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Haarausfall bei Krebs: "Ich bin schön!"

Mit der Diagnose Brustkrebs hatte sie nie gerechnet. Mit den Folgen der Krebs-Therapie schon. Stark und selbstbewusst hat Sylvia Abon dem Haarausfall getrotzt.

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BRIGITTE Woman: Frau Abon, mögen Sie Ihren Körper noch nach allem, was er durchgemacht hat?

Sylvia Abon: Ja, wieder. Direkt nach der Chemotherapie gefiel er mir ganz und gar nicht. Die Medikamente, zusätzlich Kortison, mein wachsender Appetit, wenig Sport - ich hatte ganz schön zugenommen. Mit Yoga, Pilates und Atemübungen habe ich dann gegengesteuert, und inzwischen jogge ich fast wie früher und esse wie gewohnt gesund. Jetzt fühle ich mich schon wieder richtig gut, obwohl ich noch mitten in der Strahlentherapie bin.

BRIGITTE Woman: Sie bekamen Ihre Brustkrebs-Diagnose kurz vor einem Langstreckenflug nach Hongkong. Krank fühlten Sie sich da nicht. Nach der Operation war Ihr Körper plötzlich nicht mehr unversehrt. Haben Sie einen Schreck bekommen, als Sie sich das erste Mal im Spiegel gesehen haben?

Sylvia Abon: Ja, schon. Beim ersten Eingriff wurden der Tumor und die Wächterknoten entfernt, eine Woche später bei einer zweiten Operation alle Lymphknoten. Es sah katastrophal aus. Doch ich fühlte mich befreit, weil der Tumor weg war, und hatte kaum Schmerzen. Und ich wusste, wenn alles verheilt ist, sieht das bestimmt schön aus.

BRIGITTE Woman: Eine bewundernswert positive Einstellung...

Sylvia Abon: Ich habe immer unter meinem großen Busen gelitten. Jetzt habe ich schon eine kleinere Brust, und die andere Seite wird in einem späteren Eingriff angeglichen. Mir geht es also besser als anderen Frauen, denen eine Brust komplett abgenommen wurde. Ich hatte auch nie den Eindruck, in einer lebensbedrohlichen Situation zu sein.

BRIGITTE Woman: Woher kam dieses Gefühl?

Sylvia Abon: Ich hatte den Tumor sehr früh entdeckt, war schnell zum Arzt gegangen und gehöre zu denjenigen, bei denen alle neuen Errungenschaften der Krebstherapie angewandt werden können. Meine Chancen waren von Anfang an gut. Und ich bin hier im Emsländischen Brustzentrum in Meppen wunderbar aufgehoben, konnte bei meiner Familie bleiben und musste nicht nach Houston fliegen, um gut behandelt zu werden. Vor zehn Jahren wäre das noch anders gewesen. Für mich war alles gut so, wie es ist.

BRIGITTE Woman: Haben Sie Ihre Krankheit sofort akzeptiert?

Sylvia Abon: Ich versuche immer, aus allem das Positive herauszuholen. So bin ich. Ich bin zwar krank, fühlte mich aber nie so. Ich hatte eher das Gefühl, mein Körper will, dass ich mal zur Ruhe komme, eine Auszeit nehme. Letztendlich habe ich mich schnell mit meiner Diagnose abgefunden. Ich hatte keine Angst. Ich wusste, ich bekomme alles, was ich brauche. Ich musste mir nur selbst treu bleiben. Also Kopf hoch und durchatmen, 21, 22, 23, so, wie ich es als Stewardess gelernt habe. Keine Panik - auch wenn das Triebwerk brennt!

BRIGITTE Woman: Konnten Sie diese Einstellung während der Chemotherapie beibehalten?

Sylvia Abon: Ich habe die Chemos gut vertragen. Ich wusste, dass ich das härteste Mittel bekomme, das im Augenblick auf dem Markt ist. Das Medikament ist knallrot, sieht aus wie Campari. Also habe ich zu mir gesagt: "Ich gehe zur Happy Hour." Für mich war das Mittel wie ein Freund, der mir guttat. Ich musste mich nicht einmal übergeben.

BRIGITTE Woman: Haben Sie keine Nebenwirkungen gespürt?

Sylvia Abon: Die ersten Tage nach der Chemo hat mir kein Essen geschmeckt, ich hatte das Gefühl, auf Alufolie zu kauen, und die Schleimhäute waren wund. Aber das ließ sich mit Hausmitteln lindern. Mir taten auch mal die Knochen weh, und mir brach der Schweiß aus...

BRIGITTE Woman: ...und dann fielen die Haare aus.

Sylvia Abon: Auch darauf war ich vorbereitet. Bei der Diagnose hatte ich halblange Haare, einen Bob. Vor der Chemo habe ich mir die Haare färben und einen richtig schicken Kurzhaarschnitt machen lassen. Meine Tochter wurde konfirmiert. Da wollte ich noch mal eine schöne Frisur haben, bevor ich meine Haare verlieren würde.

BRIGITTE Woman: Wie ging es Ihnen dabei?

Sylvia Abon: Vorher hatte ich mit meiner Tochter noch gewitzelt, dass wir Shampoo sparen würden. Und mit meinem Freund hatte ich abgesprochen, dass wir beim ersten Anzeichen meinen Kopf zusammen kahl rasieren würden. Für ihn war es auch kein Gräuel, dass seine Frau eine Glatze haben würde, das war sehr beruhigend für mich.

BRIGITTE Woman: Haben Sie Ihren Vorsatz in die Tat umgesetzt?

Sylvia Abon: Wir haben eine richtige Familienaktion daraus gemacht. Meine Eltern waren da, meine Tochter, mein Freund und ich. Erst mit der Schere, dann mit dem Rasierer haben sie mir den Kopf kahl geschoren. Das war lustig, ein richtiges Happening und dadurch für mich nicht so schlimm. Wir haben viel Spaß dabei gehabt, gelacht, Fotos gemacht, und alle haben die blonde Kurzhaarperücke probiert, die ich schon vorher zusammen mit meinem Freund gekauft hatte.

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BRIGITTE Woman: Hat es Sie gestört, dass der kahle Schädel Ihre ganze Ausstrahlung verändert hat?

Sylvia Abon: Das war nicht schlimm für mich. Ich hatte das Buch "Heute bin ich blond. Das Mädchen mit den neun Perücken" von Sophie van der Stap gelesen. So wollte ich es auch machen, mich nach Lust und Laune verwandeln. Doch als ich, schon vor Beginn der Chemo, in einem Institut Perücken aufgesetzt habe, sah ich aus wie ein Transvestit. Daraufhin habe ich beschlossen, ich laufe eher mit kahlem Schädel herum. Aber als die Glatze da war, gefiel sie mir gar nicht: Sie war schneeweiß und sah nach Krankheit, nach Krebs aus, nicht so cool wie bei vielen Männern. Also habe ich sie bedeckt.

BRIGITTE Woman: Haben Sie dann doch Perücken getragen?

Sylvia Abon: Selten. Komischerweise war ich kurz vor der Diagnose in Atlanta gewesen und hatte dort mit einer Kollegin aus Spaß eine Perücke probiert, einen dunklen Bob für 38 Dollar. Als meine Haare ausfielen, habe ich sie gebeten, sie mir mitzubringen, wenn sie das nächste Mal in Atlanta ist. Diese Perücke sieht sehr sexy aus, die habe ich auf ein paar Partys getragen. Ab und zu habe ich die blonde Perücke aufgesetzt, das war wie kostümieren. Und ich hatte eine kleine Biker-Mütze aus atmungsaktivem Mikrofaserstoff. Überwiegend habe ich aber Tücher benutzt. Das war wie eine Art Schmuck. Doch manchmal haben sie auch genervt, wie eine Frisur, die nicht sitzt.

BRIGITTE Woman: Hatten Sie das Gefühl, Sie werden angestarrt?

Sylvia Abon: Eigentlich nicht. Ich habe sogar "oben ohne" meinen Vorgarten gewässert, ohne dass die Nachbarn komisch geguckt haben. Und im Urlaub waren wir auf Föhr, da habe ich auch mein Tuch am Strand abgenommen und bin ohne Kopfbedeckung geschwommen. Es gab nur eine Situation, die mich sehr mitgenommen hat. Zwei Freundinnen hatten mich schon Monate vor der Diagnose zum Madonna-Konzert nach Frankfurt eingeladen. Das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, obwohl ich mich während der Strahlentherapie eigentlich schonen sollte. Das Konzert war super. Am nächsten Morgen wollte ich nach Münster zurückfliegen. Wir waren spät dran, und bei der Sicherheitskontrolle war eine lange Schlange. Als ich endlich an der Reihe war, forderte mich die Beamtin auf, mein Cappy vom Kopf zu nehmen. Um mich herum standen etliche Geschäftsleute. Ich flüsterte ihr zu, dass ich keine Haare hätte. Daraufhin musste ich mit ihr in eine Kabine und dort meine Kappe abnehmen. Sie fingerte auf meiner Kopfhaut herum. Da bin ich weinend zusammengebrochen. Das erste Mal. Als ich rauskam, war mein Flug gerade geschlossen worden. Keine Chance mehr, rechtzeitig nachmittags zur nächsten Strahlentherapie zu kommen. Da habe ich noch mal geheult, vor allem, weil ich mich so hatte abkanzeln lassen. Warum hatte ich nicht einfach mein Cappy vom Kopf gerissen und gesagt: "Bitte schön, jetzt können alle sehen, dass ich nichts zu verbergen habe!"

BRIGITTE Woman: Heute haben Sie aber nichts auf. Ab wann sind Sie doch ohne Kopfbedeckung auf die Straße gegangen?

Sylvia Abon: Vorletztes Wochenende wollte ich etwas zum Anziehen kaufen. Zur Anprobe habe ich das Kopftuch abgenommen. Sofort sagten die Verkäuferin und eine andere Kundin, ich sähe so viel besser aus. Da habe ich noch im Laden mein Tuch in die Tasche gesteckt und bin bei wunderschönem Wetter das erste Mal so über den Meppener Marktplatz gegangen. Ich dachte, ich wäre die Attraktion. Aber kaum jemand hat geguckt. Von da ab habe ich mich mit anderen Augen gesehen. Das war eine richtige Befreiung. Seitdem mache ich etwas mehr Make-up ins Gesicht und gehe mit kahlem Kopf raus.

BRIGITTE Woman: Wie reagieren andere Menschen darauf?

Sylvia Abon: Gut. Jeder, auch die, die mir nicht so nah sind, sagen, dass mir das gut stehen würde. Ich habe ja auch keine Segelohren. Und jetzt, wo die Haare so gleichmäßig fein und kurz nachgewachsen sind, sieht es, finde ich jedenfalls, fast schon cool aus, wie bei Sinéad O'Connor. Könnte ein neuer Trend sein, obwohl meine Tochter meint, man würde noch sehen, dass das keine richtige Frisur ist.

BRIGITTE Woman: Als Stewardess haben Sie immer auf Ihr Äußeres geachtet. Schminken Sie sich auch jetzt jeden Tag?

Sylvia Abon: Jeden Morgen, das habe ich immer so gemacht. Ohne meinen Eyeliner und mein Lipgloss verlasse ich nicht das Haus. Sogar nach der Operation habe ich Lipgloss aufgetragen, bevor der Chefarzt zur Visite kam. Und Eyeliner macht viel aus, wenn man keine Wimpern hat. Um solche Tricks zu lernen, habe ich ein Schminkseminar für Brustkrebs-Patientinnen besucht. Ich wollte gern mit anderen Betroffenen in Kontakt kommen und Neues ausprobieren. Das war sehr bereichernd. Und es war lustig, als alle so kahlköpfig dasaßen!

BRIGITTE Woman: Gab es einen absoluten Tiefpunkt in den vergangenen Monaten?

Sylvia Abon: Die Zeit nach der letzten Chemo. Da ging mir alles nicht schnell genug, und ich wurde ungeduldig. Nach einem Monat hatte ich einen Chemokater mit starken Muskelschmerzen. Ich habe mich richtig mies gefühlt. Natürlich war mir klar, dass mein Körper Zeit braucht, um sich zu erholen. Aber ich hatte nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Auch bis die Haare nachwachsen. Ich hatte mir vorgestellt, nach ein paar Wochen habe ich wieder eine Löwenmähne. Weit gefehlt! Mir sind jetzt noch die Augenbrauen ausgegangen und alle Wimpern. Gerade heute habe ich die letzte lange Wimper gezogen. Aber unten drunter sind schon die neuen.

BRIGITTE Woman: Wie ist Ihr Freund damit umgegangen?

Sylvia Abon: Er hat mir sehr viel Halt gegeben. Die ersten Nächte mit Glatze habe ich mit einer Mütze geschlafen, weil mir kalt war. Irgendwann wurde ich wach, weil er sie mir abgenommen hatte und meinen Kopf gestreichelt hat. Obwohl wir zum Zeitpunkt der Diagnose erst eineinhalb Jahre zusammen waren, haben wir diese Probe bestanden. Aber wir haben die Krankheit auch nie als schlimme Krise empfunden. Es gab trotzdem viele krebsfreie Zeiten in unserer Beziehung. Wir haben oft zusammen gelacht, und ich konnte ihm auch zur Seite stehen, wenn er beruflich Ärger hatte.

BRIGITTE Woman: Hatten Sie Hemmungen, sich vor ihm auszuziehen?

Sylvia Abon: Ich habe es nicht bewusst vermieden, aber ich habe mich ihm auch nicht als sexy-hexy präsentiert. Wir sind da ganz ehrlich miteinander und haben auch darüber gesprochen. Trotzdem stehen wir im Bad nackt nebeneinander und freuen uns darüber, wie gut meine Brust verheilt ist. Also nicht Augen zu und durch, sondern eher Augen auf.

BRIGITTE Woman: Hatten Sie Scheu, sich gegenseitig anzufassen oder intim miteinander zu werden?

Sylvia Abon: Ehrlich gesagt, wir sind uns ganz nah, aber nicht sexuell im Augenblick. Ich habe zur Zeit einfach keine Lust. Vielleicht sind daran die Hormone schuld, vielleicht hat es auch mit den Haaren zu tun. Ich bin froh, dass ich einen sehr verständnisvollen Partner habe, der mich nicht drängt.

BRIGITTE Woman: Außer Ihrem Freund und Ihren Eltern hat auch Ihre 14-jährige Tochter Sie ganz intensiv in dieser Zeit begleitet. Hat Ihre Krankheit ihr Erwachsenwerden beschleunigt?

Sylvia Abon: Sie ist mit Sicherheit selbständiger, verantwortungsbewusster und ein ganzes Stück reifer geworden. Gleich nach der Diagnose musste ich ihr versprechen, dass wir ganz ehrlich miteinander sind. Sie war dann schnell wieder sehr gefasst. Nur während der Chemotherapie distanzierte sie sich etwas von mir. "Du riechst nach Chemie!", sagte sie. Das stimmte. Ich habe das auch nicht persönlich genommen, sie wollte mir ja nicht weh tun.

BRIGITTE Woman: Welchen Stellenwert hat Ihr Aussehen heute für Sie? Was hat sich durch die Krankheit verändert?

Sylvia Abon: Äußerlichkeiten haben eine andere Bedeutung bekommen. Ich habe gemerkt, dass ich nicht immer gut aussehen muss, um angeguckt zu werden, um Anerkennung und Komplimente zu bekommen. Eine positive Ausstrahlung ist noch wichtiger als Eyeliner. Und die Therapie ist erst einmal wichtiger, als gut auszusehen. Mein Leben war vorher schon schön und in Ordnung. Jetzt ist es bewusster geworden.

Fotos: Bettina Lewin Visagistin: Serena Goldenbaum Produktion: Merle Rebentisch Interview: Monika Murphy-Witt

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