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Kräuter-Medizin: Heilung aus dem Beet

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Krankheiten mit Heilkräutern zu behandeln hat Tradition. Seit dem Mittelalter wurden Pflanzen dafür in Klostergärten kultiviert. Wie funktioniert Kräuter-Medizin im 21. Jahrhundert?
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Chilis sind ihre Leidenschaft. Apache, Chocolate Cherry, Black Knight, Glocken- Chili - 15 verschiedene Capsicum-Arten hat Dr. Brigitte Weller-Boothe, 59, im Laufe der Jahre gesammelt. Die Ärztin für Innere Medizin und Naturheilverfahren aus Kamp-Lintfort ist eine begeisterte Gärtnerin. Die Nachtschattengewächse kultiviert sie in ihrem Kräutergarten, den sie auf dem Gelände des örtlichen Zisterzienserklosters, eingerahmt von alten Mauern, angelegt hat. Der Hauptwirkstoff der scharfen Schoten, das Capsaicin, fördert, äußerlich in Salben aufgetragen, die Durchblutung, lindert Schmerzen und Verspannungen. Dass Capsicum in traditionellen Kräutergärten nicht zu finden ist, stört die Expertin für Pflanzenheilkunde nicht. Erst Christoph Kolumbus brachte den Spanischen Pfeffer, das Gewürz der Ureinwohner Mittel- und Südamerikas, Ende des 15. Jahrhunderts nach Europa. Da hatte die Klostermedizin ihre Blütezeit bereits überschritten.

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Ihren Grundstein legte Benedikt von Nursia, Begründer des Benediktinerordens, im frühen 6. Jahrhundert. Einen Garten zu bestellen und Kranke mit Kräutern daraus zu heilen, postulierte er als Pflicht aller Mönche. Nachdem Karl der Große den Anbau von Heilpflanzen in seinen Krongütern anordnete, breitete sich das Wissen der Mönche aus. Die Klöster wurden zu Zentren der Heilkunde und des Kräuteranbaus - und zur Keimzelle der europäischen Gartenkultur. Neben dem Kreuzgarten, Abbild des Paradieses und Rückzugsort zur Meditation, gab es vielfältige Zier- und Nutzanpflanzungen innerhalb und außerhalb der Klostermauern, des "Klaustrums". Und stets sorgte ein Kräutergarten in unmittelbarer Nachbarschaft zur Krankenstation für Nachschub an Medizin.

Vorbild für diese Apothekergärten war die Anlage auf dem weltweit ältesten Bauplan für ein Kloster. Er wurde vermutlich im Jahr 825 von Mönchen auf der Insel Reichenau am Bodensee gezeichnet und wird seitdem in der Stiftsbibliothek St. Gallen aufbewahrt: zweimal vier gleich große rechteckige Beete nebeneinander, umgeben von weiteren 16 länglichen Beeten als Abgrenzung. 24 Beete mit jeweils einer Heilpflanze, um die Kräuter rein zu halten und Verwechslungen zu verhindern. Salbei, Wein- und Eberraute, Flaschenkürbis, Melone, Wermut, Andorn, Fenchel, Schwertlilie, Liebstöckel, Kerbel, Lilie, Schlafmohn, Muskatellersalbei, Frauenminze, Minze, Poleiminze, Sellerie, Betonie, Odermennig, Ambrosia, Katzenminze, Rettich und Rose. Das waren die traditionellen Pflanzen der Klostergärten. Der Reichenauer Abt Walahfrid Strabo beschrieb sie im Jahr 840 in seinem berühmten "Hortulus", dem "Buch über die Kultur der Gärten" (Liber de cultura hortorum), dem bedeutendsten botanischen Werk des Mittelalters.

"Ich habe mich bewusst gegen das Remake eines mittelalterlichen Klostergartens entschieden", sagt Brigitte Weller-Boothe. "Mein Garten ist gezielt modern ausgerichtet. Hier wachsen Pflanzen, für die Studien inzwischen nachgewiesen haben, dass sie als Heilkräuter wirksam sind." Klostermedizin des 21. Jahrhunderts.

Die Ärztin steht zwar Medikamenten und Medizintechnik kritisch gegenüber, doch sie ist auch Naturwissenschaftlerin. Ihre keinesfalls nur rechteckigen, mit Buchsbaumhecken umrandeten Beete hat sie nach den Organsystemen des Körpers geordnet: Herz-Kreislauf- und Nervensystem, Verdauungsorgane, Haut, Harn- und Atemwege. Dazu Beete mit speziellen Pflanzen gegen Frauenleiden und Prostatabeschwerden, mit Gewürzen, Duft- und Färbekräutern. Und überall wachsen neben traditionellen "Hortulus"-Pflanzen auch Heilkräuter, die die Volks- und Erfahrungsmedizin in späteren Jahrhunderten zur Phytotherapie (phyton = griechisch für Pflanze) beigesteuert hat: Rosmarin und echte Kamille, Fingerhut, Thymian, Goldrute und Herzgespannkraut. "Ich würde mich nie allein auf die Pflanzenheilkunde verlassen", sagt Brigitte Weller-Boothe. "Aber die Natur hat viel zu bieten. Leichte Beschwerden oder beginnende chronische Störungen sind oft gut zu behandeln. Und Nebenwirkungen der Schulmedizin lassen sich abfedern." So kombiniert sie bei ihren eigenen Patienten das Beste aus beiden Systemen miteinander.

Mit Pflanzen Krankheiten zu behandeln ist eine Urform der Heilkunst. In den mittelalterlichen Klöstern wurden die Heilkräuter nicht nur angebaut, sondern der Erfahrungsschatz der regionalen Volksmedizin wurde auch erstmals gezielt zusammengetragen. Das, was lange Zeit nur mündlich überliefert wurde, wurde schriftlich festgehalten. Hildegard von Bingen, die berühmte Äbtissin des Klosters auf dem Rupertsberg am Rhein, war die Erste, die um 1150 eine systematische Arzneimittellehre mit Pflanzen schrieb. Heilkräuter wurden danach frisch oder getrocknet zu Tee, Sud und Sirup verarbeitet oder mit Wickeln aufgelegt; verwendet wurden dafür Blätter, Blüten, Wurzeln, Rinden oder die ganze Pflanze.

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Dass ein Tee aus Odermennig gegen Durchfall hilft, ein Tee mit Wermut dagegen die Verdauung fördert, wussten Heilkundige damals. Warum das so ist, konnte allerdings niemand erklären. Inzwischen sind die Inhaltsstoffe von Heilkräutern gut erforscht. Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Gerbstoffe des Odermennigs zusammenziehend wirken, während die kräftigen Bitterstoffe des Wermuts den Gallenfluss und damit die Darmtätigkeit anregen. Wirkstoffe von Pflanzen, die früher in den Klostergärten wuchsen, sind, kontrolliert und standardisiert, in zahlreichen Arzneimitteln enthalten. "Für die Behandlung von Krankheiten sind solche Präparate sinnvoll", sagt Brigitte Weller-Boothe. "Doch zur Selbsthilfe bei Alltagsbeschwerden sind auch Kräuter aus der Apotheke oder dem eigenen Garten geeignet."

Bei einer beginnenden Erkältung empfiehlt die Ärztin Salbeitee. Bei Hitzewallungen in den Wechseljahren hilft es, Salbeiblätter zu kauen. Den Kreislauf bringt ein Fußbad mit Rosmarin in Schwung. Ein Tee aus frischen Blättern der Goldrute wirkt bei einer Blasenentzündung antibiotisch und wassertreibend. Einen Monat täglich eine Tasse Eberraute-Tee stärkt das Immunsystem; nach einem Monat Pause sollte man erneut mit dem Trinken beginnen. Spitzwegerich, frisch aufgelegt wie ein Pflaster, leistet bei Wunden und Nasenbluten Erste Hilfe. Tee aus Herzgespannkraut kann Bluthochdruck und ein leichtes Herzstolpern regulieren. Und ein Teelöffel Sirup aus den Blüten der Königskerze lindert Kratzen im Hals.

"Sirup lässt sich leicht selbst herstellen", erklärt Brigitte Weller-Boothe und gibt gleich die entsprechende Anleitung: Blüten in ein Glas schichten, genau- so viel Zucker daraufgeben, festdrücken und ste- hen lassen, bis der Zucker glasig wird. Dann das Glas langsam im Wasserbad erwärmen, so dass der Zucker sich verflüssigt. Die Blüten herausnehmen und den Sirup umfüllen. Gut verschlossen hält sich das Hausmittel ein paar Monate. Vor allem sind Kräuter aus dem Klostergarten für Brigitte Weller-Boothe aber ein gutes Mittel, um aktiv etwas für die eigene Gesundheit zu tun. "Pflanzen geben uns alles, was wir brauchen. Sie bilden viele wertvolle Stoffe. Von denen können wir Menschen profitieren, um unseren Körper zu stärken, jederzeit", sagt die Naturmedizinerin. Ihre drei wichtigsten Tipps in der Tradition der Klostermedizin: viel trinken, zum Beispiel Kräutertee; so bekommt der Stoffwechsel die nötige Flüssigkeit, damit er optimal funktionieren kann.

Sich viel bewegen. Und sich gut ernähren mit möglichst vielen (Küchen-)Kräutern. "Tu deinem Leib etwas Gutes, damit die Seele Lust hat, darin zu wohnen", schrieb schon Hildegard von Bingen. An diese Tradition knüpft Brigitte Weller-Boothe an. Dass sie dafür ab und zu Kräuterhexe genannt wird, stört sie nicht. "Hexe kommt vom althochdeutschen Wort Hagzissa", sagt sie. "Ein Wesen, das auf dem Zaun zwischen den Welten sitzt und Schabernack treibt. Das gefällt mir."

Ein Artikel aus BRIGITTE WOMAN, Heft 6/2012. Text: Monika Murphy-Witt

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