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Die Zeit danach Brustkrebs: Wie geht es nach der Heilung weiter?

Gibt es eine Heilung von Brustkrebs? Vera Sandberg erlebt das zweite Jahr nach dieser Diagnose. Ob die Krankheit wiederkommt, weiß niemand.
Die Zeit danach: Brustkrebs: Wie geht es nach der Heilung weiter?
© Squaredpixels/istockphoto.com

Wenn mich heute jemand fragt, wie es mir geht, ist es mir immer ein bisschen unangenehm. Ja, wie geht es mir? Fast zwei Jahre nach der Krebsdiagnose? Die schnelle, einfache Antwort lautet: Es geht mir gut. Unbefangen kann ich nicht mehr antworten. Ich rechne immer mit einer Erwartung des Fragenden. Und das tut weh. Natürlich wollen die Mitmenschen, dass es mir gutgeht. Sie freuen sich, dass ich so gut damit fertig geworden bin. Aber sie forschen ein bisschen tiefer in meiner Mimik als früher, schweigen einen kleinen Augenblick länger, ehe sie zu einem anderen Thema übergehen.

Manchmal, wenn ich müde bin und resigniert, sage ich: Ich weiß es nicht. Und das ist die ganze Wahrheit. Denn ich müsste sagen: Die Bestrahlungsfolgen sind noch nicht ganz abgeklungen. Ab und zu leichte, ziehende Schmerzen, die erinnern. Aber die brauche ich nicht. Der Krebs ist jeden Tag präsent. Alles ist anders. Mein Tod vorstellbar geworden.

Es hat sich gewehrt, das ganze Ich.

Auch wenn die Krankheit mich lange in Ruhe lässt: Mein Körper neigt dazu, also wird er sich auf diese Weise verabschieden. Das muss nicht eher sein als bei noch Gesunden. Nein, ich denke nicht, dass ich bald verschwunden sein werde im Universum und als Sternenstaub meiner letzten Liebe nachsegle. Ich kann auch alles machen. Sport, tanzen, lieben, enge Pullis anziehen, Wein trinken. Ich habe den befürchteten Altersschub nicht erlebt. Das Elend des Körpers hat meine Seelenkräfte mobilisiert. Es hat sich gewehrt, das ganze Ich.

Nach der Heilung von Brustkrebs bin ich dankbar

Ich bin dankbar für das, was ich kann. Ich kenne mich, meine Kraft nun besser. Worum ich immer bemüht war: Liebe dich selbst... das ganze Psychoprogramm zum Zufriedensein - mit dem Krebs ist es wie von selbst gestartet. Ich verehre meine Heilkräfte, ich genieße mein Denken und Fühlen. Weil: Ich bin da. Nach ganz großer Gefahr. Weitgehend unversehrt. Eine Überlebende. Ich vergesse nicht. Jeden einzelnen Tag überlebe ich die vorhersehbare Katastrophe. Denn: Brustkrebs ist eine systemische und chronische Krankheit. Der Tumor, den sie mir herausgeschnitten haben, war nur das Symptom. Die Krankheit selbst kann man nicht operieren. Mit der muss man leben.

Heute versteht BRIGITTE WOMAN-Autorin Vera Sandberg ihre Krankheit als Teil ihrer Biografie. Sie hat ein bewegendes Buch über ihre Erfahrungen geschrieben: "Krebs. Und alles ist anders", BRIGITTE-Buch im Diana-Verlag, 16,90 Euro (z.B. über

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Wenn ich also Kekse esse, denke ich: Macht nichts, du isst ja sonst genug Salat. Wenn ich jogge, denke ich: Gut, das hilft dir. Wenn ich liebe, denke ich: Wie wunderbar, dass das noch geht. Wenn ich das Abschieds-Lied von Marianne Rosenbergs Jazz-CD höre, dann weine ich. "Wenn ick jeh...", singt sie. Unsentimental und stolz und berlinerisch.

Alle Gefühle haben eine andere Farbe bekommen. Dominierend ist Dankbarkeit. Neu ist Bescheidenheit. Ein bisschen Scham ist dabei, dass es andere viel schwerer getroffen hat, dass ich glimpflich davongekommen bin. Allgegenwärtig ist Angst. Nicht Panik, es ist wie eine leise Endlosmelodie. Jeden Abend muss ich eine Pille schlucken. Jeden Abend die Erinnerung. Fünf Jahre lang. Ich nehme sie auf Verdacht. Es gibt Erfahrungswerte, dass Frauen, die sie nehmen, seltener Rückfälle erleiden. Also her mit der erhöhten Wahrscheinlichkeit, verschont zu werden.

Ich war das halb volle Glas

Genau wie die Bestrahlung im vorletzten Herbst. Keiner wusste, ob es bei mir nötig war. Es sollte die Sicherheit erhöhen, um ein paar Prozentpunkte. Acht Wochen jeden Abend in die Klinik, barbusig unter die Strahlenkanone. Und denken: Gott sei Dank brauchst du keine Chemo. Gott sei Dank bist du nicht die Frau in der Nachbarkabine, kahlköpfig, auf schwankenden Beinen. Ihr Fahrer wartete immer draußen mit der Handtasche. Ich kam selbst gefahren. Ich konnte alles. Außer sicher zu sein, gesund zu sein.

Die OP selbst war nicht schlimm. Aufwachen aus der Narkose, eine Freundin am Bett. Blumen auf dem Tisch, ein paar Schläuche an der Wunde. Kein Appetit. Jeden Tag ein bissel stärker werden, Besuch, mal was essen. Am fünften Tag Entlassung. Zurück im Alltag. Dünne Haut, raue Seele. Ja, es geht mir gut. Weil ich jetzt keinen Krebs habe. Die Ärztin sagt mir alle drei Monate bei der Kontrolle: Du bist gesund. Die Wahrscheinlichkeit, dass er wiederkommt, ist sehr gering.

Ach, ich bin schlecht im Verdrängen. Was ist besser: Sich dumm stellen und sagen, ich bin gesund, da kommt nichts mehr? Oder sich den Tatsachen stellen und sagen, ich weiß nicht, keiner weiß es genau? Ich muss damit leben, was war und was sein wird. Ich sah mich immer als die mit dem halb vollen Glas. Bis zum 13. Juli 2007 habe ich das gedacht.

Krebs, das hatte mein Stiefvater, mein Onkel, zwei Freundinnen. Ich doch nicht! Dann kam der Anruf, am Freitag, dem 13. Ich hatte die Ärztin gebeten; sonst erfährt man so was nicht am Telefon. Aber ich war sicher, dass sie Entwarnung geben würde, nachdem ein Knoten in der rechten Brust näher untersucht worden war. Ich wollte pünktlich auf eine Dienstreise gehen. Hatte keine Sekunde geglaubt, dass es mich erwischt hat.

Heute wundere ich mich sehr darüber. Unwissenheit? Selbstüberschätzung? Irgend so etwas. Denn das Erste, was ich neben der Panik spürte, war Kränkung. Weil mein Körper mich im Stich ließ. Dass nichts Höheres mich trägt, retten kann. Jetzt ging es um Zellhaufen, nicht um die schöne Seele. Nicht um Fähigkeiten, Persönlichkeit - nur um die Existenz. Ein erschreckendes Erlebnis für eine wohlbehütete Mitteleuropäerin in mittleren Jahren, die auf ein soweit zufriedenes Dasein zurückblicken und ein ebensolches erwarten kann. Alle Sicherheit war futsch. Nirgendwo Halt.

Musste ich fallen, um aufgefangen zu werden?

Und da kam Hilfe. Unerwartet. Menschen schlossen sich um mich zusammen, waren für mich da. Auch der Mann an meiner Seite; er lachte mit mir, wann immer es ging. Alles, was ich mir gewünscht hatte, aufgehoben, geschätzt und geliebt sein: Das bekam ich nun. Als Kranke. Konnten sie es jetzt erst zeigen? Konnte ich es jetzt erst sehen? Annehmen? Zulassen?

Ich bin nach dem Schock reicher geworden. Es ist eine neue, andere Sicherheit gewachsen. Unsterblich, unversehrt, das bin ich nicht. Aber allein, das bin ich auch nicht. Gerade in dem Augenblick, als meine Leistungsfähigkeit und meine Attraktivität - auf beides war ich immer stolz - auf einen Tiefpunkt gesunken waren, fanden mich Liebe, Freundschaft und Solidarität.

Musste ich fallen, um aufgefangen zu werden? Angreifbar sein, um Schutz zu bekommen? All das. Blitzartig war Einbildung zu unterscheiden vom wahren Wesen. Der Krebs war die Einladung, mehr ich zu werden; die Erlaubnis, mich zuzulassen, der Hilferuf in die Welt. Und sie hat geholfen. Tolle Ärzte kenne ich nun, meine Freundinnen haben die Probe mehr als bestanden, mein Gefährte ist nähergerückt, mein Arbeitsumfeld blieb stabil. Mehr, als ich erwarten konnte.

Und darum geht es mir überwiegend gut, falls mal wieder jemand in meinem Gesicht nach Trauer und Furcht forschen sollte. Ich bin tatsächlich die mit dem halb vollen Glas. Nur, es ist etwas anderes drin, als ich einmal gedacht hatte.

Text: Vera Sandberg Foto: Mathias the dread/Photocase

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