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Gender-Medizin: Mehr als ein kleiner Unterschied

Gender-Medizin: Mehr als ein kleiner Unterschied
© ESB Professional/shutterstock
Frauen sind anders krank als Männer. Was sie tun können, um gesund zu bleiben, erklärt Professorin Alexandra Kautzky-Willer, Fachärztin für innere Medizin, Diabetologin und Expertin für Gender-Medizin an der Medizinischen Universität Wien.

BRIGITTE WOMAN: Was genau macht die Gender-Medizin?

Alexandra Kautzky-Willer: In der Gender-Medizin werden sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten zwischen Frauen und Männern erforscht. Dabei werden neben den biologischen ebenso die sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Komponenten berücksichtigt. Gender-Medizin ist immer dynamisch und interdisziplinär, sie hat einen ganzheitlichen Ansatz und bezieht körperliche wie psychische Aspekte mit ein.

Warum brauchen Frauen eine besondere Medizin?

Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind teilweise gravierend. Neben den Genen sind die Sexualhormone entscheidend, die sich in den verschiedenen Lebensphasen einer Frau verändern. Die Hormone beeinflussen wiederum Stoffwechselprozesse. Organe wie Leber, Darm und Nieren arbeiten anders. Frauen haben außerdem einen niedrigeren Nüchternzuckerspiegel, der nach dem Essen, vor allem bei Zuckerkonsum, jedoch höher ansteigt als bei Männern.

Welche Rolle spielt Stress?

Eine große Rolle. Frauen sind stressempfindlicher als Männer. Ihr Körper reagiert auf Belastungen stärker, und sie werden schneller krank. Sie bekommen mehr Depressionen und bei Stress früher und häufiger Diabetes als Männer. Einen Reizdarm haben 70 Prozent der Frauen. Das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist bei Raucherinnen 25 Prozent höher als bei Männern, vor allem nach den Wechseljahren.

Infarkte, die oft nicht rechtzeitig erkannt werden.

Richtig, weil sie sich bei Frauen anders äußern als bei Männern. Frauen haben vielleicht Rückenschmerzen, ihnen ist übel, sie müssen sich übergeben. Männer spüren einen Vernichtungsschmerz in der Brust. Frauen rufen für ihren Mann bereits nach sechs Minuten einen Notarzt, Männer alarmieren ihn für ihre Frau erst nach einer halben Stunde. Die Sterblichkeit bis zu einem Jahr nach einem Infarkt ist bei Frauen größer als bei Männern.

Frauen gelten als gesundheitsbewusster als Männer. Warum sorgen sie trotzdem nicht optimal für sich selbst?

Frauen gehen häufiger zum Arzt und haben mehr Kontakte zu anderen Gesundheitsberufen. Dennoch haben sie weniger gesunde Lebensjahre und sind in höherem Alter kränker als Männer. Ein Problem ist, dass Frauen ab der Menopause nicht mehr so auf sich achten. Ab 50, 60 Jahren gehen sie auch seltener zu Vorsorgeuntersuchungen, obwohl es gerade dann besonders wichtig wäre.

Was sollten Frauen noch tun?

Lernen, besser mit Stress umzugehen. Anders als Männer essen und rauchen Frauen, wenn sie belastet sind. Ihr Lungengewebe ist jedoch empfindlicher und nimmt mehr Schaden als das von Männern, sie haben bei einer geringeren Anzahl von Zigaretten ein höheres Lungenkrebsrisiko, weil das Östrogen mit den Rauchinhaltsstoffen interagiert und sein Schutzeffekt vermindert wird. Auch die Gefahr für Blasenkrebs ist größer. Trotzdem fällt es Frauen schwerer, mit dem Rauchen aufzuhören - vor allem, weil sie Angst haben, zuzunehmen.

Was empfehlen Sie Frauen?

Frauen sind sehr auf ihre Ernährung fokussiert, die meisten machen immer wieder Diäten, weil sie nicht wie Barbie aussehen. Aber Barbie hätte einen BMI von etwa 16 und wäre gar nicht lebensfähig. Statt ständig aufs Essen zu achten, sollten Frauen mehr Wert auf Bewegung legen. Wichtig sind auch Stressmanagement, Entspannung und ausreichend Schlaf. Ein solch umfassend gesunder Lebensstil, ein "comprehensive lifestyle", wie Experten sagen, verbessert die Lebensqualität und hält gesund und fit.

Text: Monika Murphy-Witt Ein Interview aus BRIGITTE WOMAN 03/2014

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