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Warum Angehörige von Demenzkranken auch mal wütend sein müssen - ein Gespräch

Warum Angehörige von Demenzkranken auch mal wütend sein müssen - ein Gespräch
© antfoto /istockphoto.com
Wer Demenzkranke pflegt, fühlt sich oft allein. Deshalb führt für Angehörige fast kein Weg an Selbsthilfegruppen vorbei, sagt die Diplom-Psychologin Christa Matter. Ein Gepräch über den Umgang mit dem Vergessen.

BRIGITTE WOMAN: Frau Matter, wie können Selbsthilfegruppen Angehörige von Demenzkranken unterstützen? Reicht es nicht, zu einer Beratungsstelle zu gehen?

Christa Matter: Für erste Informationen ist eine Beratungsstelle immer richtig und wichtig. Eine gute Beratung kann die Kompetenzen der Angehörigen in der Versorgung der Kranken erweitern und ihre Belastung vermindern. In Selbsthilfegruppen treffen sich pflegende Angehörige, um über ihre Lebenssituation zu sprechen, um sich gegenseitig zu entlasten und zu unterstützen. Ziel ist es, Angehörige in die Lage zu versetzen, Probleme selbst zu regeln und zu lösen.

Man könnte sich doch auch von Freunden ermutigen lassen.

Sicher, aber die Gruppe ist ein Ort, an dem man nicht viel erklären muss. Man sucht hier eher eine Wertschätzung für Entscheidungen, die man allein treffen muss. Die eine pflegt vielleicht sehr lange zu Hause, eine andere sagt, ich kann das nicht, ich suche ein Heim. Im Freundeskreis gibt es bei solchen Gesprächen oft Unverständnis oder viele Fragen. In der Gruppe wird bewusst gemacht, was die Pflegenden leisten und dass jede Entscheidung ihre Berechtigung hat.

Was sind die häufigsten Konflikte für Angehörige?

Am Anfang ist es das Gefühl, etwas nicht richtig zu machen. Viele haben auch ein schlechtes Gewissen, wenn sie etwas für sich tun möchten. Daraus folgt sehr oft ein sozialer Rückzug, weil Zeit und Kraft fehlen, um Kontakte zu pflegen. Ebenfalls problematisch sind Situationen, in denen die Kranken ihre Partner nicht mehr erkennen oder aggressiv werden.

Christa Matter
Die Diplom-Psychologin moderiert Selbsthilfegruppen für Angehörige von Demenzkranken und ist Geschäftsführerin der Alzheimer-Gesellschaft Berlin
© privat

Und was ist mit Aggressionen bei den Angehörigen?

Wer sich ständig nur als Pflegenden oder Aufsichtsperson sieht, fühlt sich oft zermürbt. Dann reagiert man leichter mit Ärger und Wut und schämt sich gleich dafür. Neulich berichtete eine Frau, dass sie die Tür schließen musste, weil sie ihren Mann nicht mehr sehen konnte. So etwas muss erlaubt sein, und solche Gedanken muss man auch mal herauslassen.

Die Mehrzahl der Kranken wird zu Hause privat gepflegt. Wo gibt es bezahlbare Hilfen?

Diese Krankheit kostet oft sehr viel Geld. Seit das Motto in der Pflege "ambulant vor stationär" heißt, wird versucht, bezahlbare Entlastungsangebote zu schaffen. Viele wissen aber nicht, was vor Ort angeboten wird. Auf jeden Fall sollten Angehörige bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft fragen. Dort bekommen sie Kontaktadressen für regionale Beratungsstellen und Gruppen.

Sie moderieren Selbsthilfegruppen. Was haben Sie von den Teilnehmern gelernt?

Fast alles. Heute werden in jeder professionellen Beratung bestimmte Verhaltensweisen für den Umgang mit Demenzkranken empfohlen, zum Beispiel: kurze Sätze sprechen, langsam reden, nicht zu viele Informationen auf einmal geben. Das haben alles die Angehörigen zuerst im Alltag erfolgreich ausprobiert. Mir ist es sehr wichtig, ihnen bewusst zu machen, was sie als Pflegende leisten, nicht nur zu Hause, sondern in dem ganzen System. Und ich möchte ihnen meine Anerkennung für ihre tagtäglichen Leistungen entgegenbringen.

Mehr Informationen

Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V., Selbsthilfe Demenz, Friedrichstraße 236, 10969 Berlin, Tel. 030/25937950, info@deutsche-alzheimer.de, www.deutsche-alzheimer.de

Alzheimer Telefon: 01803/171017 (Mo.-Do. 9 bis 18 Uhr, Fr. 9 bis 15 Uhr; 9 Cent/Minute aus dem Festnetz)

Zum Weiterlesen

  • "Demenz - Leben mit dem Vergessen: Diagnose, Betreuung, Pflege" von Birgit Frohn und Swen Staack (190 S., 14,95 Euro, Mankau 2012)
  • "Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand" von Jörn Klare (250 S., 17,95 Euro, Suhrkamp 2012)
  • "Demenz. Der Ratgeber für Patienten und Angehörige" von Frank Schneider (192 S., 16,99 Euro, Herbig 2012)
  • "Verwehte Erinnerung. Demenz-Patienten verstehen und begleiten" von Gabriele Vasak und Hemma Unterluggauer (151 S., 19,99 Euro, Molden 2013)
  • "Irgendwie kriegen wir das schon hin. Betroffene erzählen vom Pflegealltag in den Familien" von Elke Worg (268 S., 14,99 Euro, Pattloch 2013)
BRIGITTE woman 02/2014

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