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Kevin Costner: Der letzte Cowboy

Hollywoodlegende? Abgewrackter Ex-Weltstar? Oder immer noch ein Mann, der bewegt? An Kevin Costner scheiden sich die Geister. BRIGITTE WOMAN-Autor Stephan Bartels traf den Sänger und Schauspieler - und lernte eine sympathische alte Seele mit festen Werten kennen.

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Hinterher denke ich so bei mir: Der tanzt immer noch mit dem Wolf. Nein, eigentlich habe ich dieses Gefühl schon, als ich den Raum betrete. Eine Villa in Hamburg-Ottensen, hoch über der Elbe, Kevin Costner ist mit seiner Band Modern West unterwegs, er gibt hier Interviews, in einem freundlichen Eckzimmer im ersten Stock. Als ich hineingeschickt werde, steht Costner am Fenster, den Rücken zum Raum. Er dreht sich nicht um. Ich lege meinen Notizblock und mein Aufnahmegerät auf den Tisch, bleibe einen Moment lang unschlüssig stehen. Costner bewegt sich immer noch nicht. Langsam gehe ich zum Fenster und stelle mich neben ihn. Er schaut mich immer noch nicht an und hinaus auf die Elbe, die 30 Meter unter uns in der Mittagssonne funkelt, die Hand am Kinn. Denkerpose, klassisch.

Ich stecke meine Hände in die Hosentaschen und erwidere sein Schweigen, Flussblick inklusive. Das Aufnahmegerät auf dem Tisch hinter uns läuft schon, ich habe später nachgeschaut: eine Minute und 48 Sekunden stehen wir nichts sagend nebeneinander. Männer, im Tiefsinn versunken, bedeutungsvoll still, wie Cowboys am Lagerfeuer. Und ich ahne: Das mag er. So sieht er sich selbst gern. Dann sagt Kevin Costner grußlos: "Dieses Haus hier hat im 19. Jahrhundert einem Bankier gehört. Dieser Bankier hatte einen Sohn, der in den Krieg zog und getötet wurde." Er schweigt wieder für einen Moment. Und sagt dann: "Ich habe gerade darüber nachgedacht, dass der Junge, bevor er dieses Haus verlassen hat, genau dasselbe gesehen hat wie wir jetzt. Die Bäume. Das Wasser. Die Sonne."

BRIGITTE-woman.de: Und was macht das mit Ihnen?

Kevin Costner: Ich denke: Es hätte niemals passieren dürfen. Die Welt ist voll von Dingen, die niemals passieren sollten, und ich zwinge mich dazu, mir das permanent klarzumachen.

BRIGITTE-woman.de: Warum?

Kevin Costner: Weil es mich in Kontakt hält. Mit meinen Freunden zum Beispiel, die ich einfach nicht für selbstverständlich nehmen darf. Oder nehmen wir meine Frau und meine Kinder. Manchmal sehe ich sie nur an und denke, wie sehr ich sie liebe, und ich danke ihnen still für das Leben, das ich gerade habe. Und dann bin ich hier, sehe aus dem Fenster und lasse mich von einem toten Jungen daran erinnern, was die Welt doch für ein schöner und verdammt seltsamer Ort ist.

BRIGITTE-woman.de: Seltsam?

Kevin Costner: Vielleicht eher: gefährlich. Unvorhersehbar. Ich weiß nicht sicher, ob ich nach diesem Interview wirklich heil nach Hause zurückkomme. Ob meiner Familie nicht etwas auf der Autobahn geschieht. Wenn man akzeptiert, dass das Leben so ist, wie es ist, ist man auch in der Lage, es klarer zu sehen.

BRIGITTE-woman.de: Aber nimmt Ihnen das die Angst? Gerade die um Ihre Kinder?

Kevin Costner: Nicht wirklich. Haben Sie Nachwuchs?

BRIGITTE-woman.de: Einen Sohn. Er ist 18, so gut wie erwachsen. Aber ich kann es kaum aushalten, wenn ich nicht mindestens zweimal am Tag von ihm höre, dass alles okay ist.

Kevin Costner: Das verstehe ich gut. Und ich glaube, dass Sie sich um ihn auch anders sorgen als um eine Tochter. Intensiver. Unsere Söhne sind uns näher, weil sie das Potenzial haben, eine jüngere Ausgabe von uns selbst zu sein. Wir Männer sorgen uns extrem darum, ob unsere Jungs einen Weg finden, sie selbst zu sein und nicht im Schatten ihrer Väter zu stehen.

BRIGITTE-woman.de: Na ja, kommt auch auf den Vater an, denke ich. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich kein Oscar-prämierter Weltstar.

Kevin Costner: Das spielt für Ihren Sohn keine Rolle - Sie werfen trotzdem einen Schatten, und Sie möchten den Jungen darin unbewusst so lange wie möglich vor zu viel Sonne schützen. Aber unsere Söhne müssen das Haus irgendwann verlassen, das ist ja geradezu biblisch. Und dann können sie uns als Väter auch wieder schätzen lernen - denn das tun sie nicht, wenn sie verstockte, genervte Teenager sind.

BRIGITTE-woman.de: Hm. Die Erfahrung haben Sie also auch gemacht.

Kevin Costner: Klar. Meine sieben Kinder sind zwischen 28 und zwei Jahren alt. Und wie oft habe ich gedacht: Verdammt, ich mache mir den ganzen Tag lang Gedanken um sie - und ihnen geht es am Arsch vorbei. Ich weiß ja: Man muss auch seine Rolle annehmen. Ich bin der Erwachsene, nicht das Kind. Aber meine Gefühle werden doch immer noch verletzt.

BRIGITTE-woman.de: Sie sind 57. Machen Sie mir Hoffnung: Wird man klüger, je älter man wird?

Kevin Costner: Ich hoffe doch. Ich bin schließlich keine Fliege.

BRIGITTE-woman.de: Wie bitte? Fliege?

Kevin Costner: Sie kennen doch dieses Geräusch, wenn Fliegen pausenlos und über Stunden gegen die Fensterscheibe donnern, oder?

BRIGITTE-woman.de: Klar.

Kevin Costner: Fliegen sehen die Welt auf der anderen Seite der Fensterscheibe. Sie wollen dahin, aber sie sehen die Scheibe nicht, und es macht sie wahnsinnig, dass sie nicht schon längst da draußen sind. Der Punkt ist: Man gerät immer wieder in nervige Situationen. Und lange versuchen wir, uns mit den immer gleichen Mitteln daraus zu befreien. Aber irgendwann ändern wir unser Verhalten, weil wir sonst nicht weiterkommen.

BRIGITTE-woman.de: Und das...

Kevin Costner: ...ist die Definition von Klugheit. Und ich meine das gar nicht mal intellektuell, sondern emotional.

BRIGITTE-woman.de: Aber man hört doch so oft, dass wir Männer uns so schwer damit tun, den Zugang zu unserer emotionalen Seite zu finden.

Kevin Costner: Manchmal muss man aber auch wissen, wann es besser ist, sein Herz nicht auf der Zunge zu tragen. Denken Sie auch, dass Joggen gesund ist?

BRIGITTE-woman.de: Joggen? Sicher...

Kevin Costner: Aber es ist definitiv nicht gesund, den ganzen Tag zu joggen. Und genauso wenig ist es gesund, den ganzen Tag mit seinen Gefühlen in Kontakt zu sein. Man muss sich ab und zu von seiner inneren Welt erholen können.


Ein paar Tage vor diesem Gespräch hat Kevin Costner ein kleines Konzert auf Sylt gegeben, "Kevin Costner & Modern West" heißt seine Band. Vor dem Auftritt wurde auf einer Leinwand ein achtminütiger Zusammenschnitt aus den fast 30 Jahren seiner Filmkarriere gezeigt. Ich hatte fast vergessen, dass Costner zu Recht der weltweit größte Schauspieler der frühen 90er Jahre war. "Die Unbestechlichen", "Feld der Träume", "Der mit dem Wolf tanzt", "JFK", "Perfect World" - er war großartig in diesen Filmen. Costner galt als Prototyp eines Mannes, wie er sein soll: zupackend, aber mitfühlend und emotional greifbar. "Das", sagt Kevin Costner, "liegt an der Gewichtung: Mir war nie wichtig, wie oft die Waffe in meiner Hand losging. Mir war wichtig, was meine Charaktere gesagt und gefühlt haben, wenn nicht geschossen wurde. Und das war immer ich. Ich würde sagen, dass alle meine Filme persönliche Züge tragen."

BRIGITTE-woman.de: Viele Schauspieler, die als Musiker auf die Bühne gehen, verstecken sich hinter dem Bandnamen. Waren Sie gar nicht versucht, das auch zu tun?

Kevin Costner: Oh, wenn's nach mir gegangen wäre, dann wären wir nur als Modern West an den Start gegangen. Aber die Jungs haben mich gebeten, das Ganze Kevin Costner & Modern West zu nennen. Und die Plattenfirma hat mich auch bekniet... Ehrlich gesagt: Ich hätte das nicht gebraucht. Ich kenne meinen Namen, ich habe ihn oft genug in Großbuchstaben gelesen. Aber für die Jungs in der Band war es wichtig.

BRIGITTE-woman.de: Wann ging es eigentlich los mit der Musik?

Kevin Costner: In der Schule. Wie bei so vielen. Kein Mensch stellt sich mit 12, 13 Jahren hin und sagt: Ich gewinne mal den Oscar. Aber alle sagen: Ich werde Rockstar! Das war bei mir nicht anders. Ich habe als Kind Klavier spielen gelernt, im Chor gesungen, bin als Solist in Disneyland aufgetreten, danach in Musicals - ich war gern auf der Bühne, um zu singen.

BRIGITTE-woman.de: Wieso sind Sie nicht dabei geblieben?

Kevin Costner: Das war für meinen Vater nicht die Art, wie ein Mann sein Geld verdienen sollte, und irgendwie steckte diese Haltung auch in mir. Deshalb habe ich mir mein Studium auf andere Art verdient. Auf Fischerbooten, als Lastwagenfahrer, als Bauarbeiter.

BRIGITTE-woman.de: Aha. Ihr Vater stand Künstlern also eher kritisch gegenüber.

Kevin Costner: Nein, nicht wirklich. Er konnte sich nur nicht vorstellen, dass man damit wirklich Geld verdient. Wir sprachen eben darüber: Er hat sich Sorgen um mich gemacht. Das war auch später noch so. Als ich als Schauspieler Erfolg hatte und dann verkündete, dass ich Regie führen will, haben meine Eltern aufgestöhnt und mich angefleht, es bleiben zu lassen.

BRIGITTE-woman.de: Warum?

Kevin Costner: Weil sie mich beschützen wollten vor möglichen Verletzungen. Damit waren sie nicht allein. Jeder meiner Freunde sagte: Finger weg von der Regie. Viele Leute haben einfach Angst vor Fehlschlägen.

BRIGITTE-woman.de: Sie auch?

Kevin Costner: Tja, ich bin nicht wirklich scharf darauf. Aber ich lasse mich nicht von ihnen stoppen. Jeder Fehlschlag ist eine unterschätzte Erfahrung.

BRIGITTE-woman.de: In den späten 90ern waren Sie geradezu Spezialist für Fehlschläge.

Kevin Costner: Wirklich?

BRIGITTE-woman.de: Na ja: "Postman" und "Waterworld" gelten in der Filmwelt als Mega-Flops.

Kevin Costner: Das stört mich nicht. Ich habe diese Filme gemacht, wie ich sie wollte, für mich sind sie keine Fehler. Das werden sie erst in den Augen anderer Menschen. Es gibt Dinge, die darin schiefgelaufen sind. Und es waren meine Projekte, also trug ich auch die Verantwortung für die Fehler anderer.

BRIGITTE-woman.de: Der große Name als Fluch?

Kevin Costner: Wenn Sie so wollen: ja. Und manchmal immer noch als Segen, deshalb bin ich der Bitte nachgekommen, meinen Namen vor den der Band zu setzen.

BRIGITTE-woman.de: Ist diese Band also nicht die Neuerfindung eines Filmstars, dessen beste Zeit lange zurückliegt?

Kevin Costner: Nein. Ich bin mit den Jungs schon lange befreundet, und als wir vor fünf Jahren anfingen, gemeinsam Musik zu machen, war das purer Spaß. Wir stellten fest, dass immer mehr Menschen uns zuhören wollten. Das führte zur ersten Platte, zu Konzerten, zur zweiten Platte... Aber es gab nie einen Masterplan für diese Band, nie. Keine große Maschine, die uns um die Welt trägt.

BRIGITTE-woman.de: Und jetzt: Europa, Asien...Wollten Sie das überhaupt so?

Kevin Costner: Sie haben mich vorhin gefragt, ob ich klüger geworden bin, stimmt's? Nun: Diese Tour hat mich klüger gemacht. Ich fahre direkt im Anschluss zu Dreharbeiten nach Rumänien, das heißt, ich werde meine Frau und meine Kinder für Monate nicht sehen. Das mache ich nicht noch einmal, so viel steht fest. Und jetzt muss ich lernen, nicht traurig darüber zu sein, dass ich die nächsten zwei Monate nicht zu Hause bin. Aber ich bin ein Mann, das ist mein Job, also mache ich ihn.

BRIGITTE-woman.de: Würde eine Frau es anders machen?

Kevin Costner: Wenn sie Familie hat, wahrscheinlich. Ich glaube schon, dass es für Frauen noch einmal schwerer ist, von ihren Kindern getrennt zu sein. Das ist in der DNA angelegt, davon bin ich überzeugt.

BRIGITTE-woman.de: Wirklich?

Kevin Costner: Klar. Anders als Frauen denken Männer nicht den ganzen Tag an ihre Familie. Das ist wie bei Löwen: Die schauen kurz nach, ob alles okay ist, und legen sich dann erst mal wieder hin. Ich habe diesen tierischen Instinkt für meine Kinder. Und ich bedaure Männer, denen dieser Instinkt fehlt.

Kevin Costner steht auf, wandert im Raum umher und spielt, wie er zu Hause den Löwen gibt, der nach seinen Löwenkindern sucht. Seine erste Ehe (drei Kinder) ist gescheitert, eine flüchtige Affäre (ein Kind) auch - aber Costner ist wertkonservativ, die Familie ist sein Hafen. Und er braucht die Rolle des umsorgenden Ernährers, für sich, für sein Verständnis. Die Tür geht auf, ein Finger zeigt auf eine Uhr an einem Handgelenk, die Dreiviertelstunde ist um. Letzte Frage, bitte. Na gut.

BRIGITTE-woman.de: Ihre Platte heißt "From Where I Stand". Wo stehen Sie?

Kevin Costner: Meine Mutter hat mir beigebracht zu träumen. Und sie hat mir beigebracht, für meine Träume hart zu arbeiten. Auch andere arbeiten hart, aber die meisten brauchen eine Garantie dafür, dass sie letztlich dort ankommen, wo sie hinwollen. Das war bei mir nie so. Ich wusste nie, ob etwas hinhaut. Es ist eine Frage der Haltung, es trotzdem zu probieren.

Kevin Michael Costner

wurde 1955 in der Nähe von Los Angeles geboren. Seinen Durchbruch als Schauspieler feierte Costner 1987 in "Die Unbestechlichen", 1990 stieg er mit "Der mit dem Wolf tanzt", bei dem er Regie führte und die Hauptrolle spielte, in die erste Liga unter den Hollywoodstars auf. Mitte der 90er wendete sich das Blatt gegen ihn: Costners aufwändige Endzeit-Produktionen "Waterworld" und "Postman" floppten in jeder Beziehung, auch deshalb, weil sich Costner als Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller gegen jeden guten Rat verwahrte. Seitdem gilt er als schwieriges Kassengift. 2007 gründete er mit ein paar Freunden die Band Kevin Costner & Modern West, mit der er ordentlichen Country-Pop produziert (aktuelles Album: "From Where I Stand"). Costner ist zum zweiten Mal verheiratet, seine Frau ist die Designerin Christine Baumgartner. Das Paar lebt mit seinen drei Kindern im idyllischen Santa Barbara. Aus zwei vorangegangenen Beziehungen hat Costner vier weitere Kinder.

Fotos: imago/Wigglesworth BRIGITTE woman Heft 05/2012

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