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Wie Yoga bei Brustkrebs hilft

Wie Yoga bei Brustkrebs hilft
© Dragon Images / Shutterstock
Mehr Lebensqualität für Krebspatientinnen: mit Yoga können die Nebenwirkungen der Therapie gegen Brustkrebs gelindert werden.

Wie die Prinzessin auf der Erbse liegt sie da. Mehrere Lagen dicker Kissen sind auf zusammengestellten Stühlen gestapelt. Und oben auf diesem "Thron" Susanne Haustein, ganz entspannt auf dem Rücken, die Arme bequem ausgebreitet und an den Seiten abgelegt, auf den Augen kleine Säckchen, um das Draußen davon abzuhalten, drinnen zu stören. Mit jedem Atemzug scheint sie tiefer in den Kissenberg zu sinken, ihre Gesichtszüge lösen sich, irgendwann fängt sie an zu lächeln. Auch wenn es nicht so aussieht: Susanne Haustein, 45, macht Yoga. "Salamba Purvottanasana" heißt die Übung. Sie vertieft die Atmung, reguliert den Blutdruck, beruhigt und belebt. Und ist Teil eines speziellen Programms für Frauen mit Brustkrebs, das in den Kliniken Essen-Mitte jetzt im Rahmen einer Studie mit 100 Patientinnen wissenschaftlich überprüft wird. Zusammengestellt hat es der indische Yoga-Altmeister B. K. S. Iyengar.

Der 93-Jährige ist bekannt für seine systematisch geordneten, präzisen Übungsreihen, auch speziell für Krankheiten. Und damit die Asanas leichter ausgeführt werden können, setzt er dabei Hilfsmittel ein. "Nach einer Brustoperation können die Frauen keine traditionellen Yoga-Übungen machen", sagt Rita Keller, Leiterin des Iyengar-Yoga-Instituts Rhein-Ahr e.V., die das Programm zusammen mit Dr. Anna Paul, Leiterin der Mind-Body-Medizin in Essen, initiiert hat. "Die Asanas müssen an die Krankheit angepasst und die Handicaps durch Hilfsmittel ausgeglichen werden.

Außerdem brauchen die Patientinnen eine ganz individuelle und sehr intensive persönliche Betreuung. "Ziel ist es, ein Höchstmaß an Entspannung zu erreichen und die Atmung zu vertiefen. Alles, was den Frauen dabei hilft, kommt zum Einsatz: Kissen, Decken, Stühle, Holzblöcke, Gurte. Lässt sich zum Beispiel ein Arm nicht gut öffnen, weil die Operationsnarbe spannt, lagert die Therapeutin ihn so auf Polstern, dass das Gewebe behutsam gedehnt wird. Und weil es anstrengend ist, die Beine mit aneinandergelegten Fußsohlen zu grätschen, werden Füße und Beine sanft mit einem Gurt fixiert. Damit fällt es der Patientin leichter, die Position zu halten, sie kann loslassen und sich besser entspannen.

"Jeder braucht Unterstützung, um etwas zu lernen", sagt B. K. S. Iyengar. "Hilfsmittel geben diese Unterstützung. Sie schenken Vertrauen zum Lehrer und helfen, Fehler bei den Übungen zu vermeiden. Mit Hilfsmitteln kann jeder ohne Stress, ohne Sorge und ohne Angst üben. So können alle, auch Ältere, Schwache und Kranke, ungehindert Yoga praktizieren und davon profitieren." Rita Kallmeyer liegt auf dem Boden, Kopf und Nacken auf einer Decke, die Beine auf einem Stuhl.

Ganz wohl scheint sich die 48- Jährige noch nicht zu fühlen. Yoga- Lehrerin Anke Roth-Langels schiebt ihr Polster unter Becken und Rücken, korrigiert die Haltung ihres Oberkörpers, breitet Decken unter den seitlich ausgestreckten Armen aus und schlingt vorsichtig einen Gurt um die Beine. Endlich entspannt sich Ritas leicht angestrengter Blick, sie liegt weich und bequem. Jetzt kann sie die Position mühelos halten. Ihr Brustkorb öffnet sich, die Atmung wird tiefer, Kreislauf und Lymphfluss werden angeregt. Das kann Ödemen, einem Risiko nach Brustkrebsoperationen, vorbeugen. "Gestuftes Viparita Karani", Schulterstand im Liegen.

Anfangs müssen die Frauen nicht viel selbst tun. Erst später folgen zwei weitere Übungsreihen, in denen sie langsam aktiver werden, Kräfte aufbauen sollen. Direkt nach der Operation und während einer Chemo- und Strahlenbehandlung, wenn sie noch sehr bedürftig sind, bleiben sie eher passiv. Die Therapeutin lagert sie gut, bringt sie in die richtige Position und sorgt dafür, dass sie ohne Anstrengung und Schmerzen fünf bis sieben Minuten in der Haltung bleiben können. "Es ist ein Gefühl, als wenn man sich als kleines Kind von einer Mauer in die Arme von Mutter oder Vater fallen lässt", sagt Rita. "Man vertraut darauf, dass die stärkeren Arme einen auffangen und nicht fallen lassen."

Nur eines müssen die Frauen selbst machen: tief und bewusst atmen. Und dabei achtsam in sich hineinspüren und ihren Körper wahrnehmen, still werden und den eigenen Bedürfnissen lauschen, zur Ruhe kommen und eine neue Balance finden. "Gesundheit ist nicht statisch, sondern eine dynamische Lebenskraft", sagt Iyengar-Yoga-Exper- tin Rita Keller. "Werde ich krank, habe ich mich von mir selbst entfernt. Beim Yoga entdecke ich die Beziehung zu mir selbst wieder." Für viele ist das erst einmal befremdlich. Die Krebsdiagnose hat sie abrupt aus der Bahn geworfen, ihnen von einem Augenblick auf den nächsten alle Perspektiven genommen.

Doch je länger sie Yoga üben - am besten möglichst schnell nach der Operation zweimal pro Woche etwa eine Stun- de -, desto stärker merken sie, dass sich bei ihnen etwas verändert. "Viele Frauen sind anfangs skeptisch. Sie meinen, sie liegen nur herum", sagt Anke Roth-Langels. "Doch wenn sie sich darauf einlassen, bleiben sie von sich aus ganz lange in den einzelnen Übungen. Allmählich merken sie, dass sie loslassen dürfen und können und dass es ihnen guttut, sich zu entspannen. Dann fließen auch mal Tränen."

Yoga stärkt nicht nur die Muskeln und das Nervensystem, es verringert auch Ängste und Depressionen, der Spiegel des Stresshormons Cortisol sinkt deutlich. Das ist inzwischen erwiesen. "Yoga ist eine ganzheitliche Wissenschaft. Die Übungen wirken gleichzeitig äußerlich wie innerlich. Sie haben positive Effekte für Körper, Sinne, Organe, Nervensystem, Zellen, Bewusstsein, Geist und Seele", sagt B. K. S. Iyengar. Brustkrebspatientinnen können - wie erste Studien in den USA und Kanada gezeigt haben - in besonderer Weise davon profitieren: Nebenwirkungen der Chemo- und Hormontherapie wie Übelkeit, Erbrechen, Gelenkschmerzen und Hitzewallungen werden durch Yoga abgeschwächt.

Die chronische Erschöpfung, "Fatigue-Syndrom", die 30 bis 40 Prozent der Patientinnen zu schaffen macht, nimmt ab, und die Lebensqualität bessert sich deutlich. "Um eine vergleichbare Wirkung zu erzielen, müssten Ärzte drei Medikamente geben: eines, das Ängste löst, eines, das die Stimmung aufhellt, und eines gegen die Nebenwirkungen der Therapie", sagt Professor Gustav Dobos, Leiter der Abteilung "Naturheilkunde und Integrative Medizin" an den Kliniken Essen-Mitte. Hinzu kommt, dass die Frauen selbst etwas für ihre Gesundheit tun können.

Und, so Dobos aus Erfahrung: "Patientinnen, die selbst aktiv werden, fühlen sich besser." Die Essener Studie soll das jetzt wissenschaftlich überprüfen. Und gleichzeitig die Wirkung des speziellen Iyengar-Übungsprogramms untersuchen. "Mein Traum ist es", sagt Gustav Dobos, "dass jede Brustkrebspatientin, so wie sie eine Chemo-, Strahlen- oder Hormontherapie bekommt, mit Yoga beginnt. Dann hätte sie die körperliche und psychische Kraft, die Behandlung auszuhalten. Und manchmal ginge es ihr dann trotz Krankheit sogar besser als vorher."

Gut zu wissen

Iyengar-Yoga für Brustkrebspatientinnen wird in kleinen Gruppen mit höchstens acht bis zehn Teilnehmerinnen angeboten. In dem zehnwöchigen Kurs werden die Frauen von zwei Lehrerinnen betreut. Die Kosten dafür tragen die gesetzlichen Krankenkassen bisher nicht. Betroffene sollten aber nachfragen.

Mehr Informationen und Adressen von Lehrerinnen über Rita Keller, Iyengar-Yoga-Institut Rhein-Ahr e. V., Kurgartenstr. 1, 53474 Bad Neuenahr, Tel. 026 41/ 781 16, info@iyengar-yoga.de. Zum Weiterlesen: "Yoga für Krebspatienten" von Evelyn Horsch- Ihle, 272 S., 19,95 Euro, ViaNova Verlag 2011; "Gemeinsam gegen Krebs" von Gustav Dobos und Sherko Kümmel, 280 S., 24,95 Euro, Zabert Sandmann 2011.

Text: Monika Murphy-Witt Fotos: Dorothea Schmid

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