Anzeige

Dustin-Hoffman-Interview: "Nur ein halber Tag Sex"

Mit 75 Jahren hat Dustin Hoffman jetzt zum ersten Mal Regie geführt. Aber für den Weltstar, den BRIGITTE WOMAN-Autor Stephan Bartels in London traf, ist Alter ohnehin eine relative Größe - der Mann hat noch viel vor.

Lassen Sie uns zu Beginn über Größe und Relativität sprechen.Dustin Hoffman misst vom Scheitel bis zur Sohle exakt 1,66 Meter, was, da sind wir uns wohl alle einig, für einen Mann nicht besonders viel ist. Aber wenn er vor einem steht, die Hand ausstreckt, "so pleased to meet you" sagt und seinen Mund zu diesem weltbekannten Dustin-Hoffman-Lächeln verzieht, das sein ganzes Gesicht mitnimmt bis zu den Augen, die ansatzlos lachen können, so seltsam das auch klingen mag, dann hat man das schräge Gefühl, irgendjemand hätte diese 166 Zentimeter von innen aufgepumpt und den ganzen kleinen Mann wachsen lassen. Man hat, selbst wenn man ihn um die halbe Länge eines Schullineals überragt, das Gefühl, zu ihm aufzublicken.

Von nichts kommt eben nichts. Dustin Hoffman, mittlerweile 75 Jahre alt, hat sich diese Art von innerer Größe erarbeitet. Er gehört definitiv in die Top Ten der noch lebenden Filmstars, und auch in diesem Ranking steht er eher vorn als hinten. Seit 45 Jahren ist der gebürtige Kalifornier eines der Aushängeschilder seines Berufsstands, seit ihm mit der "Reifeprüfung" 1967 der internationale Durchbruch als Schauspieler gelang. Und jetzt, in einem Alter, in dem die meisten Menschen längst in Rente sind, debütiert er als Regisseur.

BRIGITTE-woman.de: Mr. Hoffman, Sie sind...

Dustin Hoffman: Warten Sie, eines muss ich vorweg sagen.

BRIGITTE-woman.de: Und zwar?

Dustin Hoffman: Jetzt kommt eine Art Gebrauchsanweisung für dieses Gespräch: Sie müssen mich unterbrechen. Wenn Sie mir eine Frage stellen und mich machen lassen, brauche ich eine halbe Stunde, um sie zu beantworten. Ich rede gern und viel, und ich denke in Ellipsen - das heißt, meine Gedanken kommen irgendwann wieder am Ausgangspunkt an, und ich fange von vorn an. Und dann...

BRIGITTE-woman.de: Okay, stopp, verstanden. Sie sind 75 und haben etwas gemacht, was Sie in all den Jahren im Filmgeschäft noch nie getan haben.

Dustin Hoffman: Genau. Bei uns zu Hause sagt man: He's the new kid on the block - ich bin der neue Junge in der Nachbarschaft. Selbst Clint Eastwood hat früher Regie geführt als ich.

BRIGITTE-woman.de: Haben Sie jetzt damit angefangen, weil Sie keine Lust mehr haben, Kompromisse beim Filmen einzugehen?

Dustin Hoffman: Wie meinen Sie das?

BRIGITTE-woman.de: Na ja, Sie gelten als schwierig. Als "pain in the ass", als einer, der den Regisseuren immer reinredet in die Arbeit.

Dustin Hoffman: Also, zunächst einmal: In keinem Job beim Film muss man so viele Kompromisse machen wie als Regisseur. Man muss so unglaublich viele Entscheidungen treffen, die das torpedieren, was man sich eigentlich vorgestellt hat. Flügel kaputt? Okay, nehmt ein Klavier. Und dann muss man lauter verschiedene Schauspieler-Egos unter einen Hut bringen. Wer als Regisseur kompromisslos ist und nicht auf sein Team eingeht, der bekommt große Probleme. Und jetzt raten Sie mal, welche Art von Regisseur sagte, ich sei anstrengend und ein "pain in the ass"?

BRIGITTE-woman.de: Ein kompromissloser Regisseur, der nicht auf sein Team eingegangen ist?

Dustin Hoffman: Ja. Ich wollte nämlich immer das Beste für meine Rollen und die Filme. Deshalb habe ich mich oft eingebracht. Wenn ich mich bei der Arbeit dafür nicht stark mache, für was dann?

Herausgekommen sind stets starke Filme, Klassiker, die das Genre schmücken. "Asphalt-Cowboy", "Papillon", "Marathon Man", "Die Unbestechlichen", "Lenny" - all das ist großes Kino. Siebenmal war er für den Oscar nominiert, für "Kramer gegen Kramer" und "Rain Man" hat er ihn bekommen. Aber es sagt viel über Dustin Hoffman, dass er sich nie zu schade war, sich selbst neu zu erfinden. Hollywood hat sich verändert in den letzten 20 Jahren. Hoffman ist niemand, der sich darüber beklagt. Er verändert sich einfach mit. Und machte Filme, die mit dem Charakterfach, in dem er zu Hause war und ist, nicht mehr viel zu tun haben. "Es gibt nicht so furchtbar viele Rollen mit Tiefgang für ältere Menschen", sagt er. Und spielte deshalb in Familienfilmen wie "Hook". Oder in Popcorn-Hollywood-Komödien, da gab es zum Beispiel die überdrehte "Meet The Fockers"-Reihe mit Ben Stiller. Weil er sich den Gesetzen des Filmmarktes nicht verschließt, führte das zwangsläufig zu anderen Debüts im hohen Alter: Mit 71 lieh er für "Kung-Fu Panda" zum ersten Mal einem animierten Tier seine sonore, dunkle Stimme. 2011 machte er etwas, was vor ein paar Jahren komplett undenkbar für einen Weltstar seines Zuschnittes gewesen wäre: Er übernahm die Hauptrolle in einer Fernsehserie, "Luck", heißt sie, Hoffman spielt darin einen alternden kriminellen Wettpaten, der frisch aus dem Gefängnis entlassen wird.

"Quartett", Dustin Hoffmans persönliches Regiedebüt, ist von all den Projekten der vergangenen Jahre sicherlich das bedeutsamste. Auch weil der Film, den er im Herbst 2011 in England gedreht hat, von Themen handelt, die ihn und uns alle früher oder später beschäftigen werden: Wie können Menschen in Würde altern? Was tun, wenn ein Leben nur noch aus Erinnerungen an alte, bessere Tage besteht? Und wie, verdammt noch mal, kommt man mit dem Verlust von Kraft und geistiger Frische klar?

Im Mittelpunkt stehen die Bewohner von Beecham House, einem Altenheim für ehemalige Künstler, das zwischen sanft geschwungenen Hügeln neben sattgrünen englischen Wiesen steht. "Es gab so etwas in Italien", sagt Hoffman, "Guiseppe Verdi persönlich hatte 1899 ein Haus in Mailand aufgemacht, in dem Sänger alt werden konnten, mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat. Es gab wenig in seinem Leben, auf das Verdi stolzer war."

Einige der Heimbewohner in Hoffmans Film haben ihre Schwierigkeiten, mit dem Alter klarzukommen, damit, nicht mehr allein leben zu können - vor allem aber vermissen sie den Ruhm und die Anerkennung, die ein Leben auf der Bühne und in den Studios so mit sich brachte. All das trifft besonders auf die ehemalige Operndiva Jean Horton zu, die neu in Beecham House ankommt. Und dabei mitten in die Vorbereitungen eines Gala-Abends platzt: Das Haus ist von Schließung bedroht. Und das wollen die ebenso betagten wie begabten Musiker mit einem grandiosen Gala-Konzert verhindern. Umso schöner, dass mit Jean Horton, gespielt von Maggie Smith, nun ein echter Weltstar im Haus weilt. Doch Miss Horton, ganz Diva, weigert sich, mit ihren alten Kollegen aufzutreten. Zum einen, weil sie weiß, dass sie nie wieder so klingen wird wie früher. Und zum anderen, weil einer der drei ihr Ex-Mann Reginald ist, der noch immer eine Mordswut auf sie hat...

BRIGITTE-woman.de: Es geht im Film um die Liebe im Alter. Verändert die sich im Laufe der Zeit?

Dustin Hoffman: Ja und nein. Ich zum Beispiel bin ruhiger geworden, ich denke jetzt nur noch den halben Tag lang an Sex und nicht mehr den ganzen. Und ich werde gelassener im Umgang mit meiner Frau, mit der ich ja auch schon seit 32 Jahren verheiratet bin. Aber wenn es um Verletzungen geht, dann bleiben die Muster die gleichen. Genau wie die irrationalen Dinge, die man dann tut. Ach, seltsam. Ich begreife das auch nicht immer. Wissen Sie was? Mein großer Ehrgeiz ist es, so lange zu leben, bis ich mich selbst verstanden habe.

*DIE CASA VERDI

Das Altersheim für verarmte Musiker in Mailand, das 1899 von Guiseppe Verdi gestiftet wurde, fand nicht nur Dustin Hoffmans Interesse, sondern auch das der BRIGITTE WOMAN-Redaktion: Im Februar 2005 erschien bei uns eine ausführliche Reportage über diese sehr besondere Einrichtung. Sie können die Geschichte nachlesen unter www.brigitte-woman.de/verdi.

BRIGITTE-woman.de: Na, dann geben Sie doch mal eine Prognose ab, wann das sein wird.

Dustin Hoffman: Keine Ahnung. Ich habe immer noch das Gefühl, ganz am Anfang zu stehen. Es gibt so viel, was ich noch nicht weiß. So viel, was es noch zu entdecken gibt.

BRIGITTE-woman.de: Vielen Menschen in Ihrem Alter geht dafür die Kraft aus.

Dustin Hoffman: Mir nicht. Ich sehe manchmal diese Zahl 75 vor mir und frage mich, was das mit mir zu tun hat. Ich mag es nicht, dass ich so schnell alt werde. Aber ich mag es, gut alt zu werden. Wobei: Was heißt hier alt? Alt gefühlt habe ich mich eigentlich nur, als ich 40 war.

BRIGITTE-woman.de: Warum das?

Dustin Hoffman: Damals war ich sehr unglücklich verheiratet - meine damalige Frau Anne Byrne und ich passten einfach nicht zueinander. Wir haben zwei Töchter bekommen, wofür ich dankbar bin, aber eigentlich haben wir uns durch diese Ehe gequält. Außerdem habe ich wie ein Berserker gearbeitet, auch sehr erfolgreich - und trotzdem habe ich vieles infrage gestellt. Das war eine Zeit, die mich viel emotionale Kraft gekostet hat. Da habe ich mich oft alt und verbraucht gefühlt.

BRIGITTE-woman.de: Als ich "Quartett" gesehen habe, dachte ich spontan: Der Mann setzt sich mit seinen eigenen Ängsten auseinander, mit seiner Furcht vor einem Alter mit Gebrechen und aufziehender Demenz.

Dustin Hoffman: Interessant. Ich sehe in dem Film nämlich lauter Menschen, die das Beste aus ihrer schwierigen Situation machen wollen. Die sich mit Humor und Mut ihren Limitierungen stellen. Und die sich sogar verlieben und sich benehmen wie durchgeknallte Teenager. Ist es nicht komisch, wie man auf etwas schauen kann und dabei etwas völlig anderes sieht als der Typ im Sessel neben einem?

Es macht Spaß, mit Dustin Hoffman zu sprechen. Er ist zugewandt, offen, aufrichtig interessiert. ("Ich habe sechs Kinder. Und Sie? Ah, ein Sohn, toll, studiert er schon? Leben Ihre Eltern noch?"). Sein Haar ist immer noch voll, aber nicht mehr so dunkel wie früher, es strahlt grau wie der Londoner Spätherbsthimmel vor dem "SoHo Hotel", wo das Interview stattfindet. London ist seine Stadt, unter anderem - Hoffman wohnt abwechselnd in seinen Häusern in Kensington, in New York oder Los Angeles. Für ihn ist dieser Luxus nicht selbstverständlich. "Bevor ich mit 30 Jahren in der ‚Reifeprüfung' gespielt habe, war ich schon zehn Jahre lang ein erfolg- und perspektivloser Schauspieler", sagt Hoffman, "mein Einkommen befand sich jahrelang konstant unter der amerikanischen Definition der Armutsgrenze."

Dustin Hoffman kennt das Leben, und er ist demütig genug, seine Wandelbarkeit zu akzeptieren. Und er hat, wie die alten Künstler in "Quartett", das Beste aus seinen Möglichkeiten gemacht. Er habe gelernt, dass auch er nach 45 Jahren im Filmgeschäft naiv gewesen sei, sagt er, dass er Regieführen ganz anders eingeschätzt habe. Wahrscheinlich war diese Arbeit seine Reifeprüfung, eine weitere für ihn. Eine, die ihn weiterwachsen lassen wird. Als ob er nicht schon groß genug wäre.

Dustin Lee Hoffman

wurde am 8. August 1937 in Los Angeles geboren. Eigentlich wollte er Pianist werden, erkannte aber schnell, dass man als Schauspieler besser an Mädchen rankommt. 1957 zog er nach New York, wo er beruflich kaum ein Bein auf den Boden bekam. Zeitweise bildete er mit seinen ebenso erfolglosen Freunden und Kollegen Gene Hackman und Robert Duvall eine WG in Manhattan. Mittlerweile besitzt er zwei Oscars und sechs Golden Globes. Er ist in zweiter Ehe mit der Anwältin Lisa Gottsegen verheiratet. Außer den vier Kindern aus dieser Ehe hat Hoffman zwei weitere aus seiner ersten Ehe. Am 24. Januar kommt Hoffmans bezauberndes Regiedebüt "Quartett" in unsere Kinos.

BRIGITTE WOMAN 02/13

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel