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Diana Krall: Die schüchterne Göttin

Diana Krall, Jazzsängerin mit Millionenpublikum, hat das Image einer Eisprinzessin. Und entpuppt sich bei näherem Hinsehen als sensible Künstlerin mit großem Mut.

Diana Krall: Audienz bei einer kühlen Lady

Noch ist die Tür zur Suite geschlossen. Wir stehen auf dem Flur davor und warten. Wir, das sind die Journalisten, und dahinter: Diana Krall, eine der erfolgreichsten Jazzmusikerinnen aller Zeiten. Sie soll uns kurze Audienzen geben. Doch es dauert. Der Kollege kommt nicht raus. Man hört lange gar nichts. Und dann machen die da drinnen Musik an. Gitarre, Stimme, ein ungedämpftes Klavier, keine Streicher. Es klingt klar und entschieden, es ist... verstörend schön. Wir stehen vor der Tür, "Let It Rain" füllt den Flur des Berliner Hotels "Adlon", und alle davor werden sehr still. Dann fliegt die Tür auf, der Kollege vom grüßt, und Diana Krall ruft: "Hi, kommen Sie rein, setzen Sie sich, wir hören noch ein Lied für den Mann, der hat nämlich gerade ein Kind bekommen." Sie zeigt auf die Couch und stiefelt in schwarzen Biker-Boots und Edel-Punk-Hose zur Musikanlage und dreht auf. Ihren Kopf hat sie zu einem Buckel zwischen die Schultern gezogen, als wollte sie sich ducken. Es heißt, sie gebe nicht gern Interviews, "zu schüchtern". Dann fläzt sie sich ins Sofa, eine dunkle Sonnenbrille über den Augen. Es ist ein altes Wiegenlied, und der Mann vom Fach schließt die Augen und lächelt, selig. Als er nach einer Umarmung mit dem Star gegangen ist, zieht die Krall die Brille ab und wischt über ihre Augen. "Entschuldigung", sagt sie mit rau kieksender Stimme, "aber ich bin gerade so emotional." Tränen rinnen über ihre Wangen. Und ich denke: Das kann nicht sein, das ist nicht Diana Krall!

Die Diana Krall, die man kennt, das ist eine kühle Lady. Sie hat in den 90er Jahren den Jazz aus Hinterkellern in die Pop-Charts gebracht, hat mit Evergreens wie "Besame Mucho" oder "'S Wonderful" eine riesige Fangemeinde erobert. Sie spielt makellos Klavier. Sie hat eine geschmeidige Stimme. Auf Fotos wirkt sie kühl, sexy und elegant. Ihre Musik dudelt in Fahrstühlen, sie ist so was wie der James Last des Jazz und fast Everybody's Darling: perfekt, professionell - zum Gähnen.

Und jetzt das: eine richtig sympathische Frau! Die müde im Sofa hängt und schnieft und losplappert: Es sei einfach gerade zu viel alles, 16 Stunden Interviews, gestern Paris, heute Berlin, am Morgen ein Fotoshooting in der Kälte, am Vorabend Hecht mit Spargel in diesem deutschen Gasthof, in den sie immer ginge in Berlin, denn ihre Vorfahren seien Helmuts und Ottos aus Westpreußen gewesen und in den 20er Jahren ausgewandert, nach Kanada. Dann habe sie vorhin einem Journalisten von ihrer verstorbenen Mutter erzählt, und bei dem Song eben musste sie an ihre beiden Jungs denken, die fehlten ihr so. "Wollen Sie sie mal sehen?", sagt Krall, zieht ein iPad aus der Tasche und wischt übers Kinderalbum: dunkelhaarige Zwillinge mit Knubbelnasen, der eine im Lotussitz auf einem Bergweg. Die seien bei ihrer Schwester in Vancouver, jetzt die zehn Tage, dann käme sie eine Woche nach Hause und dann wieder die sechs Wochen auf Tour in den USA. Man merkt, dass ihr diese Zeit gerade wie ein großes schwarzes Loch erscheint. "Na ja", stottert da die überrollte Journalistin, "immerhin haben Sie davor noch eine Woche." Dann entsteht eine lange Pause, und Diana Krall blickt einen geradeheraus an, wie sie das noch öfter tun wird, wenn man dummes Zeug redet oder komische Fachfragen stellen will.

Eine richtig sympathische Frau! Die müde im Sofa hängt und schnieft und losplappert

Diana Krall: Die schüchterne Göttin
© imago/Fotoarena

Solche wie die: Warum schreiben Sie eigentlich keine eigenen Songs? Warum interpretieren Sie immer nur brav die Klassiker? Oder: Am Anfang Ihrer Karriere fanden viele männliche Kritiker eine "so schöne, weiße, wohlbehütete Frau im Jazz erstaunlich - wie fanden Sie das?". Pause. Blick. Und dann sagt sie "Bullshit!" und dabei wölbt sich ihr Unterkiefer hervor wie der eines Cowboys, und sie könnte jetzt auch ihre Boots übereinanderschlagen. Ob wir nicht lieber mal die Fotos anschauen wollten, die sie für das neue Album "Glad Rag Doll" gemacht hat? Diesmal trage sie keine normale Mode, sondern ihre Freundin Colleen Atwood habe sich am Look der 20er Jahre orientiert. Die Musik stammt auch aus den Zwanzigern. Die Kostümbildnerin Atwood war neunmal für den Oscar nominiert, für "Chicago" und "Alice im Wunderland" hat sie ihn bekommen. Krall wischt über die Fotos auf dem iPad, man sieht: eine laszive Frau mit kühlem Blick und Strapsen. Und denkt: Macht ihr dieses Verwandlungsspiel Spaß, oder stellt sie sich so sexy dar, weil sich das am besten verkauft?

Irgendwie geht das nicht zusammen. Da: die Eisprinzessin, hier: die lockere, warmherzige Frau auf dem Sofa. Echte Menschen sind oft anders als ihr veröffentlichtes Image. Aber bei Diana Krall ist es fast ärgerlich. Sie hat so viel Talent, sie beherrscht ihr Handwerk, sie kennt die besten Musiker. Warum zeigt sie sich nicht in ihrer Musik? Warum versteckt sie sich hinter professioneller Seichtheit?

Elvis Costello schrieb in seinem Zimmer die Texte, die von ihr hätten stammen können - und sie in dem anderen die Musik.

Diana Krall wuchs auf in Nanaimo, einer Stadt auf Vancouver Island. Ihr Vater war Buchhalter und sammelte Platten, ihre Mutter war Lehrerin und sang im Lutheraner-Chor. Die brave Tochter spielte Klavier mit vier und Jazz als Jugendliche und ging auf das berühmte Berklee-College für Musik in Boston. Dort fand sie Mentoren und Musikerfreunde und zog einige Jahre durch die Bars der Welt: am Klavier, als Bar-Pianistin. Mitte der Neunziger schoss sie in die Charts und wurde berühmt, mit Jazz - nicht mit Soul oder Pop. Ihr Spiel bezeichnete die "New York Times" als "Jazz Latte": Eine dicke Schaumschicht schütze ihn vor Ablehnung. Heißt: Ich gebe, was gefällt - schön, gekonnt, harmlos.

Und dann verliebte sich Diana Krall in einen komischen Kauz, in Elvis Costello. Das ist ein Musiker, der sich seit den Siebzigern wie ein Wiesel zwischen den Stilen bewegt: Punk, Country, Schnulze, Rock. Er hat nicht so viel Können wie Diana Krall. Aber Chuzpe und sichtlich Spaß. Sein couragierter Dilettantismus steht in krassem Gegensatz zu ihrem talentierten Perfektionismus. Und trotzdem taten sich die beiden zusammen, heirateten, wurden Eltern von Zwillingen und machten vor acht Jahren gemeinsam ein Album. Wie war das, als Paar zusammenzuarbeiten? "Elvis hat mir in meiner schwersten Zeit geholfen", sagt Diana Krall. Das war, als kurz nacheinander ihre Mutter mit 60 an Blutkrebs starb, ihr musikalischer Mentor und ihre mütterliche Musikerfreundin. "Da hat er mir geholfen, meine Verluste und meine Gefühle durch Musik auszudrücken." Elvis Costello schrieb in seinem Zimmer die Texte, die von ihr hätten stammen können - und sie in dem anderen die Musik. So entstand "The Girl In The Other Room". Ein besonderes Album. Weil es eigen war. Und dadurch tief. Und gut. Nicht so im Verkauf. Dann kam wieder gefällige Musik, klassischer Bossa Nova und ein "Christmas"-Album.

Erst durch den Mut zur Eigenwilligkeit wird aus Können etwas Großes

Weshalb verbirgt sich die Frau, die auch anders könnte, in diesem anderen Raum? Sie hat mal geantwortet: Warum neue Songs schreiben, wenn es so wunderbare alte gibt? Doch ihrer Kollegin Barbra Streisand hat sie erklärt, sie denke sich in Songs hinein wie eine Schauspielerin in Rollen. So musiziere sie dann auf der Bühne. Und es wirkt, als verkleide sie sich so auch in diesem Image der kühlen Schönen. Viele Schauspieler sagen, sie seien schüchterne Menschen - und man wundert sich, weshalb sie dann ausgerechnet ins Rampenlicht treten. Obwohl sie schüchtern sind. Oder gerade weil sie es sind? Wie Diana Krall jetzt dasitzt, redet und schnieft, muss man es sich wohl andersherum denken: Ein Mensch, der so offen ist, muss die Öffentlichkeit scheuen und sich hinter Rollen und Songs verstecken. Sonst wäre er zu verletzbar. Um von dieser Sensibilität etwas zu zeigen und etwas Originelles zu schaffen, braucht es dann Not, Reife und den passenden Partner.

"Für das neue Album habe ich meinen Mann als Ukulele-Spieler angeheuert", sagt Diana Krall lachend, "er ist kein echter Ukulele-Spieler, er ist nicht perfekt." Aber es habe großen Spaß gemacht. Der Mann firmiert hier übrigens unter dem Alias Howard Coward. Coward, der Feigling. Der gemeinsam mit der Könnerin Krall, einem großartigen Gitarristen und einem kreativen Produzenten musiziert. Vermutlich ist es das, was Kunst von Perfektion unterscheidet: der Mut. Denn erst durch den Mut zur Eigenwilligkeit wird aus Können etwas Großes.

Diana Krall dreht noch mal die Musik auf - "Let It Rain" -, öffnet die Tür zum Gang, und der Regen fällt tief und schwer auf den marmorgefliesten Flur, voller Herzenswärme - und zum Weinen schön.

(Diana Krall, "Glad Rag Doll", Universal)

Text: Nataly Bleuel BRIGITTE woman 12/12

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