wir haben, ist genauso kleinlich wie wir selbst. Ich meine, was sollte Gott dagegen haben, dass jemand schwul oder lesbisch ist? Was interessiert es Gott, ob man seinen Namen zum Fluchen verwendet oder nicht? Das ist so egomanisch von uns. Er - oder sie - ist viel größer, viel großzügiger als das. Viel größer, als die Religionen uns weismachen wollen.

BRIGITTE WOMAN: Können Sie beschreiben, wie Sie vom Glauben abgefallen sind?

Susan Sarandon: Wir nahmen in der Schule die Sakramente durch und lernten: Nur wenn man in der katholischen Kirche heiratet, ist man wirklich verheiratet. Und ich fragte, ganz unschuldig, weil ich es wirklich nicht verstand: Oh, dann waren Josef und Maria also gar Tages auf dem Flur stehen. Ich war damals sehr, sehr religiös, ich liebte Latein, ich liebte Weihrauch, und ich erinnere mich, dass ich große Angst hatte, nicht genug Kraft zu haben, um mich, wenn die Kommunisten nach Amerika kämen, mit dem Kopf nach unten von ihnen an ein Kreuz schlagen zu lassen, wie sie's angeblich mit allen Christen vorhatten. Aber dann ging ich in den späten Sechzigern auf ein katholisches College, genau zu dem Zeitpunkt, als alle Priester mit den Nonnen durchbrannten.

BRIGITTE WOMAN: Aber die Kirche gibt einem doch auch ein Verantwortungsbewusstsein für das große Ganze mit. War es nicht möglicherweise das, was Sie zu einer so politischen Künstlerin gemacht hat?

Susan Sarandon: Meine acht Geschwister, die genauso aufgewachsen sind wie ich, sind kein bisschen politisch. Meine Mutter ist eine eingefleischte Republikanerin. Keine Ahnung, warum ich so aus der Art geschlagen bin. Aber ich finde es so schlimm, dass jede organisierte Religion dazu neigt, andere Menschen auszuschließen. Und das verstehe ich einfach nicht. Neulich saß ich in New York in einem Taxi, und der Fahrer hatte sein Taxi regelrecht in einen kleinen Tempel verwandelt, er sah sich selbst als Priester und Prophet. Er sprach die ganze Zeit darüber, wie man mehr für die Armen tun muss, für die Obdachlosen. Und ich fragte ihn, was er denn vom Buddhismus halte, einfach nur so, und er brach in eine derartige Hasstirade aus, unfassbar. Er war ein Hindu, und ich dachte, da gäbe es eine Nähe zum Buddhismus. Aber für ihn waren das Heiden, er flippte regelrecht aus. Jede Religion ist korrumpiert worden von Menschen, die keine Zweifel kennen. Das ist das Schlimmste: keine Zweifel zu haben.

BRIGITTE WOMAN: Sie sind extrem angefeindet worden, als Sie vor einigen Jahren Ihre Zweifel am Irakkrieg geäußert haben.

Susan Sarandon: Mir ist sehr viel Hass entgegengeschlagen. Einmal hat sich mir auf der Straße ein Polizist in den Weg gestellt, mir seinen Zeigefinger praktisch ins Gesicht gesteckt und mich angeschrien, er werde all meine Filme verbrennen. Jemand, den ich gar nicht kannte, jemand, der einfach dieses Klischee von mir als der linken Kriegsfeindin im Kopf hatte. Er war so laut und so angsteinflößend, und ich versuchte nicht mal, ihn zu überzeugen, ich wollte einfach nur, dass er mich versteht und toleriert. Heute sage ich in so einer Situation: Hier ist meine Telefonnummer, rufen Sie mich an und lassen Sie uns einen Kaffee trinken, damit wir in Ruhe miteinander reden können. Wir müssen an den Punkt kommen, wo wir einander zuhören können.

BRIGITTE WOMAN: Hat jemand Ihr Angebot angenommen?

Susan Sarandon: Nie. Aber es ist auch ruhiger geworden. Durch die politischen Veränderungen bin ich keine Außenseiterin mehr. Aber die Zeit zwischen dem 11. September und dem Beginn des Irakkrieges war sehr belastend: Jeder, der irgendwelche Kritik äußerte, galt sofort als antiamerikanisch.

BRIGITTE WOMAN: Haben Sie triumphiert, als Barack Obama zum Präsidenten gewählt wurde?

Susan Sarandon: Ich war eher erleichtert. Weil ich mich seitdem sicherer fühle. Ich bin froh, dass der Welt klar geworden ist: Vielleicht sind die Amerikaner doch nicht völlig verrückt geworden.

BRIGITTE WOMAN: Sind Sie eigentlich zufrieden mit den Rollen, die Ihnen angeboten werden?

Susan Sarandon: Ich würde gern mehr größere Rollen spielen, etwas, woran ich mich eine Weile festhalten kann, etwas, was bleibt, aber ich beschwere mich nicht. Ich habe andere Dinge in meinem Leben, also sitze ich nicht herum und warte. Zum Beispiel habe ich einen Pingpongclub in New York eröffnet, das ist wirklich ein Trip. Ich würde mich auch gern noch mehr engagieren. Ich würde gern mehr reisen und die Projekte weiterverfolgen, die ich im Ausland begonnen habe. Ich bin definitiv in einer Übergangsphase.

BRIGITTE WOMAN: Eine große Rolle haben Sie vorigen Sommer ja am Broadway gespielt, überraschenderweise in einem surrealistischen Stück.

Susan Sarandon: Ja, die alte Königin in Eugène Ionescos "Der König stirbt". Jeden Abend habe ich auf der Bühne sozusagen eine Meditation über den Tod gemacht. Mir ist bei dieser Rolle klar geworden, dass ich nicht noch weitere 20 Jahre habe, um mich langsam umzustellen: Ich habe nur das Jetzt, ich muss präsent sein, aufwachen und die Dinge tun, die ich wirklich tun möchte.

Ich möchte nicht mehr sterben.

BRIGITTE WOMAN: Damit sind wir wieder beim Thema Sterblichkeit, das, worum es in allen Ihren Rollen der letzten Jahre zu gehen scheint.

Susan Sarandon: Absolut! Unglaublich! Es ist wirklich seltsam, ich verstehe nicht, woran das liegt, und ich möchte es auch nicht mehr. Aber ich habe gerade schon wieder ein Skript bekommen, in dem jemandes Kind stirbt. Und ich habe bereits gesagt: Bitte schickt mir nichts mehr, wo ich sterben muss. Ich möchte nicht mehr sterben, ich hab's satt, und ich möchte auch nicht, dass die Kinder immer sterben!

BRIGITTE WOMAN: Haben Sie von "Wolke 9" gehört? Über eine Frau Mitte 60, die mit einem Mann um die 70 eine sehr leidenschaftliche Affäre hat? Ein sehr sinnlicher, sexueller Film...

Susan Sarandon: Ach, wirklich? Vielleicht sollte ich mir die Rechte sichern.

BRIGITTE WOMAN: Wäre das eine Rolle für Sie?

Susan Sarandon: Definitiv.

Eine Menge Leute ficken, obwohl sie über 60 sind.

BRIGITTE WOMAN: Der Film war ein Erfolg in Europa.

Susan Sarandon: Tja, es gibt eine Menge Leute, die noch ficken, obwohl sie über 60 sind. Gott sei Dank! Und deren Leben noch nicht vorüber ist, wenn sie 70 werden. Und ich hoffe, das wird bei mir auch so sein. Na ja, damit meine ich nicht den Sex, so genau wollte ich das eigentlich gar nicht beantworten. Aber ich denke gerade an Paul Newman, den ich kennen lernte, als er etwa in dem Alter war. Er war so voller Lebensfreude, voller Kraft, voller Sinnlichkeit und vor allem: voller Begeisterungsfähigkeit. Die einfachsten Dinge haben ihn begeistert, es war sehr ansteckend: "Hey, komm mal her, schau dir diese Tomaten an, riech an diesen Tomaten, was sind das für Tomaten! Hast du schon mal solche Tomaten gesehen?" Er war eine Inspiration für mich. So neugierig, so lebendig. Und es gibt so viele Menschen in dem Alter, die so sind. Ich verstehe nicht, warum wir uns davon nicht ermutigen lassen. Haben sich denn auch junge Leute den Film angeschaut?

BRIGITTE WOMAN: Ja, durchaus. Weil es ein Film über Lebensfreude und Sinnlichkeit ist, auch über Enttäuschung und Melancholie. Aber hauptsächlich geht es um den Wunsch, sein Leben zu leben, egal, wie alt man ist.

Susan Sarandon: Klar, das ist eine gute Botschaft: dass das Leben nicht vorbei ist, wenn man 40 wird. Als ich jung war, war Barbarella das gängige Frauenbild in den USA. Und ich stieß im Fernsehen durch Zufall auf "Sonntags nie" mit Melina Mercouri, und ich dachte: Wow, was ist das denn? Was macht die Frauen in europäischen Filmen so anziehend? Sie sind nicht passiv, sie sind keine Opfer, sie leben und haben eine gute Zeit, und wenn's nicht gut ausgeht, zerstört sie das nicht. Das hat mir die Augen geöffnet: Nichts ist so sexy wie Lebensfreude.

BRIGITTE WOMAN: Stimmt es, dass Sie sich vor ein paar Jahren fast für den "Playboy" ausgezogen hätten?

Susan Sarandon: Ja, aber ich habe keinen Fotografen gefunden, der mich interessiert hätte. Lustigerweise wurde meine Tochter Eva auch gerade gefragt, und sie hat abgelehnt. Schade! Ich habe ihr gesagt: Überleg doch mal, wäre es nicht toll, 350 000 Dollar zu bekommen und sie zu spenden? Die Absolventin einer Elite-Uni, die fünf Sprachen spricht und das ganze Geld spendet, als Centerfold im "Playboy" - damit könnte man den ganzen "Playboy" neu erfinden! Hol dir die 350 000 Dollar, davon kannst du drei Schulen in Kenia bauen! Aber sie hat gesagt: Mama, ich möchte es nicht machen, du hast es doch auch nicht gemacht. Tja, da hat sie natürlich auch wieder recht.

Zur Person: Susan Sarandon

Susan Sarandon wurde 1946 in Edison, New Jersey, geboren. Sie ist das älteste von neun Kin- dern. Bevor sie Schauspielerin wurde, war sie Model. Ihren Durchbruch hatte sie 1975 in der "Rocky Horror Picture Show" als Janet. 1996 bekam sie einen Oscar für ihre Rolle der Schwester Helen in "Dead Man Walking", einem leidenschaftlichen Plädoyer gegen die Todesstrafe. In den vergangenen Jahren war sie in vielen Nebenrollen zu sehen (u.a. "Darf ich bitten?", "Im Tal von Elah" und "Elizabethtown). Seit 1988 lebt sie mit dem zwölf Jahre jüngeren Schauspieler und Regisseur Tim Robbins zusammen. Über ihre lange, glückliche Beziehung möchte sie nicht sprechen: aus Aberglauben, wie sie sagt. Sie hat eine Tochter, die Schauspielerin Eva Amurri, aus einer kurzen Beziehung mit dem italienischen Drehbuchautor Franco Amurri, und zwei Söhne mit Tim Robbins, Jack Henry und Miles.

Interview: Till Raether Foto: Cinetext

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