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Beschwerden im Alter - na und?

Gespräche über Krankheiten nervten uns Kinder früher gewaltig. Und heute? Kaum spricht eine über ihren Hallux valgus, stimmen wir ein in den Chor der Leidenden.

Jeden ersten Dienstag im Monat ist Mädelsrunde. Seit Jahren stehen diese Treffen mit alten Freundinnen als fester Termin in meinem Kalender. Früher haben wir über Kerle geredet, dann über Kinder, dann wieder über Kerle - nämlich die, mit denen wir Kinder haben - und ab und zu über den Job oder eine Reise. Und heute? Heute sprechen wir, dreimal dürfen Sie raten, über Beschwerden und körperliche Baustellen, über Zipperlein und Krankheiten. Zum Beispiel vorletztes Mal. Da verkündete Susanne, dass der Arzt bei ihr doch tatsächlich Arthrose im linken Kniegelenk festgestellt habe. Sofort fiel Erika ihr ins Wort: "Sei froh, dass es nur das Knie ist. In der Hüfte, wie bei mir, ist das viel schlimmer." - "Ohne Schmerzmittel läuft bei mir wegen der Schulter auf dem Golfplatz ohnehin nichts mehr", sagte Imke.

Und Jutta holte ihr neues Mittel gegen Bluthochdruck aus der Tasche: "Ob mir das wirklich hilft, bei all den Nebenwirkungen?" Früher hatten wir viel Spaß miteinander, heute studieren wir Beipackzettel und tauschen Telefonnummern von Physiotherapeuten mit "magischen Händen". Unsere fröhlichen Treffen arten in einen Wettlauf der Malaisen aus. Schrecklich! Ich gebe zu: Ich bin nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung der Gesprächskultur. Als mich unlängst ein Bandscheibenvorfall traf, mussten meine Freundinnen eine wahre Jammerorgie über Beschwerden, Ursachen und Behandlung über sich ergehen lassen. Es waren ja auch starke Schmerzen - obwohl Lisa verächtlich meinte: "Pfff, ein Bandscheibenvorfall. Warte erst mal, bis du Hämorrhoiden kriegst! Ich musste operiert werden!" Für mich war es jedenfalls ein Schock. Bis zu diesem Zeitpunkt machte sich mein Körper kaum unangenehm bemerkbar.

Schluss mit dem Jammern über Zipperlein!

Und er tat im Wesentlichen das, was ich wollte. Ab und zu hatte ich eine Erkältung oder eine Sportverletzung, ein umgeknicktes Gelenk oder eine leichte Verstauchung. Aber grundsätzlich konnte ich mich mit Ende 40 noch immer auf meine Stärke, meine Gesundheit verlassen. Jetzt lag ich plötzlich unbeweglich auf dem Rücken, und alles tat mir weh, sogar das Atmen. Das erste Mal in meinem Leben gehorchte mir mein Körper nicht mehr. Das erste Zipperlein hatte mich erwischt. Über Nacht war ich gefühlt gealtert. Als ich darüber jammerte, wurde ich mit offenen Armen im Chor der Leidenden aufgenommen. Der Damm war gebrochen. "Über unseren Körper kommunizieren wir mit unserer Umwelt", sagt die Weinheimer Psychologin Ursula Nuber. "Wir signalisieren anderen, wie es uns geht und wie wir von ihnen wahrgenommen werden wollen." Das Signal, das meine verkrampfte Haltung und meine Klagen den Freundinnen gaben, war offenbar eindeutig.

Die Reaktion darauf gefällt mir jedoch gar nicht. Schließlich hatte ich "nur" einen Bandscheibenvorfall, nicht angenehm, aber auch nicht dramatisch. Kein Grund, seitdem bei jedem Treffen mit Freunden ausschließlich über Krankheiten zu reden, wie in einem Altersheim. Mein Körper hat mir gezeigt, dass er sich verändert, dass er nicht ewig 20 bleibt. Doch ich habe keine Lust, vor meinem geistigen Auge bereits einen Rollator zu schieben. Und mich auf jeder Party über Spreizfüße, Cholesterinwerte und nachlassendes Hörvermögen zu unterhalten. Das nervt.

Beschwerden im Alter machen bewusst, dass der Körper keine Maschine ist

"Jeder Lebensabschnitt hat eine bestimmte Entwicklungsaufgabe", sagt der Heidelberger Arzt und Psychotherapeut Arnold Retzer. Sich mit körperlichen Veränderungen auseinanderzusetzen und sie zu akzeptieren gehört im mittleren Erwachsenenalter dazu. Dass wir uns darüber mit unseren Freundinnen unterhalten, auch. Schließlich werden wir alle älter. Und wenn sich das plötzlich - wie bei meinem Bandscheibenvorfall - durch erste Zipperlein bemerkbar macht, ist das Bedürfnis natürlich groß, sich Kummer und Irritation von der Seele zu reden. Aber nur zu jammern, sich gegenseitig hochzuschaukeln, pardon, herunterzuziehen, bringt wenig. Stattdessen könnten wir gemeinsam lernen, gelassen mit dieser Tatsache umzugehen, und uns mit Mut und Humor zusammen in diese neue Lebensphase vorarbeiten. Wir könnten uns damit arrangieren, dass es gelegentlich mal hier zwickt und dort zieht - und trotzdem zusammen unseren Spaß beim Sport und Tanzen haben. Und wir könnten die Chance nutzen, endlich zu einem entspannteren Umgang mit uns selbst zu finden, unseren Körper mit einem neuen, liebenden Blick zu sehen. Denn letztendlich können wir den Zipperlein oft sogar dankbar sein: Sie machen uns bewusst, dass der Körper keine Maschine ist, die ewig wartungsfrei läuft.

Mein Bandscheibenvorfall hat mir schlagartig klargemacht: Künftig muss ich besser auf mich und meine Gesundheit Acht geben. Einkaufstüten schleppen, dazu den Laptop am Riemen quer über dem Bauch, das ist nicht mehr drin. Dafür baue ich jetzt gezielt meine Muskeln auf, gehe zum Pilates und gönne meinem Rücken ab und zu eine Massage. Schließlich möchte ich keine Operation riskieren, nur weil ich die Zeichen meines Körpers ignoriert habe. Da ist es besser, ihn rechtzeitig zu pflegen, demnächst bei einem Wellness-Wochenende mit Lisa. Also Schluss mit dem Jammern über Zipperlein. In sich hineinzuspüren, was der eigene Körper gerade braucht, ist besser, als seine Befindlichkeiten bei jeder Gelegenheit hinauszuposaunen. Und wenn ich mich besser um mich selbst kümmere, mir Gutes tue, strahlen meine Stimmung, meine Haltung das auch aus.

Gestern Abend war wieder Mädelsrunde. Gut gelaunt, aufrecht und entspannt schlug ich den Freundinnen "mal was Neues" vor: strenge Richtlinien für unsere Treffen. Nie wieder Endlos-Smalltalk über Arthrose, Bandscheibenvorfälle, Bluthochdruck und Schulterbeschwerden. Ab sofort sprechen wir nur noch in den ersten fünf Minuten über unsere Krankheiten. Dann reden wir endlich wieder über richtige Themen, Kerle zum Beispiel. Mein Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Darauf können wir anstoßen!

Text: Anne-Bärbel Köhle BRIGITTE Woman, 08/11

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