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Nie mehr verspannt

Myoreflex: Nie mehr verspannt
© Seasontime / Shutterstock
Rückenschmerzen, immer wieder Rückenschmerzen: Gibt es denn gar kein Mittel, sie endgültig loszuwerden? BRIGITTE WOMAN-Autorin Regina Kramer hat die Myoreflex-Therapie geholfen.

Ich kann ein Lied singen. Das Lied handelt vom Rückenschmerz, ich singe es alle Jahre wieder. Seit zwei Wochen hat das Lied eine neue Strophe: In meinem rechten Bein sticht es wie verrückt, die Zehen am rechten Fuß sind taub. Mein Orthopäde diagnostiziert einen leichten Bandscheibenvorfall und verschreibt Schmerztabletten. Danach habe ich Krämpfe - im Magen. Da lese ich zufällig einen schönen Satz: "Um zur Wahrheit zu gelangen, muss man sich wenigstens einmal im Leben entschließen, alles zu bezweifeln - soweit dies möglich ist." Ich bezweifle, dass die klassische Behandlung die einzig mögliche ist. Und ich bezweifle, dass der Philosoph René Descartes, von dem der Satz stammt, dabei an Bandscheiben gedacht hat.

Eine Woche später bin ich in einer Praxis in Berlin-Kreuzberg. Dr. Christine Baumeister, Internistin und Myoreflex-Therapeutin, drückt mit dem Finger auf verschiedene Stellen an meinen Beinen und Füßen. Das tut manchmal ein bisschen weh, manchmal kribbelt es nur. Allerdings nicht unbedingt da, wo sie mich behandelt. Dann tastet sie am Becken und unter den Rippen. "Suchen Sie etwas Bestimmtes?", frage ich. Sie sucht und findet den "IIiopsoas", einen kräftigen Muskel im Becken, der unter anderem die Wirbelsäule führt, zentriert und hält. Ich verstehe zwar nicht, was sie da tut, aber meinem Körper gefällt es. Nach der zweiten Behandlung kann ich wieder auf den Zehenspitzen des rechten Fußes stehen. Bei der fünften Behandlung denke ich auf einmal an ein Foto von mir als kleines Mädchen. Darauf stehe ich in einer Körperhaltung, wie ich sie heute noch habe. Nach der siebten Behandlung laufe ich (fast) wieder wie geschmiert.

Die Myoreflex-Therapie integriert Anatomie und Neuropsychologie

Mit Wunderheilung hat das nichts zu tun. Die Myoreflex-Therapie ("myo" kommt von dem griechischen Wort für Muskel) beschäftigt sich mit dem Muskelsystem, dessen Steuerung durch das zentrale Nervensystem und mit der Biomechanik des Bewegungsapparates. Dabei integriert diese spezielle Form von Therapie unter anderem Kenntnisse aus der Anatomie, der Neurophysiologie und -psychologie und der modernen Hirnforschung sowie Erfahrungen aus der Traditionellen Chinesischen Medizin und der Feldenkrais-Methode.

Auf Dauer wird die vermeintliche Lösung zum neuen Problem.

Muskeln brauchen wir zum Atmen und Lachen und Lieben und Laufen. Also in etwa für alles. Normalerweise machen wir uns keine Gedanken über ihre Arbeit. Wir spüren sie erst, wenn sie einen Kater haben oder wenn sie durch Verletzungen oder einseitige Belastung geschädigt sind. Dann tun sie weh. Um den Schmerz loszuwerden, stellt der Organismus alles Mögliche an. Wem sich der Nacken beim Arbeiten am Computer verkrampft, der dreht zwischen zwei Mausklicks automatisch Kopf und Schultern hin und her, um die Muskulatur zu lockern. Als meiner Wade das Laufen zu viel wird, erfinde ich eine prima Alternative: Ich beginne zu hinken.

Schonhaltungen oder das Vermeiden bestimmter Bewegungen helfen gegen den Schmerz, jedenfalls kurzfristig. Auf Dauer aber wird die vermeintliche Lösung zum neuen Problem. Dann zieht es plötzlich statt in der linken Wade in der rechten Hüfte. Und zum verspannten Nacken, an den man sich schon gewöhnt hat, kommt der Kopfschmerz hinzu: Der Schmerz hat sich fortgepflanzt.

Ich hatte mit gymnastischen Übungen oder wenigstens mit ein bisschen Massage-Quälerei gerechnet. Aber auch in der zweiten Therapiestunde liege ich gemütlich auf dem Rücken, und die Ärztin drückt wieder auf bestimmte Punkte meiner Wade und des Iliopsoas-Muskels. Dann geht sie mir an den Hals. Sie drückt die führenden Muskelzüge des Atlas, das ist der erste Halswirbel, der den Kopf trägt und die ganze Wirbelsäule aufrichtet.

Es gibt Schmerzen, die fühlen sich gut an. Das Gute an diesem Schmerz ist, dass ich und meine Muskeln merken, wie sich die Anspannung mithilfe des Fingerdruckes von selbst auflöst. Das ist ein Gesetz aus der Biomechanik: Sensoren in der Muskulatur leiten Reize – hier den Fingerdruck – zum zentralen Nervensystem weiter; dort werden diese Reize verarbeitet, und es kommt zu einer Regulation der Muskeln: Sie entspannen sich von innen heraus. Für die Therapeutin fühlt sich das etwa so an, als hielte sie ihren Finger auf ein eben aus dem Kühlschrank genommenes Stück Butter, und dieses würde allmählich durch die Körperwärme schmelzen.

Ein Muskel arbeitet nie allein, bei Bewegungen wird immer eine Gruppe von Muskeln zur selben Zeit und in einer festgelegten Abfolge aktiviert. Wenn Sie vielleicht gerade jetzt zu einer Tasse Tee greifen, hat der Strecker (Ärzte sagen: der Musculus triceps brachii) den Löwenanteil der Arbeit zu leisten. Wenn Sie die Tasse zum Mund führen wollen, kommt der Beuger (der Musculus biceps brachii) zum Zuge. Wenn ein Muskel zieht, muss der Gegenspieler nachgeben. Auch weiter entfernt liegende Muskeln sind an komplexen Bewegungsabläufen beteiligt, Fachleute sprechen deshalb von Muskelketten. Wenn sich also ein Muskel innerhalb einer solchen Muskelkette lockert, hat dies einen positiven Einfluss auf alle anderen Glieder in der gesamten Muskelkette. Das kann mein Rücken bestätigen: Er wird entlastet, als meine Wade endlich den Krampf satthat.

In unserem Gehirn gibt es Programme für alle möglichen Bewegungsabläufe.

Wir bewegen uns so, wie wir es gelernt haben. In unserem Gehirn gibt es Programme für alle möglichen Bewegungsabläufe. Damit wir nicht täglich neu überlegen müssen, wie man Treppen steigt, sind diese Programme gespeichert und laufen ohne bewusste Kontrolle ab. Ein Skispringer zum Beispiel, der gerade zum Sprung ansetzt, kann nicht automatisch in die Bewegungsabläufe eines Federballspielers wechseln. "Skispringen" ist als Verhaltensmuster unbewusst programmiert.

Nervenzellen sind lernfähig und speichern auch neue Bewegungsmuster. Nach zwei Wochen Hinken kommt mir diese gestörte Gangart so selbstverständlich vor, dass ich nicht mehr weiß, wie richtiges Gehen funktioniert. Nach der dritten Myoreflex-Behandlung mache ich auf dem Nachhauseweg ein Experiment: Statt mit dem rechten hinke ich mit dem linken Bein. Ich will wissen, ob mein krankes Bein noch weiß, wie man richtig geht. Es funktioniert! Das Bein ist noch ein bisschen schwach, aber die Koordination von Fuß, Kniescheibe und Oberschenkel hat es noch nicht verlernt.

Dass ich auf diese etwas verrückte Idee komme, hat auch mit der Myoreflex-Therapie zu tun. Sie ist keine Methode, die Fehlerhaftes repariert, sondern eine Spürhilfe, die Menschen ihre eigene Körperhaltung wieder bewusst macht. Das geschieht nicht durch Worte, sondern die Therapeutin klinkt sich in das Kommunikationssystem der Muskeln ein: Wenn ein Muskel an seinem Ursprung oder Ansatz gedrückt wird, wird durch einen Reflex eine Aktivität dieses Muskels initiiert. Der Finger der Therapeutin simuliert also eine Bewegung, die der Organismus selbst nicht (mehr) leisten kann. Das Gehirn - das wissen Neurophysiologen - kann die ursprünglichen Bewegungsmuster und gesunden Spannungszustände vor der Verletzung oder Beeinträchtigung als Programm wieder abrufen und so Fehlhaltungen korrigieren.

Auch Erfahrungen von Angst oder Schrecken speichert der Körper. Um sich zu schützen, nimmt er, zum Beispiel, unbewusst eine geduckte Haltung ein. Hier kann die Myoreflex-Therapie ebenfalls helfen, dem Körper über die Selbstregulierung der natürlichen Funktionsfähigkeit der Muskeln ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben.

Was für ein Glück, so frei zu laufen!

Und warum habe ich mich plötzlich an ein Foto von mir als Kind erinnert? In der fünften Behandlungsstunde spüre ich auf einmal einen Druck in beiden Oberarmen, während Dr. Christine Baumeister meine Achillessehne stimuliert. Ich kenne diesen Druck in den Armen, weiß aber nicht, woher. Meine Sehne ist kräftig, meine Wade ziemlich entspannt, mein Rücken schmerzfrei, da schickt mir mein Gehirn ein Bild in den Sinn: Ich bin vier Jahre alt, habe einen Teddy im Arm und halte mit der rechten Hand mein linkes Ellbogengelenk fest. So kann der Teddy nicht runterrutschen. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich noch heute meine Arme beim Laufen oft so halte. Nur der Teddy fehlt. Die Vorstellung, dass man eine Körperhaltung ein Leben lang beibehält, ohne es zu merken, fasziniert mich. Unter diesem Aspekt schaue ich mir weitere Fotos von mir an. Und eines Tages lasse ich plötzlich die Arme los, die Schultern können sich entspannen. Mein Rücken streckt sich, ich atme tiefer und muss lachen. Was für ein Glück, so frei zu laufen!

Heilsame Synthese: die Myoreflex-Therapie

Entwickelt wurde die Myoreflex-Therapie Ende der 80er Jahre von Dr. Kurt Mosetter aus Gutach im Schwarzwald. Als Arzt hat er Studienreisen durch Europa, Indien und Nepal gemacht und die Erkenntnisse verschiedener Kulturen und Fachdisziplinen wie der Orthopädie, der Biochemie und Biokinematik und der Psychotraumatologie zusammengetragen. Inzwischen hat er weitere Ärztinnen und Ärzte ausgebildet. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten der Behandlung bisher nicht. Eine Behandlungseinheit kostet zwischen 35 und 65 Euro. Hilfreich ist die Therapie bei allen Beschwerden, die direkt von den Muskeln ausgehen, also bei Verspannungen im Bereich der Hals- oder Lendenwirbelsäule, bei Ischiasreizungen und Atembeschwerden, Sehnenscheidenentzündungen, Schwindel und Verspannungen in den Kiefergelenken. Sie wird außerdem angewendet bei Schädigungen, die auf Fehlbelastungen zurückgehen, wie Arthrose, Bandscheibenvorfälle und Skoliose. Gute Erfolge hat sie auch bei chronischen Verspannungen nach Unfällen oder anderen traumatischen Erlebnissen. Mehr Informationen und Adressen von Therapeuten unter www.myoreflex.de

Zum Weiterlesen: "Kraft in der Dehnung. Ein Praxisbuch bei Stress, Dauerbelastung und Trauma" von Kurt und Reiner Mosetter (160 S., 14,80 Euro, Walter Verlag)

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