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"Einzelverfahren bringen Nichts"

Zur Behandlung von Fibromyalgie hat die Deutsche Klinik für Naturheilkunde und Präventivmedizin in Püttlingen/Saar ein ganzheitliches Konzept entwickelt. Was dazu gehört, erklärt Chefarzt Michael Stimpel.

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BRIGITTE WOMAN: Warum suchen FMS-Kranke oft so lange nach der richtigen Behandlung?

Prof. Michael Stimpel: In vielen Praxen und Kliniken wird Fibromyalgie körperlich behandelt, oder man steckt die Patientinnen ausschließlich in die Psycho-Kiste. Deswegen schlagen die meisten Reha-Behandlungen oder Aufenthalte in psychosomatischen Kliniken fehl.

BRIGITTE WOMAN: Was machen Sie in der Deutschen Klinik für Naturheilkunde und Präventivmedizin anders?

Prof. Michael Stimpel: Wir setzen eine naturheilkundlich orientierte multimodale Therapie mit Fachpersonal aus verschiedenen Disziplinen ein. Dieses Konzept entspricht im Wesentlichen den Empfehlungen der rheumatologischen Fachgesellschaften. Aber es gibt bisher kaum Kliniken, die es anwenden, weil es personal- und kostenintensiv ist. Dabei ist es wichtig, FMS-Patienten ganzheitlich zu behandeln, das heißt, Körper, Psyche und soziale Probleme zu beachten. Denn wer ständig Schmerzen hat, leidet häufig auch an Ängsten oder isoliert sich im sozialen Bereich. Das alles produziert Dauerstress, der wiederum Schmerzen begünstigt, die Verdauung, den Schlaf und die Regeneration beeinträchtigt. Ein Teufelskreis.

BRIGITTE WOMAN: Warum helfen Naturheilverfahren besser bei Fibromyalgie als die Schulmedizin?

Prof. Michael Stimpel: Wir behaupten nicht, dass wir allein durch Naturheilverfahren Patienten heilen. Aber wir haben in unserer Einrichtung eine Antwort auf die Vielschichtigkeit des Krankheitsbilds gefunden. Wichtig ist dabei die Salutogenese, das heißt die Aktivierung der Selbstheilungskräfte, ein Grundprinzip der Naturheilkunde. Bausteine der klassischen Naturheilkunde sind zudem Bewegung, Ernährung und Entspannung. Bei FMS vermitteln wir außerdem Methoden und Techniken zur Schmerzkontrolle. Dagegen gibt es bei uns kaum passive Therapien wie Moorbäder oder Fango. Denn wenn der Patient erst einmal in Bewegung kommt, verbessert sich vieles automatisch: die chronische Erschöpfung, Schlafstörungen oder das permanente Gefühl der Ausweglosigkeit.

BRIGITTE WOMAN: Wie gehen Sie genau vor?

Prof. Michael Stimpel: Damit ein Patient wieder in Bewegung kommt, muss er weitgehend schmerzfrei sein. Daran arbeiten wir als Akutklinik zu Beginn des stationären Aufenthaltes. Wenn möglich, verzichten wir auf synthetische Schmerzmedikamente zugunsten von pflanzlichen Arzneimitteln und Verfahren wie Akupunktur, Osteopathie, Elektrotherapie (TENS), Blut-egel-Therapie und Eisabreibungen. Gelegentlich sind auch Antidepressiva hilfreich. Physiotherapeuten korrigieren Fehlhaltungen, zeigen dem Patienten Übungen, damit er seine Beweglichkeit steigern kann. Aber ich betone es nochmals: Es gibt kein Einzelverfahren, das bei dieser komplexen Krankheit helfen kann. Nur ein koordiniertes Zusammenspiel verschiedener Verfahren hilft - und dies fachübergreifend.

BRIGITTE WOMAN: Wie lernt eine Patientin in Ihrer Klinik, ihren Alltag neu zu gestalten?

Prof. Michael Stimpel: Während ihres Aufenthalts bei uns wird sie von einem Ordnungstherapeuten "gecoacht". Dieser naturheilkundlich geschulte Verhaltenstherapeut bespricht mit ihr ihr Schmerz- und allgemeines Gesundheitsverhalten. Dann erarbeitet er gemeinsam mit ihr ein für den Alltag taugliches Konzept.

BRIGITTE WOMAN: Wie erkennen Sie, was dem Einzelnen hilft?

Prof. Michael Stimpel: Vier Menschen sehen mehr als einer: der Arzt, der Physiotherapeut, der Ordnungs- bzw. Verhaltenstherapeut und die Pflegekräfte. Daraus ergibt sich ein komplexes Bild des Betroffenen. Spielt die körperliche Ebene eine größere Rolle, oder sind es eher soziale Konflikte? Welche Fehlstellungen hat jemand durch permanente Schonung? Oder müssen wir mehr an der Entspannung arbeiten, weil dieser Mensch sich permanent auspowert, in der Hoffnung, den Schmerz so zu überwinden? Je nachdem stimmen wir die Therapie ab.

BRIGITTE WOMAN: Welche Probleme haben Fibromyalgie-Kranke in ihrem sozialen Umfeld, in der Familie?

Prof. Michael Stimpel: Manchmal reagieren die Angehörigen ebenso wie viele Ärzte und nehmen sie nicht mehr ernst. Oder die Familie bedauert den Betroffenen ständig und nimmt ihm alles ab. Viele finden eine Anlaufstelle in Selbsthilfegruppen, die aber meiner Ansicht nach wenig hilfreich sind, wenn nur gejammert wird.

BRIGITTE WOMAN: Wie können Familie oder Freunde helfen?

Prof. Michael Stimpel: Sie müssen mehr über das Krankheitsbild wissen. Und begreifen, dass das eigene Schmerzempfinden nicht identisch ist mit dem eines anderen Menschen. Der eine kann auf Nägeln gehen, der andere schreit, wenn man ihn nur leicht berührt.

BRIGITTE WOMAN: Lässt sich Fibromyalgie auch ohne Klinikaufenthalt gut behandeln?

Prof. Michael Stimpel: Zum Hausarzt, zum Rheumatologen, zum Orthopäden, dann zum Heilpraktiker - das mag gelegentlich in leichten Fällen etwas bringen, meistens jedoch nicht. Auch spezielle Schmerzambulanzen sind überwiegend eher auf kurzfristige Hilfe ausgerichtet als auf komplexe Betreuung. Was der Patient braucht, ist ein stationäres "Intensivtraining" durch ein erfahrenes interdisziplinäres Team, das die Behandlung individuell auf ihn abstimmt und ihn aktiv und eigenverantwortlich in die Therapie einbezieht. Solche Voraussetzungen sind bislang nur an sehr wenigen Kliniken gegeben.

Interview: Susanne Rytina Foto: Privat

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