BRIGITTE WOMAN: Angst hat jeder Mensch mal. Ab wann ist sie krankhaft?
Katharina Domschke: Wenn Menschen in ihrem Beruf und ihrem Privatleben durch die Angst massiv beeinträchtigt sind. Wenn zum Beispiel eine Tierpflegerin aus Angst vor Spinnen in keinen Käfig mehr geht, weil es dort welche geben könnte.
Wie entstehen solche Angststörungen?
Aus Zwillingsstudien wissen wir, dass die genetische Disposition dafür 30 bis 60 Prozent ausmacht. Es gibt regelrechte Angstfamilien. Die Neigung zum Grübeln wird ebenfalls vererbt. Aber auch Umweltfaktoren sind wesentlich, wie chronischer und akuter Stress. Manche Menschen entwickeln eine Panikstörung nach ihrer Hochzeit, der Geburt des ersten Kindes oder einer Beförderung. Solche Ereignisse setzen Menschen unter Druck. Außerdem fördern Denkmuster, die in der Familie erlernt sein können, die Entwicklung krankhafter Angst.
Sind Frauen grundsätzlich ängstlicher als Männer?
Frauen haben zwei- bis dreimal häufiger Angststörungen als Männer. Zu den Gründen existieren verschiedene Theorien. So gibt es Gene, die nur bei Frauen mit Angst assoziiert sind. Eines liegt auf dem X-Chromosom, ein anderes interagiert mit Hormonen. Die Forschung ist hier noch ganz am Anfang. Entwicklungsgeschichtlich haben Frauen andere Denkstile, Männer mussten immer mutiger sein; das kann sich auch in der Anfälligkeit für Angststörungen bemerkbar machen. Nicht zuletzt geht man davon aus, dass die Dunkelziffer bei Männern hoch ist.
Sind Menschen mit Angststörungen von Natur aus besonders ängstlich?
Nein. Gerade Patienten mit einer Panikstörung bewältigen ihr Leben meistens sehr gut, sie sind äußerst diszipliniert, überfordern sich allerdings leicht. Auch Menschen mit spezifischen Ängsten sind nicht unbedingt furchtsamer als andere.
Wie werden Angststörungen behandelt?
Bei spezifischen Phobien hilft kognitive Verhaltenstherapie. Dabei nähert man sich etwa der Spinne so oft, bis man sich an sie gewöhnt hat. Alle anderen krankhaften Ängste werden am erfolgreichsten mit Psychotherapie und Medikamenten behandelt. Zum Beispiel mit den sogenannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, die auch Depressiven helfen. Solche Medikamente können zunächst nervös machen. Diese Nebenwirkung verschwindet mit der Zeit aber wieder.
Wie sich Angststörungen bemerkbar machen
Angsterkrankungen sind die häufigsten psychischen Störungen in Europa. 14 Prozent der Menschen sind mindestens einmal im Leben davon betroffen. Fachleute unterscheiden fünf verschiedene Typen.
Ängste vor Dingen, vor denen man normalerweise wenig oder keine Angst haben sollte, wie Spinnen oder Katzen, aber auch vor Höhe, Blut, Keimen, tiefem Wasser. Sie sind sehr verbreitet, beeinträchtigen die Lebensqualität jedoch nicht, sofern man dem Auslöser ausweichen kann.
Die Angst, im Mittelpunkt zu stehen, von anderen negativ bewertet zu werden. Sie äußert sich in Herzrasen, Schwitzen, Erröten und trifft auch erfolgreiche, gut aussehende, redegewandte Menschen.
Angst vor Menschenmengen und Situationen, aus denen man nicht so schnell wegkann. Betroffene befürchten in diesen Momenten einen Panikanfall, einen Herzinfarkt oder Luftnot. Zwei Drittel der Panikpatienten leiden auch darunter.
Eine Panikattacke geht mit starker Angst einher, oft außerdem mit Atemnot, Herzrasen, Zittern, Schwindel. Sie tritt typischerweise ohne Anlass, wie "aus heiterem Himmel", auf. Die körperlichen Symptome werden von Betroffenen falsch interpretiert: Sie glauben zu sterben. Eine laufende Studie deutet darauf hin, dass diese Patienten ihren Körper besonders sensibel wahrnehmen und zum Beispiel schneller als Gesunde eine Veränderung des Herzschlags spüren. Wichtig ist, eine Überfunktion der Schilddrüse oder eine Herzkrankheit auszuschließen; beides kann ähnliche Symptome haben.
Betroffene machen sich permanent Sorgen, vornehmlich um Angehörige, und können dieses Gefühl kaum kontrollieren. Sie haben ständig Angst und wissen manchmal gar nicht, wovor. Körperliche Symptome sind Ruhelosigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen, Reizbarkeit, Verspannungen. Meist dauert es Jahre, bis diese Angststörung diagnostiziert wird.
"Angsterkrankungen - wenn die Angst plötzlich krank macht", Broschüre des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen. Zum kostenlosen Download geht es hier. Zum Weiterlesen: "Das Mädchen im rosafarbenen Kleid" von Susanne Seethaler (144 S., 12,99 Euro, Nymphenburger 2013)