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Karen Duve: Vollbremsung der Gefühle

Karen Duve hat ihren vierten Roman "Taxi" über eine Hamburger Taxifahrerin geschrieben - und sich damit auf die Spuren ihrer eigenen Vergangenheit begeben.

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Wer Karen Duve besuchen will, um mit ihr über ihren neuen Roman zu sprechen, muss einem Taxifahrer viel Geld zahlen für den Weg in die Abgeschiedenheit, die "Brunsbüttel" heißt. Ohne Motor geht hier gar nichts. Brunsbüttel, Landkreis Dithmarschen, rund 100 Kilometer von Hamburg entfernt und in erster Linie für ein Kernkraftwerk bekannt, das seinem Betreiber immer mal wieder "meldepflichtige Ereignisse" beschert. Ansonsten das, was die norddeutsche Provinz eben ausmacht: sehr viel Himmel und plattes Land, so weit das Auge reicht. Einsam ist es hier, so einsam, dass es schon einen gefestigten Charakter erfordert, um dort zu leben. Karen Duves Charakter muss demnach hart sein wie die Betonwände des benachbarten Atommeilers, schließlich wohnt sie noch nicht mal im Ortskern, sondern in einem stillgelegten Bahnhof bei Brunsbüttel.

Von Schriftstellern, die sich in menschenleere Einöden zurückziehen, erwartet man ja reflexartig, dass sie irgendwie "schwierig" seien, spröde und unkommunikativ. Und wer Karen Duves Romane liest, den bitterbösen "Regenroman" von 1999, das melodramatische "Dies ist kein Liebeslied" von 2002 oder eben das aktuelle Buch "Taxi" mit seinen missmutigen Protagonisten, könnte schnell glauben, bei Brunsbüttel auf eine eher depressive Persönlichkeit zu treffen, die schlecht gelaunt an der Unbill der Welt herumkaut wie eine Bulldogge auf einem alten Schuh.

Drei Bulldoggen erwarten uns bei Karen Duve

Tatsächlich erwarten uns sogar drei Bulldoggen: eine echte namens Bully, die mit Karen Duve die schleswig-holsteinische Einsamkeit teilt, und zwei aus weißem Stein, die rechts und links auf den Torpfeilern zur Hofeinfahrt sitzen. Als Kontrast zu ihren tief heruntergezogen Lefzen tragen sie zauberhafte Krönchen auf ihren bulligen Schädeln wie zwei verwunschene Prinzessinnen. Noch bevor einen die Schriftstellerin gut gelaunt begrüßt, ist also klar: Falls Karen Duve jemals an der Schlechtigkeit der Menschen verzweifeln sollte, wird sie es nicht tun, ohne sich gleichzeitig dabei totzulachen.

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Genau diese Mischung aus Melancholie und Komik ist auch das Erfolgsgeheimnis ihrer Romane. Auf die Frage, ob sie ihre Bücher eher lustig oder tragisch findet, antwortet die 46-Jährige: "So beides." Ihre Sprache ist erbarmungslos und trocken, wenige Worte genügen ihr, um die Dinge auf den Punkt zu bringen, in "Taxi" reichen zwei Seiten, um die Lebenssituation ihrer Protagonistin Alex klar zu umreißen. Die hat ihre Ausbildung zur Versicherungskauffrau abgebrochen und muss sich nun etwas einfallen lassen, bevor sich ihre Eltern wieder "irgendeinen langsamen Tod in einem Büro" für sie ausdenken.

Karen Duve schreibt gern über Dinge, von denen sie eine Ahnung hat.

"Ich hoffte immer noch, dass sich irgendwas von selbst ergeben würde, etwas Großes und Besonderes, ohne dass ich deswegen selber handeln musste oder gezwungen war, Entscheidungen zu fällen, die ich dann den Rest meines Lebens bereuen würde." Um die Zeit vor dem eigentlichen Leben zu überbrücken, sucht Alex nach einem halbwegs gut bezahlten Job - und findet die Straße. "Ich meldete mich auf eine Anzeige, in der nicht nur Taxifahrer, sondern ausdrücklich auch Taxifahrerinnen gesucht wurden. 1984 war es in Stellenanzeigen nicht üblich, jedem Beruf noch eine weibliche Endung anzufügen. Man tat es nur, wenn man andeuten wollte, dass man praktisch jeden nahm."

Bumm, schon klemmt man mit Alex hinter dem Lenkrad ihrer Funktaxe und fährt mit ihr durch die Nacht, ohne Zwischenstopp, bis dem Roman die Seiten ausgehen. Karen Duve schreibt gern Bücher über Dinge, von denen sie eine Ahnung hat, und vom Leben im Takt des Taxometers hat sie mehr als nur das: Bevor sie als Bestseller-Autorin ihren Bahnhof beziehen konnte, war sie die "Zwodoppelvier vom Wandsbek-Funk". 13 Jahre lang steuerte sie eine Hamburger Taxe im klassischen Farbton RAL 1015, helles Elfenbeinbeige also oder wie Karen Duve sagen würde: eine Farbe wie blasser Eiter. So eine Erfahrung lässt sich nicht recherchieren, man muss sie erleben.

Das Thema hat sie lange in ihrem Kopf mitfahren lassen. Die Geschichte war ihr zu wichtig und die Fallen, in die sie hätte tappen können, zu groß. "Ich wollte verhindern, dass ich ins Anekdotische abgleite und eine Geschichte an die andere reihe, ohne richtigen Spannungsbogen. Oder dass ich dem eigenen Mythos aufsitze, dass Taxifahren ausschließlich was Abenteuerliches ist." In diesem Moment spuckt Bully mit lautem Würgen Teile seines Mageninhalts neben den plüschigen Barocksessel, in dem die Autorin während des Gesprächs sitzt. Karen Duve nennt den vierschrötigen Kerl liebevoll "mein Hündchen" und "Herr Bully!" wenn sie streng ist. Während sie gelassen einen Lappen holt, um das Malheur aufzuwischen, schlabbert die englische Bulldogge schon wieder andächtig an der Pfütze herum.

Wer mit solchen Mitbewohnern gesegnet ist, wird wohl niemals in die Versuchung kommen, dem eigenen Mythos aufzusitzen oder Geschichten in falsches Pathos abgleiten zu lassen. Was nicht bedeutet, dass die Wirklichkeit nicht ab und zu in ihren Romanen aufblitzen darf. Zum Beispiel hat sie ihrer Protagonistin ihr Taxifunkkürzel 244 vermacht und sie in eine Welt gestellt, in der die Menschen zu markig geschnarrten Nummern werden ("Danke, Zwodoppelvier"). Alex, die eigentlich immer nur fahren und am liebsten gar nicht reden möchte, muss sich ständig mit der Reihe übermüdeter Gesichter auseinandersetzen, die ihre Kollegen sind und die sie regelmäßig an den Taxiposten der Hansestadt trifft.

Da sind Udo-Dreidoppelsieben und Udo-Zwonullfünf - Taximörder, der so heißt, seit er einen Selbstmordkandidaten auf die Hamburger Köhlbrandbrücke gefahren hat - und Rüdiger, der aussieht wie ein "verlebter Vierzehnjähriger", Frauen für minderbemittelt hält und keine Gelegenheit auslässt, Hasstiraden loszulassen. Und dann gibt es noch Dietrich, der sich sofort in Alex verliebt; den sie aus Höflichkeit küsst und aus Antriebslosigkeit nicht verlässt. Jeder aus diesem Club der zerknautschten Gesichter und Lederjacken hat seine ganz eigenen Gründe fürs Taxifahren. Bei einer Sache ist sich die Truppe allerdings einig: Fahrgäste sind "Dreckhecken", die immer nur zu große Geldscheine dabeihaben und sich auf dem Rücksitz aufführen wie die Könige der Welt.

"Die Fahrgäste haben oft zu mir gesagt: 'Ihren Job möchte ich auch nicht machen'", sagt Karen Duve fröhlich. "Und ich habe immer gedacht: 'Taxifahren wäre so ein toller Beruf, wenn es euch nicht gäbe!'" Wer den Roman gelesen hat, wird nie wieder in ein Taxi steigen können, ohne das Bedürfnis zu haben, jedwede unterschwellige Feindseligkeit durch ein üppiges Trinkgeld zu mildern. Karen Duve geht es allerdings mehr um die Höflichkeit, "die man auch seinem Krämer entgegenbringt oder seinem Zahnarzt". Sie glaubt, dass hinter der Grundannahme, sich mit seinem Geld nicht nur einen Transport, sondern auch eine Freikarte für schlechtes Benehmen erkauft zu haben, ein viel ernsteres Thema steckt: "Die Art, wie jemand Dienstleistende behandelt, ist ein Lackmustest für den Charakter. In dieser nicht vorhandenen Bereitschaft, sich in andere hineinzuversetzen, liegt der Keim für echte Bosheit", sagt die Autorin.

Häufig hat sie sich ausgemalt, wie solche Menschen reagieren würden, säßen sie in echten Machtpositionen, im Krieg beispielsweise. Wer würde anständig bleiben, wer würde Spaß daran haben, andere zu quälen? Taxifahrer haben viel Zeit, um über die Schlechtigkeit der Dinge nachzudenken. Und sie können sich ein umfassendes Bild machen vom Zustand der Gesellschaft, die sie fahren, schließlich sitzt früher oder später die ganze Welt auf ihrer Rückbank. In "Taxi" übernimmt Alex die Schichten zwischen achtzehn Uhr und sechs Uhr morgens: "Nachts fahren und tagsüber schlafen, davon versprach ich mir mehr Abenteuer." Auch das hat sie von ihrer Schöpferin, die die Nachtarbeit heute allerdings nicht mehr so unbeschwert angehen könnte wie früher. "Damals hatte ich so ein Unsterblichkeitsgefühl, ich dachte einfach, ich komm schon durch. Es gab Momente, in denen ich Angst hatte, aber auch viele, in denen ich Angst hätte haben sollen."

Einem tätowierten Zwei- Meter-Typen in eine dunkle Ecke zu folgen, nur weil der seine acht Mark achtzig nicht bezahlt hat, wäre für Frau Duve heute wohl nicht mehr drin. Alex lässt sie solche Situationen natürlich trotzdem durchleben. Vor allem die Momente, in denen ein Gespräch plötzlich abgleitet und man feststellt: Dieser Gast tickt anders als andere Menschen, bei dem kann ganz schnell Feierabend sein. Kann sie heute nicht aus diesem unendlichen Fundus an Geschichten und Charakteren schöpfen? Nur aus den Eindrücken der Anfangszeit, sagt Karen Duve. Wenn alles noch so prägnant ist und man selbst fix und fertig von der Gefühlsachterbahn einer Schicht: Erst holt man die Beerdigungsgruppe ab, dann johlende Reeperbahnbesucher, danach ein kleines Scheidungskind, das immer zwischen Mama und Papa hin- und herfahren muss.

Jedes Gefühl endet in einer Vollbremsung, ein echtes Schleudertrauma für die Seele. "Irgendwann habe ich zugemacht und bin in eine Art Autismus gefallen." Am Ende der Schicht konnte sie nicht mehr mit Sicherheit sagen, wen sie gefahren hatte, nicht einmal mehr, wohin.

Irgendwann ging es dann nur noch ums Geld. Der Spaß war weg, auch das Gefühl der Freiheit, wenn sie nachts durch die leeren Straßen heizte, nutzte sich ab. "Die Leute gingen mir fürchterlich auf die Nerven und sollten mir vom Pelz bleiben. Ich wollte niemanden mehr sehen. Was anderes konnte ich aber nicht, und deswegen habe ich weitergemacht." Karen Duve erzählt diese Dinge mit ungerührter Heiterkeit - aus der sicheren Distanz einer Frau, die rechtzeitig entdeckt hat, dass sie doch mehr kann, als nur Auto zu fahren.

Auch Alex entwickelt eine regelrechte Dagobert-Duck-Mentalität und wird zunehmend misanthrop. Sie hat auch allen Grund dazu, denn die Menschen in Duves Romanen sind nur selten wirklich liebenswert und pflegen ihre Störungen meist auf Kosten anderer. Sie könne Menschen im Allgemeinen nicht leiden, sagt die Autorin und lacht so herzlich, dass man ihr sofort beipflichten möchte. "Aber ich mache immer wieder Ausnahmen. Einzelne Individuen mag ich sehr gern." Wenn man sich einmal länger mit Karen Duve unterhalten hat, ahnt man, dass sie außer einigen Eckdaten nicht so viel mit ihren Figuren gemeinsam hat, wie es von außen vielleicht scheinen mag. Dennoch wird sie bei jedem neuen Buch gefragt, ob ihre Geschichten nicht alle autobiografisch seien. Das störe sie nicht, sagt sie, schließlich sei sie selbst dran schuld, weil sie die Lebenswelten ihrer Bücher stets ein wenig miteinander verzahne. "Dadurch entsteht eine Schein-Authentizität. Das finde ich aber auch ganz gut." Hinter dieser coolen, rauen Fassade lässt es sich schließlich ungestört leben auf dem alten Bahnhof bei Brunsbüttel. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie auf Fotos selten lächelt.

Während Alex am Ende auf den großen Knall zusteuert, hat sich Karen Duve aus dem Taxi förmlich "rausgeschlichen". 1990 bekam sie ihren ersten Literaturpreis und hoffte, endlich nicht mehr "Zwodoppelvier" sein zu müssen. Sechs Jahre hat es dann gedauert, bis die Anerkennung ihrer schriftstellerischen Qualitäten auch die Miete zahlte. Es gibt eine Pressemappe, in der steht, sie habe sich irgendwann entschieden, nur noch vom Schreiben zu leben. "Das kann man gar nicht selbst entscheiden, das machen ganz andere", sagt Karen Duve. "Sonst hätte ich mich schon viel früher dafür entschieden." Ob ihre Bücher dann auch den Humor der Verzweiflung hätten, der nur entsteht, wenn einen das Leben ab und zu richtig beutelt? Solche Fragen verlieren sich in der endlosen norddeutschen Weite. Bully ist auch nur noch daran interessiert, seinen dicken Hintern auf dem Sofa zu parken. "Du fliegst gleich hier raus, Herr Bully!", sagt Karen Duve freundlich, und auf die verwunschenen Prinzessinnen am Tor prasselt der Regen hinab.

Die Bücher von Karen Duve

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Text: Andrea Benda Foto: Thomas Müller, Helmut Postel

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