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Mehr reden - gut für Seele und Körper

Wir sollten mehr reden - mit dem Arzt, dem Partner, der besten Freundin. Das macht zufriedener und gesünder. Auch Selbstgespräche helfen, Probleme zu lösen.

Eine Freundin, gutes Essen, Zeit. Einer dieser magischen Abende am Küchentisch, an denen wir ins Reden kommen. Über das Leben, gemeinsame Erinnerungen, die Zukunft, über das, wovon wir träumen. Wir sind berührt, einander nah. Ein wohliges Gefühl macht sich im Bauch breit, und es bleibt, wenn wir uns spät in der Nacht trennen. Gute Gespräche wirken nach, sind Flügel und Pflaster für die Seele. Doch die richtigen Worte helfen auch bei körperlichen Beschwerden.

Ein gutes Gespräch ist das mächtigste und sensibelste Instrument, das einem Arzt zur Verfügung steht. Diese Meinung vertrat bereits der amerikanische Psychiater George Engel Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Langsam setzt sich diese Erkenntnis in der modernen Medizin durch. An großen Fakultäten, etwa in Heidelberg und Berlin, werden Kommunikationstrainings angeboten, in denen junge Ärzte lernen, einfühlsam mit Patienten umzugehen und schlechte Nachrichten schonend zu überbringen.

Dem Patienten zuhören, ihn anschauen und ausreden lassen, Therapie und Diagnose verständlich erklären, bei schweren Erkrankungen nicht nur nach Beschwerden, sondern auch nach Gefühlen fragen - das sind simple Methoden, um eine Atmosphäre des Vertrauens herzustellen. "Patienten fühlen sich damit wohler und ernst genommen", sagt Dr. Johannes Ehrenthal, Psychologe an der Universitätsklinik Heidelberg. "Je mehr sie dem Arzt vertrauen, desto offener können sie sein." Was wiederum dem Mediziner die Arbeit erleichtert. Studien zeigten: Studenten erhoben nach dem Kommunikationstraining genauere Befunde als andere, die auf herkömmliche Weise ausgebildet wurden.

Das Gespräch mit dem Arzt hilft manchmal mehr als Medizin.

Das Gespräch mit dem Arzt kann für den Heilerfolg wichtiger sein als die verschriebene Medizin. Das wissen Experten aus der Placebo-Forschung. Medikamente und Therapien wirken besser, wenn die Ärzte selbst an deren Qualität glauben und ein gutes Verhältnis zu ihren Patienten haben. Forscher der amerikanischen University of Wisconsin fanden heraus, dass Patienten mit grippalen Infekten, die sich vom Arzt gut behandelt fühlten, im Schnitt einen Tag schneller wieder gesund wurden. Vertrauensvolle Kommunikation stärkt die Lebensqualität des Erkrankten sogar noch lange nach der Therapie, zeigten Wissenschaftler der Universitätsklinik Freiburg, die Patientinnen mit Brustkrebs und chronischen Rückenschmerzen befragten.

Doch nicht jeder Arzt beherrscht die Kunst der Zuwendung. Meist ist die Zeit knapp - 9,1 Minuten dauert eine durchschnittliche Konsultation. Nach im Schnitt 18 Sekunden werden die Patienten unterbrochen. Kurz darauf haben viele Ärzte ihre Diagnose bereits im Kopf und überhören Details, die dieser widersprechen. Wer gut und richtig behandelt werden möchte, sollte sich deshalb im Sprechzimmer von Anfang an Gehör verschaffen. Damit das Gespräch gelingt, sollten Patienten sich darauf vorbereiten, empfiehlt Psychologe Johannes Ehrenthal. Um schnell auf den Punkt zu kommen, sollten sie sich vorher alles notieren, was sie in der Praxis unbedingt sagen und wissen wollen. Wer trotzdem das Gefühl hat, nicht richtig zu Wort zu kommen, sollte dies ansprechen oder, wenn auch das nicht hilft, sich eventuell einen anderen Arzt suchen.

Nur der Patient ist Spezialist für sich selbst.

Die beste Voraussetzung für ein vertrauensvolles Gespräch mit seinem Arzt ist es, sich über sich selbst Gedanken zu machen. "Manche Menschen brauchen, wenn sie krank sind, viel Beruhigung. Sie haben schnell das Gefühl, man kümmere sich nicht genug um sie", sagt Johannes Ehrenthal. "Andere sprechen nicht gern über sich und ihre Befindlichkeiten. Damit machen sie es ihrem Gegenüber schwerer." Wer sich über seine eigenen Bedürfnisse im Klaren ist, kann diese besser artikulieren. So könne man, rät der Psychologe, zum Beispiel überlegen: Kann ich gut Hilfe annehmen? Werde ich besonders bedürftig, wenn ich krank bin? Möchte ich nur Tabletten nehmen und mich zurückziehen? Ärzten helfe es ungemein, wenn Kranke über ihre Wünsche und Erwartungen sprächen. "Ein Arzt ist zwar Experte auf seinem Fachgebiet, aber nur der Patient ist Spezialist für sich selbst." Wenn zwei sich auf Augenhöhe begegnen, ist die Chance größer, dass das Gespräch zu einem guten Ergebnis führt.

Wie heilsam es sein kann, Gehör zu finden, erlebt Kurt Fritzsche, Professor für Psychosomatik, jeden Tag. An der Freiburger Universitätsklinik steht er Kranken auf Wunsch mit Gesprächen bei. "Viele haben einen enormen Bedarf zu reden", sagt Kurt Fritzsche. Oft von Ängsten und schwarzen Gedanken, die sie ihren Liebsten nicht aufbürden mögen. "Dass jemand da ist, der aufnimmt und versteht, wirkt emotional entlastend", sagt Fritzsche. Untersuchungen weisen darauf hin, dass der Krankheitsverlauf davon positiv beeinflusst wird: Es treten weniger Komplikationen auf, und es werden weniger Schmerzmittel gebraucht. Kurt Fritzsche sieht sich als Brückenbauer, als Vermittler zwischen der Organmedizin und Menschen mit ihren Problemen. Ärzte verstehen durch ihn oft besser, was mit ihren Patienten los ist; Patienten fühlen sich sensibler von ihren Ärzten behandelt.

Unklare körperliche Beschwerden lassen sich nur durch intensive Gespräche abklären. "Dahinter stehen oft Gefühle, die der Betroffene verdrängt oder sich nicht erlaubt, etwa Angst, Wut, Eifersucht", sagt Helmut Albrecht, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin des Berliner Helios Klinikums Emil von Behring. Es gebe sogar Fälle, bei denen mehrere Familienmitglieder die gleichen Symptome entwickelten. In der Therapie geht es darum, sich Uneingestandenes bewusst und die Beschwerden so überflüssig zu machen. Gespräche sind dabei die wichtigste Methode. Dass Verdrängtes krank macht, ist der Grundgedanke der Psychoanalyse, die ihr Begründer Sigmund Freud "Redekur" nannte.

Auch Gesunde sollten mit Ärger nicht zu sehr hinter dem Berg halten. Amerikanische Forscher, die das Streitverhalten von Paaren analysiert haben, zeigten, dass Menschen, die über negative Gefühle sprechen können, zum Beispiel weniger gefährdet für Bluthochdruck sind.

Reden hilft, sogar wenn wir mit uns selbst sprechen. Selbstgespräche reduzieren nachweislich Stress und helfen, Probleme zu lösen - vor allem, wenn wir uns analytische Fragen stellen (beispielsweise "Was passiert eigentlich, wenn ich das so mache?"). Wer sein eigener Ratgeber ist, schärft sein Denken und gewinnt mehr Kontrolle über sich.

Jede zweite Frau zwischen 50 und 65 wünscht sich mehr gute Gespräche.

Generell ist der Mensch zufriedener, wenn er häufig mit anderen spricht, als wenn er seine Zeit allein verbringt. Ernsthafte Gespräche machen wiederum zufriedener als Smalltalk. Wir sind soziale Wesen mit einem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Bindung. Wir wollen uns mitteilen und ausdrücken, anderen nahebringen, was wir in unserem Innersten fühlen. Wir möchten, dass uns unsere Gesprächspartner widerspiegeln, wie wir sind.

Kein Wunder, dass Menschen mit intakter Familie, vielen Freunden und netten Kollegen im Durchschnitt gesünder sind als Einsamere. Wer ein Leben ohne enge Beziehungen führt, gefährdet seine Gesundheit ebenso, als wenn er täglich 15 Zigaretten rauchen würde, haben Forscher der Brigham Young University im amerikanischen Utah herausgefunden.

Noch vor 40 Jahren waren Partner und Familie diese wichtigsten Vertrauten. Damals galt: Privates trägt man nicht nach außen. "Heute stehen für viele die Freunde an erster Stelle", sagt der Berliner Psychotherapeut und Buchautor Wolfgang Krüger. Zwei Drittel der Frauen haben mindestens eine enge Freundin, der sie alles erzählen; nur ein Drittel der Männer hingegen hat einen besten Freund. "Wir gehen davon aus, dass Frauen auch deshalb länger leben, weil sie besser sozial eingebunden sind", sagt Wolfgang Krüger. Doch für das Miteinanderreden fehlt oft die Zeit. Jede zweite Frau zwischen 50 und 65 wünscht sich mehr gute Gespräche, wie das Hamburger Forsa-Institut in einer Umfrage ermittelte. Oft schicken wir schnell eine SMS oder E-Mail und verschieben das ausführliche Reden auf später.

Verbundenheit senkt unseren Stresshormon-Pegel und stärkt unser Immunsystem.

Zu einem guten Gespräch gehört auch unvoreingenommenes Zuhören. Sich auf andere zu konzentrieren, sie nicht dauernd zu unterbrechen und nicht nur von sich selbst zu sprechen ist die Voraussetzung dafür, sich gegenseitig vertrauensvoll zu öffnen. "Es ist schwer, eigene Gedanken und Emotionen zurückzuhalten", sagt Margarete Imhof, Professorin für Psychologie an der Universität Mainz. "Und gerade wenn wir Menschen zuhören, die wir sehr gut kennen, überhören wir besonders viel, weil wir schon vorher alles zu wissen glauben."

Oder wir sprechen eher über Alltägliches als über unsere Beziehung, Gefühle, Bedürfnisse und Fantasien. So wissen wir sogar über die Menschen, mit denen wir unser Leben teilen, oft zu wenig. Dabei sind Paare, die wirklich miteinander reden, nachweislich glücklicher und gesünder. Verbundenheit senkt nicht nur den Level der Stresshormone, sie stärkt auch das Immunsystem. Grund genug, miteinander im Gespräch zu bleiben. Sich dem anderen einfühlbar zu machen, wie es die Paartherapeutin Célia Maria Fatia aus Frankfurt nennt. "Paare werden so konflikt- und versöhnungsfähiger", sagt sie. "Das ist wie das Einüben von Liegestützen. Die seelischen Fähigkeiten wachsen genauso wie Muskeln."

Text: Natalie Rösner Ein Artikel aus der BRIGITTE WOMAN

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