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Reizdarm Was hilft?

Reizdarm: Frau fasst sich wegen Schmerzen an den Bauch
© Olga Yatsenko / Shutterstock
Sie leiden, doch medizinisch gesehen fehlt ihnen erst mal nichts. Kein Wunder, dass viele Reizdarm-Patienten sich nicht ernst genommen fühlen

Aber da muss doch was sein!

Bisher ist es so: Reizdarm hat man, wenn man nichts hat. "Leider gibt es keinen Test und keine Untersuchung, die beweist, dass man an einem Reizdarm leidet", sagt Professor Dr. Stephan Miehlke, Gastroenterologe am Magen-­Darm­-Zentrum in Hamburg­-Eppendorf.

Wenn alle Untersuchungen - Magenspiegelung, Darmspiegelung, Labortests, Ultraschall etc. - unauffällig sind, ist die Diagnose also quasi das, was übrig bleibt. Da wundert es nicht, dass Reizdarmbeschwerden lange Zeit als psychosomatisch galten. Was ein Arzt nicht findet, muss ja schließlich eingebildet sein.

Endlich lässt sich der Reizdarm nachweisen...

Inzwischen hat sich diese Ansicht zum Glück gewandelt: "Wir haben in den letzten Jahren viel dazu gelernt", so Professor Miehlke. So besitzen Betroffene etwa eine andere Schmerzwahrnehmungsschwelle für das, was im Darm passiert. Vermutlich registrieren sie normale Verdauungsprozesse als unangenehm, die Gesunde gar nicht bemerken. Außerdem gibt es Unterschiede in der Darmflora; häufig lassen sich in der Darmschleimhaut Mikro­-Entzündungen nachweisen.

Und in diesem April verkündete ein Team um den Biologen Professor Michael Schemann von der TU München sogar eine medizinische Sensation: Nach acht Jahren Forschung war es gelungen, den Reizdarm eindeutig durch ein messbares Merkmal, einen sogenannten Biomarker, nachzuweisen. All dies fördern jedoch nur aufwendige Experimente zutage und nicht das, was in der Praxis an Diagnostik zur Verfügung steht. Deswegen ändert sich am Dilemma der Betroffenen wenig: "Viele sind verzweifelt, weil keine Untersuchung ein Ergebnis bringt", so Miehlke. "Sie fühlen sich nicht ernst genommen oder haben den Eindruck, dass man sich nicht richtig um sie kümmert."

Von einem Arzt zum nächsten

Vermutlich ist dies ein wesentlicher Grund dafür, dass Reizdarm­-Patienten eine sehr niedrige Lebensqualität haben. Sie ist vergleichbar der nach einem Schlaganfall und niedriger als bei anderen Darmleiden wie Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn, obwohl die sogar schwerere Symptome verursachen können.

Vielen fällt es erst einmal schwer, die Diagnose zu akzeptieren. Nicht wenige rennen zu immer mehr Ärzten, lassen sich wieder und wieder durchchecken oder setzen ihre Hoffnung in alternative Heilverfahren. "Ich kann das sogar nachvollziehen", sagt Miehlke. "Allerdings werden dann oft aus irgendwelchen dubiosen Untersuchungen Diagnosen ermittelt, die medizinisch nicht richtig sind."

Patienten müssen verstehen, was sie haben, und vor allem wissen, was sie nicht haben.

Wichtig sei darum, weitere Untersuchungen zu unterlassen, wenn erst mal alle Diagnose-­Kriterien für einen Reizdarm erfüllt sind, und vor allem: dann auch mit der Behandlung zu starten. Die beginnt für Gastroenterologen Miehlke damit, sich Zeit zu nehmen, um die Diagnose zu erklären. "Patienten müssen verstehen, was sie haben, und vor allem wissen, was sie nicht haben." 

Dazu gehört auch die Information, dass viele Betroffene den Reizdarm im Laufe der Zeit verlieren; meist treten die Beschwerden nur in bestimmten Lebensphasen auf. Eine Studie belegt, dass das Reizdarmsyndrom im mittleren Lebensalter am häufigsten ist. Danach nimmt die Verbreitung wieder ab. "Das Problem ist, dass auch manche meiner Kollegen die Patienten mit 'Alles in Ordnung' wieder zum Hausarzt schicken, der aber gar nicht das Wissen hat, die Diagnose zu erklären." Und leider oft auch nicht das um die richtige Therapie.

Das wichtigste ist es, Geduld zu haben

"Die eine Tablette, die alle Beschwerden verschwinden lässt, existiert leider nicht, auch wenn sich viele Patienten genau die wünschen", sagt Miehlke. Je nachdem welche Beschwerden (Verstopfung, Durchfall, Schmerzen, Völlegefühl etc.) im Vordergrund stehen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ob diese Erfolg haben, lässt sich vorher jedoch nicht garantieren.

Und so brauchen Patienten eines auf jeden Fall: Geduld. "Auch darüber muss man mit ihnen sprechen und gemeinsam realistische Ziele entwickeln", so der Mediziner. „Ich frage immer: ‚Welches Ihrer Symptome möchten Sie am schnellsten loswerden?‘ Das können Patienten meist präzise benennen, ob es z. B. der Blähbauch oder der Durchfall ist, und danach suche ich die Therapie aus oder eine Kombination von Therapien.“

Genauso wichtig wie die Wahl der Behandlung sei dann, nach vier bis acht Wochen zu prüfen, ob sie auch erfolgreich war, und gegebenenfalls etwas Neues zu probieren. "Wenn dies konsequent gemacht wird, können wir heute sehr, sehr vielen Patienten gut helfen."

Und wie sieht es mit dem Biomarker aus? Die Forscher haben tatsächlich mittels "Proteasen-Profiling" - Proteasen sind Verdauungsenzyme und Signalmoleküle in einem - ein Proteinmuster gefunden, das nur beim Reizdarm auftritt. Studienleiter Schemann nennt dies "eine vielversprechende Strategie zur Entwicklung von Reizdarm-Biomarkern". Aber noch sollten Patienten nicht darauf hoffen. "Das ist noch Zukunftsmusik. In absehbarer Zeit wird es da für die Praxis nichts geben", ist sich Miehlke sicher.

REIZDARM - WAS HILFT?

Behandelt wird individuell, je nach Beschwerden, zum Teil auch mit einer Kombination folgender Methoden:

Ernährungsumstellungen, am besten mit einer Ernährungsberaterin, können helfen; ebenso Verhaltensänderungen wie mehrere, nicht zu üppige Mahlzeiten. Oft bringt eine FODMAP-Diät (die Buchstaben stehen für vergärbare Kohlenhydrate und Zuckeralkohole) Besserung, die aber nicht dauerhaft eingesetzt werden sollte.

Probiotika lindern, je nachdem welche Bakterienstämme enthalten sind, unterschiedliche Beschwerden.

Medikamente helfen gegen verschiedene Symptome: z. B. krampflösende Mittel, Loperamid gegen Durchfall, Abführmittel.

Lösliche Ballaststoffe (z. B. Flohsamenschalen) können helfen, weil sie Wasser binden. Unlösliche Ballaststoffe (z. B. Cellulose) nützen kaum oder nicht.

Psychotherapie (z. B. Darmhypnose oder Verhaltenstherapie) hilft vor allem bei Schmerzen.

Entspannungsverfahren (z. B. autogenes Training) machen Sinn, wenn Stress die Beschwerden verstärkt.

Anti-Depressiva können Linderung bringen und werden in niedrigerer Dosis eingesetzt als bei psychischen Erkrankungen.

Videotipp: Verdauung anregen - so geht´s!

Reizdarm: Was hilft?
Brigitte 23/2018

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