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Bruno Ganz: "Frauen sind nett zu mir"

Bruno Ganz auf der Berlinale
© ACDOUGALL / AFP / Getty Images
Bruno Ganz läuft gern. Aber nicht über rote Teppiche. Ein Gespräch im Gehen - über die Lust an der Natur und die Last des Erfolgs.

Bruno Ganz, der Märchenprinz?

Plötzlich steht er in der Hotellobby. Allein, schmal, dunkel gekleidet. Ein unauffälliger Mann mit einem berühmten Gesicht. Um ihn herum laufen Menschen mit gelben Kärtchen um den Hals. Im Café sitzt Roberto Blanco mit seiner Entourage. An diesem Dienstag im November ist auch Bruno Ganz zu Gast im "Bayerischen Hof". Er hat den ganzen Vormittag Interviews gegeben. Der Himmel ist blau und der Englische Garten nicht weit. Herr Ganz, wollen wir nicht lieber spazieren gehen? Ein Gespräch im Gehen? Und schon sind wir draußen. Bruno Ganz schreitet rasch voraus, kennt sich aus in der Stadt. Er hat an den Münchener Kammerspielen gearbeitet, einen "Tatort" gedreht. Mittlerweile lebt er in Zürich und Venedig. Als wir durch eine Einkaufspassage gehen, bleibt der Schauspieler vor einem Armani-Shop stehen. Bruno Ganz ist bekannt für seine exzellent sitzenden Anzüge. Er streicht über den braunschwarzen Wollstoff seines Mantels und erklärt, dass die Armani-Anzüge früher schöner gewesen seien, bequemer, mit einer guten Silhouette und feinen Stoffen. Heute seien sie "schwieriger", sagt er, auf Taille geschnitten, als würden sie nur für 16-Jährige gemacht. Bruno Ganz wird in diesem Jahr 70 Jahre alt.

Es ist gut für mich, wenn meine Augen auf Grün blicken.

Wir gehen weiter. Charmant übernimmt der Schauspieler die Führung - "hier entlang, Madame. Ins Grüne", sagt er mit seiner unverkennbaren Stimme, dieser sanften und gleichzeitig akzentuierten Melodie, die vielleicht deshalb so besonders klingt, weil Deutsch für den Schweizer eine zweite Sprache ist. Bruno Ganz trägt den Mantel offen, es sind vor allem die Passantinnen, die seinen Blick suchen. Ein freundliches, schüchternes Erkennen, kein Gaffen oder lautes Staunen. Frauen mögen ihn. In einem Interview hat er mal gesagt, dass nach dem Film "Brot & Tulpen" viele Briefe kamen. Er sagte, er sei der "Märchenprinz der reifen Frau".

Ein Gespräch im Gehen mit Bruno Ganz

Bruno Ganz im schwarzen Mantel
© Hannes Magerstaedt / Getty Images

BRIGITTE WOMAN: Märchenprinz?

Bruno Ganz: Ach, wissen Sie. Ich bin nicht so der Typ, dem Frauen schreiben "Hallo, ich heiße Corinna" und ein Foto von sich in den Brief kleben. Aber ja, Frauen sind nett zu mir. Sie lächeln mich an. So wie gerade eben.

BRIGITTE WOMAN: Was finden Frauen an Ihnen attraktiv?

Bruno Ganz: Ich mache keine Kommentare über mich selbst!

Bruno Ganz schaut streng. Nachfrage zwecklos. Wenn er nicht will, dann will er nicht. Er reibt sich die Hände, nicht vor Kälte, sagt er, sondern vor Freude.

Ich bin ja richtig leutselig heute. Wissen Sie, ich kann ja auch anders. Ich kann bockig sein und verschlossen. Wie schön es heute ist. Dabei haben wir November. Ein schrecklicher Monat! gerade komme ich von einem Filmdreh aus Frankreich zurück. Da hat es viel geregnet.

BRIGITTE WOMAN: Ihr neuer Film "Satte Farben vor Schwarz" kommt jetzt in die Kinos, und Sie haben schon wieder einen neuen Film gedreht?

Bruno Ganz: Ja. Es ist fast ein bisschen viel gerade. Grandios und erschreckend zugleich. Das hätte mir früher passieren sollen - und nicht jetzt in meinem Alter. Ich mag diese ganzen Rituale nicht, diese Termine und roten Teppiche.

BRIGITTE WOMAN: Wenn Sie so viel drehen wie jetzt, wie finden Sie den Weg zurück in den Alltag?

Bruno Ganz: Während man arbeitet, ist alles klar. Da lebt man nach einem Call-Sheet, einem so genannten Drehplan. 14 bis 15 Stunden sind vorgeplant, und den Rest schläft man.

BRIGITTE WOMAN: Und dann steht man plötzlich wieder vor der eigenen Haustür...

Bruno Ganz: Ja. Einerseits habe ich mich auf diesen Moment gefreut. Endlich Ruhe, kein Textlernen mehr, ausschlafen. Aber es geht nicht so einfach. Ich fühle mich oft wie ausgehöhlt, gleichzeitig erschöpft und getrieben. Es dauert dann eine ganze Weile, bis ich mich erholt habe. Ich kann durchaus etwas mit mir anfangen, wenn ich nicht arbeite. Dadurch, dass ich gern gehe, kann ich meine Tage gut organisieren.

BRIGITTE WOMAN: Durchs Gehen?

Bruno Ganz: Ja, ich gehe gern und viel, auch stundenlang. Ich bin gern draußen, das war schon früher so. Aber jetzt ist es mir noch bewusster geworden, dass es gut für mich ist, wenn meine Augen auf Grün blicken. Es ist gut fürs Denken, fürs Textlernen, für meinen Körper. Beim Gehen sehe ich mehr. Dieser Rhythmus entspricht mir.

Bruno Ganz, der Eigenbrötler?

BRIGITTE WOMAN: Wie muss man Sie sich als Wanderer vorstellen? Es heißt, Sie seien ein Eigenbrötler

Bruno Ganz: Manchmal, nicht immer. Mit Peter Handke bin ich ein paarmal gewandert. Einige Damen waren auch dabei. Aber ich bin auch schon mal allein von München nach Salzburg gelaufen. 120 Kilometer in sieben Tagen. Unglaublich schön. Eine einzige Autobahn, sonst nur Natur, kein Mensch, nur ein Fuchs.

BRIGITTE WOMAN: Brauchen Sie beim Wandern ein Ziel, den Gipfel?

Bruno Ganz: Nein. Ich mag die Berge gar nicht besonders. Hügel, auch Flüsse, sind mir lieber. Mit Ruth (Ruth Walz, Fotografin und Lebensgefährtin) gehe ich gern in Berlin an der Havel entlang. Aber ich kann auch gut in Städten spazieren gehen. Zuletzt war ich in Paris unterwegs. Ohne Ziel. Ich habe nur darauf geachtet, dass eine Metro in Reichweite ist, falls ich müde werde.

Der Münchener Hofgarten. Eine Allee mit kahlen Bäumen und kastenförmig geschnittenen Büschen, die herbstlich in der Sonne leuchten. Auf einer Parkbank liest ein Mann in Lederhose die Tageszeitung. Mütter mit Kinderwagen nippen an ihren To-go-Kaffes. Ein ganz normaler Dienstagnachmittag. Neben Bruno Ganz fühlt man sich ein wenig wie auf einem Sonntagsspaziergang. Etwas Feierliches und gleichzeitig Heiteres liegt in der Luft. Er beherrscht das Spiel. Das Spiel zwischen Mann und Frau, das oft nur hypothetisch ist, aber dem Alltag seinen Glanz verleiht. Als vor uns ein Kuppelbau auftaucht, mimt der Schauspieler einen Stadtführer und erklärt auf Bayerisch: "Da sehense das Parlament." Ein Paar kommt uns entgegen. Der Mann sagt laut zu seiner japanischen Begleiterin: "This is a famous German actor!" Bruno Ganz lächelt verschmitzt und zeigt auf mich, nein, nicht er wäre der berühmte deutsche Schauspieler, "she is famous". Er lacht, gemeinsam mit dem Fremden, geht einen Schritt auf ihn zu. Ein Gespräch entspinnt sich, über Japan, ein Land, das ihm gefalle, sagt Bruno Ganz, eine Kultur, die er verehre. Zuletzt sei er vier Wochen lang auf der Insel Shikoku gewesen, für "Ode an die Freude", einen Film über deutsche Kriegsgefangene während des Ersten Weltkrieges. Es sei leider ein schlechter Film gewesen, sagt Bruno Ganz, als wir weitergehen. Und erklärt, als müsse er, der Träger des Iffland-Ringes, einer der höchsten Auszeichnungen, die ein deutschsprachiger Schauspieler erhalten kann, sich für einen Misserfolg rechtfertigen:

Bruno Ganz: Film - das ist ein ganz anderes Medium. Das musste ich auch erst lernen. Im Theater braucht die Vermittlung andere Wege. Es sind größere Mittel nötig. Das Spiel vor und für die Kamera ist sehr intim. Die Kamera sieht alles...

BRIGITTE WOMAN: ...vermutlich auch die kleinsten Schwächen. Mussten Sie es erst lernen, sich selbst auf der Leinwand auszuhalten?

Bruno Ganz: Es gibt eitle Gründe, sich nicht zu mögen. Wenn man älter wird, mag man sich manchmal nicht so gern anschauen. Und ich sehe Sachen, die ich als Schauspieler nicht an mir mag. Bei "Satte Farben vor Schwarz" ist das anders. Mir gefällt die Geschichte, und ich mag mich und Senta Berger gern.

BRIGITTE WOMAN: Obwohl Sie ein älteres Ehepaar spielen und man Sie beide fast nackt sieht? Die Kamera ist sehr nah dran, zeigt jede Falte. Andreas Dresen, der Regisseur von "Wolke 9", hat ja mal gesagt: "Die Gesellschaft wird immer älter, aber es fehlen die dazugehörigen Bilder."

Bruno Ganz: Ich habe "Wolke 9" noch nicht gesehen. Aber er hat recht. Sophie (Sophie Heldman, die Regisseurin) sagte mir, diese Szenen müssten sein, genau so. Sie wollte den Körper in seiner Verletzlichkeit sehen. Wir sind ja auch nicht an die Grenzen gegangen. Niemand wird bloßgestellt.

Bruno Ganz und Kolleginnen auf Gala
© RAFA RIVAS/AFP / Getty Images

BRIGITTE WOMAN: Sie spielen Fred, der an Krebs erkrankt ist, sich aber nicht behandeln lassen will und damit seine Frau und Kinder vor den Kopf stößt. Er sagt: "Ich will die letzten Jahre meines Leben nicht als Patient verbringen." Ist das egoistisch?

Bruno Ganz: In unserer Gesellschaft wird über alles andauernd geredet, ist alles öffentlich. Ich finde, dass man das Recht hat, über sich selbst zu entscheiden. Sein Egoismus ist nachvollziehbar und hat auch mit seiner Krankheit zu tun. Prostatakrebs wächst langsam. Eine Operation verlängert nicht zwingend die Lebenszeit, birgt aber hohe Risiken.

BRIGITTE WOMAN: Das Paar entscheidet sich für einen gemeinsamen Suizid. Das ist unter anderem auch deshalb verstörend, weil beide nicht gerade lebensmüde wirken. Vor allem Fred. Auf der Abiturfeier seiner Enkelin tanzt er wie ein junger Gott.

Bruno Ganz: Ja, die Tanzszene (er lacht). Ich war skeptisch. Ich tanze selten, kann es eigentlich nicht. Ich hatte ja keine Ahnung, was für Musik bei so einer Abifeier gespielt wird, und dachte, dass ich dafür Tanzunterricht nehmen müsste. Dann kam ich zum Dreh und sagte: Jetzt schaltet mal die Musik ein. Was für eine Überraschung: Ich fand sie so geil (Bruno Ganz sagt tatsächlich "geil"), dass ich sofort Lust hatte, mich zu bewegen. Die Senta hat erst die Nase gekräuselt und wirkte etwas zögerlich. Ich sagte zu ihr: Ja, wir sind zwei betagte Leute, egal, wir schmeißen uns da jetzt rein. Und dann hat sie auch Lust bekommen.

BRIGITTE WOMAN: Wie ging es Ihnen mit der Entscheidung des Paares, den Zeitpunkt seines Todes selbst zu bestimmen und sich selbst zu töten?

Bruno Ganz: Es ist immer noch viel christliche Erziehung in mir, die das ablehnt. Und eine andere Scheu, deren Ursprung mir verborgen ist, wehrt sich auch dagegen. Ich bin da aber gespalten und ambivalent.

Ich kann den Tod noch so oft spielen, und trotzdem bin ich ratlos wie eh und je.

BRIGITTE WOMAN: Was ist die andere Seite der Medaille?

Bruno Ganz: Wir leben in Großstädten, entfernen uns von der Natur, werden virtuell, schaffen Gott ab. Es ist sehr selbstherrlich, wie wir glauben, wir könnten alles kontrollieren, bestimmen und beherrschen. In Zürich gibt es Dignitas, eine Art Firma für Sterbehilfe. Menschen reisen zum Sterben in die Schweiz - das hat für mich einen durchaus touristischen Aspekt. Andererseits aber kann ich auch nichts dagegen sagen, wenn es jemand nicht mehr aushält, wenn er sterben will. Ich denke, es muss möglich und erlaubt sein, dass solchen Menschen geholfen wird.

BRIGITTE WOMAN: Sie spielen in letzter Zeit ja öfters Menschen mit unheilbaren Krankheiten - in "Ein starker Abgang" an der Seite von Monica Bleibtreu etwa oder als Tiziano Terzani in "Das Ende ist mein Anfang". Sie haben sich also viel mit dem Thema Tod beschäftigt...

Bruno Ganz: Ja, aber ich komme zu keinem Schluss. Ich kann den Tod noch so oft spielen, und trotzdem bin ich ratlos wie eh und je. Immer öfter befällt mich jedoch die Ahnung, dass er außerordentlich schrecklich sein kann. Wenn ich mir vorstelle, es würde mitten in einer überfüllten Züricher Straßenbahn oder Berliner U-Bahn passieren, schrecklich. Ja, diese Sache rückt näher und näher. Der Tod beschäftigt mich. Aber es erdrückt mich nicht.

BRIGITTE WOMAN: Und Sie sterben hoffentlich auch nicht in Ihrem nächsten Film.

Bruno Ganz: Nein (er lacht). Ganz im Gegenteil. Da spiele ich einen Reitlehrer, der mit einer jüngeren Frau nach Ungarn durchbrennt.

BRIGITTE WOMAN: Das klingt, als hätte es Spaß gemacht.Bruno Ganz: Und wie! Bruno Ganz schaut auf die Uhr. Der Hofgarten leert sich. Übrig bleiben ein paar Boule-Spieler und ein dünner Sichelmond. Im Laufschritt eilen wir zurück zum Hotel. Zum nächsten Interview. Unterwegs, am Straßenrand, sitzt ein Akkordeonspieler und spielt mit traurigen Augen eine heitere Melodie. Bruno Ganz bleibt stehen und greift in die Tasche seines Mantels.

Zur Person: Bruno Ganz

Bruno Ganz mit Medaille auf einer Feier
© Christian Marquardt / Getty Images

Bruno Ganz gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Schauspieler. Schon mit 23 Jahren arbeitete er am Bremer Theater mit Regisseuren wie Peter Stein und Peter Zadek. Theatergeschichte hat der gebürtige Schweizer in den 70er Jahren an der Berliner Schaubühne geschrieben. Später auch mit seiner Rolle als Faust in Steins 21-stündiger Inszenierung auf der Expo 2000. Inzwischen hat sich Bruno Ganz vom Theater zurückgezogen und sich ganz dem Film verschrieben. Mit "Der Himmel über Berlin", "Brot & Tulpen" oder "Der Untergang" wurde der Schauspieler dem breiten Publikum bekannt.

Interview: Antje Liebsch

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